Auge um Auge - Thread VIII

Kapitel 45

 

10.08 Uhr – 2. Showdown – Auf den Straßen Washingtons

 

Als Gibbs und Ziva aus dem Bethesda stürmten, sahen sie gerade noch, wie Rebekka mit quietschenden Reifen den Parkplatz des Krankenhauses verließ und dabei in der Ausfahrt mit einem ankommenden Taxi kollidierte. Der so unvermittelt getroffene Wagen drehte sich einmal um die eigene Achse, bevor er schließlich laut krachend den Parkscheinautomaten rammte. Am Rande registrierte Ziva, wie ein völlig entgeistert dreinblickender McGee aus dem Heck des Wagens stolperte und vorne nach dem Fahrer sah. Ihm auf dem Fuße folgte ihr Vater. Na toll, schoss es ihr durch den Kopf. Nur ein paar Sekunden früher und ihr hättet sie blockieren können. Doch es war keine Zeit, sich jetzt über die vielen verpassten Gelegenheiten Gedanken zu machen, denn sie hatten ihren Wagen fast erreicht und Gibbs brüllte ihr zu: „Du fährst!“

 

„Die Schlüssel?“, stieß Ziva kurz hervor und blickte ihren Boss fragend an.

 

Mit einem Fluch auf den Lippen versenkte Gibbs mit schmerzverzerrtem Gesicht seinen rechten Arm in der Hosentasche und zerrte mit Mühe den Wagenschlüssel hervor. „Hier“, rief er gepresst und beförderte das Objekt der Begierde in einem leicht unkontrollierten Bogen über das Wagendach in Ziva´s Richtung, eine Bewegung, die ihm umgehend einen üblen Stich durch seine angeschossene Schulter jagte. Für einen kurzen Schreckmoment stockte Gibbs´ Herz, als Ziva um ein Haar danebengegriffen hätte, doch im letzten Augenblick gelang es der Israelin doch noch den Schlüssel zu packen. Erleichtert atmete Jethro auf. „Nun mach´ schon, beeil dich!“, trieb er Ziva an, obschon er genau wusste, dass das ganz gewiss nicht nötig war.

 

Verdammt, er  hasste es, sozusagen die Zügel aus den Händen geben zu müssen, aber seine Verletzung würde ihn zweifellos beim Fahren beeinträchtigen, das wollte und konnte er nicht riskieren und Ziva war schließlich in Puncto Verfolgungsjagden ein Profi. Kaum waren sie in das Fahrzeug gesprungen, preschte die Israelin auch schon los. Jethro wurde ruckartig in die Rückenlehne katapultiert und schon wieder rebellierte seine verletzte Schulter so sehr, dass er für einen Moment lang die Augen zusammenkneifen und kurz die Luft anhalten musste, damit er die Welle der Übelkeit, die ihn plötzlich packte, in den Griff bekam. Seine linke Hand schnellte automatisch an die rechte Schulter in der Hoffnung, den Schmerz irgendwie bändigen zu können. Leider funktionierte das nicht. „Mann, ich glaube, ich werde langsam zu alt für solche Aktionen“, murmelte er leise vor sich hin. Eigentlich hatte er es nur denken wollen, doch als Ziva seinen Gedanken mit einem barschen „Blödsinn!“ quittierte, wurde ihm bewusst, dass er wohl doch laut gesprochen hatte, was ihn maßlos ärgerte. Er zwang sich dazu, die Augen wieder zu öffnen und registrierte, dass Ziva den Wagen gerade in einem weiteren ruckartigen Lenkmanöver um das qualmende Taxi, einen  aufgeschreckten McGee und einen wütend fluchenden Eli David herum auf die Straße lenkte.

 

Rebekka war ihnen bereits ein gutes Stück voraus und für ihre Verfolger bestand gerade akute Gefahr, sie zu verlieren. Just in diesem Augenblick  trat die ehemalige Mossad-Agentin das Gaspedal jedoch bis zum Anschlag durch und konnte in der darauffolgenden Kurve gerade noch so den Kontakt mit der nächsten Hauswand vermeiden, die beängstigend schnell auf sie zuzurasen schien. Die Reifen kreischten erbärmlich, als die Israelin das Fahrzeug ohne Rücksicht auf Verluste um die Kurve zwang.

 

„Mensch, Ziva!“, stöhnte Gibbs auf. „Was ist los mit dir? Willst du uns umbringen?“

 

„Das fragst ausgerechnet DU mich?“, schnaubte die Dunkelhaarige erbost auf und würdigte ihren Boss keines Blickes. So konnte sie im letzten Moment noch einen Blick auf das Heck des Fluchtwagens von Michaels Schwester erhaschen, bevor diese nach links auf den Rockville Pike abbog.

 

Mittlerweile war es Gibbs endlich gelungen, sein Handy aus der Tasche zu fischen und die Kurzwahl für das Hauptquartier zu drücken. Auf das Äußerste angespannt presste er das Gerät ans Ohr und wartete darauf, dass die Verbindung zustande kam. Ziva, die immer noch starr auf die Straße vor sich blickte, zuckte kurz zusammen, als ihr Boss gleich darauf unvermittelt losbrüllte: „Ich brauche sofort eine Verkehrsüberwachung. Ein dunkler Kleinwagen, wahrscheinlich ein Japaner  ---   Nissan, Corolla oder etwas Ähnliches. Er fährt mit hohem Tempo den Rockville Pike Richtung Wisconsin Avenue.“ Er hielt kurz inne und lauschte, bevor er – noch eine Nuance lauter – weiterbrüllte: „NEIN, verdammt! Ich habe KEIN Kennzeichen für Sie. Halten Sie mich für einen Anfänger? Wenn ich ein Kennzeichen erkennen könnte, hätte ich es Ihnen schon längst gesagt! Anstatt dumme Fragen zu stellen, sollten Sie besser das tun, was ich von Ihnen verlange! Agent David und ich verfolgen den Wagen.“ Wieder hielt er kurz inne.

 

„Gibt es Probleme?“, erkundigte sich Ziva kurz.

 

Gibbs warf ihr einen Seitenblick zu und verdrehte die Augen. Doch gleich darauf machte der genervte Gesichtsausdruck einem eher ungläubigen Platz. Mit sich überschlagender Stimme schrie er dann ins Telefon: „ OB ICH DAZU AUTORISIERT BIN, IHNEN DIESE ANWEISUNG ZU GEBEN?!?! DAS FRAGEN SIE NICHT IM ERNST, ODER? HÖREN SIE, WENN SIE NICHT SOFORT TUN WAS ICH SAGE, WENDE ICH MICH AN DIREKTOR VANCE – DANN WAREN SIE DIE LÄNGSTE ZEIT AGENT IN UNSERER BEHÖRDE“ Diese Worte schienen endlich die gewünschte Wirkung zu zeigen. Ziva registrierte erleichtert, dass ihr Boss sich wieder etwas beruhigte. „Gut, aber beeilen Sie sich gefälligst. Ich bleibe am Telefon. Halten sie mich auf dem Laufenden, wohin er abbiegt!“ Deutlich leiser und nur für Ziva verständlich knurrte er dann vor sich hin: „Hätte ich doch McGee ins Hauptquartier geschickt! Dann bräuchte ich mich jetzt nicht mit solchen Idioten rumzuschlagen!“

 

Insgeheim musste Ziva ihrem Chef recht geben, doch ihr fehlte die Zeit, länger über den unglücklichen Kollegen nachzudenken, der sich gerade mit Sicherheit riesige Stolpersteine in seinen weiteren Karriereweg gelegt hatte. Sie war inzwischen an der Ecke angekommen, an der Rebekka abgebogen war. Auf dem Rockville Pike herrschte ziemlich dichter Verkehr und die NCIS-Agentin hatte alle Mühe, bei dem halsbrecherischen Tempo, das sie fuhr, Rebekka Rivkin ohne Unfall zu folgen. Auch diese holte das Äußerste aus ihrem Fahrzeug heraus und drängelte sich rücksichtslos hupend durch den Verkehr. Gerade schnitt sie schon wieder ein Fahrzeug absolut gefährlich und der völlig geschockte Fahrer legte daraufhin prompt eine Vollbremsung hin, die unglücklicherweise eine Kettenreaktion nach sich zog. Er schlingerte nach links und rechts, bevor er endlich mit knapper Not vor der Leitplanke zum stehen kam. Mehrere ihm nachfolgende Fahrzeuge hatten nicht soviel Glück – sie konnten dem unkontrolliert schlingernden Fahrzeug nicht mehr rechtzeitig ausweichen und krachten im Anschluss daran aufeinander. Mit quietschenden Bremsen brachten die nachfolgenden Fahrer ihre Fahrzeuge zum stehen und innerhalb von wenigen Augenblicken war der gesamte Rockville Pike dicht.

 

Auch Ziva bremste scharf, riss dann aber den Wagen geistesgegenwärtig hart nach rechts und bescherte damit dem Fahrer seitlich hinter ihr eine üble Schrecksekunde. Es ging um Millimeter, doch Ziva erreichte mit viel Glück unfallfrei den Pannenstreifen neben der Fahrbahn. Ohne den Fuß auch nur eine Sekunde vom Gas zu nehmen, jagte sie auf der engen Spur weiter, passierte die entsetzt blickenden Personen an der Unfallstelle, die bereits ihre teilweise demolierten Autos verlassen hatten und nahm die Verfolgung der Israelin mit einem Affenzahn wieder auf. Schlimm genug, dass die ihren Vorsprung durch diese Aktion wieder ein wenig hatte vergrößern können.

 

 

10.10 Uhr – Bethesda-Hospital - Intensivstation

 

Großer Gott, was war denn nun schon wieder mit ihm geschehen? Tony fühlte sich, als hätte ihn ein Bulldozer nicht nur gerammt, sondern seinen Brustkorb als Parkplatz ausersehen. Das Atmen fiel ihm so unsagbar schwer…jeder Atemzug verursachte ihm neue Beklemmungen. Konnten das wirklich nur die Nachwirkungen der Operation sein? Er war ja schon häufiger operiert worden, aber so extrem schlecht hatte er sich danach noch nie gefühlt. Vielleicht hätte er ja doch den Vorschlag des Arztes annehmen und dem künstlichen Koma zustimmen sollen. Ob so was wohl auch noch im Nachhinein in die Wege geleitet werden konnte?

 

Weit aus der Ferne, wie durch dicke Watte gedämmt, glaubte Tony Stimmen zu hören und entschied für sich, dass er sich wohl noch im Aufwachraum befand. Na gut, dann würde er den anderen eben den Gefallen tun. Wie er seine Leute kannte, würden die eh nicht das Krankenhaus verlassen, bevor sie nicht wussten, dass er die OP gut überstanden hatte. Doch hatte er das wirklich? So langsam beschlichen ihn da erhebliche Zweifel.

 

Eigentlich hatte Tony seine Augen öffnen wollen, doch nun fühlte er, wie sein Geist wieder im Begriff war, sich zu verabschieden. Mit aller Macht versuchte er, sich dagegen zu wehren, doch er spürte, wie unendlich müde er doch noch war. Es fiel ihm schwer, zu denken und er schaffte es noch nicht einmal, seine Augen zu öffnen. Vielleicht war es ja besser, er gönnte sich noch eine kleine Auszeit. Die anderen würden es sicher verstehen. Ziva hatte ihnen ja inzwischen sicher alles erzählt.

 

Gerade als Tony sich wieder in die tröstende, schmerzlose Bewusstlosigkeit fallen lassen wollte, spürte er ein lästiges Klopfen auf seinen Wangen und hörte auch wieder diese weit entfernten Stimmen. Oh bitte, wollte er sagen – oder sagte er es sogar? – lasst mich. Nur noch ein bisschen. Ich bin noch nicht so weit.

 

„Agent DiNozzo? Agent DiNozzo?“ Schon wieder dieses nervende Geklopfe in seinem Gesicht. Konnten die einen denn nicht mal in Ruhe lassen? „Hallo, können Sie mich hören?“

 

Nein, hätte Tony am liebsten geschrien. Ich kann und ich will dich nicht hören! Lasst mich doch endlich in Ruhe!

 

Eine weitere, tiefere Stimme mischte sich ein. „Seine Vitalfunktionen sind soweit in Ordnung und er scheint langsam wieder zu sich zu kommen. Wir sollten es nicht forcieren. Der Mann hat eine Menge mitgemacht. Geben wir ihm die Zeit, die er braucht. Ich bin im Arztzimmer. Rufen Sie mich, wenn sich etwas verändert. Und lassen Sie ihn auf gar keinen Fall alleine.“

 

Genau, dachte Tony erleichtert. Gebt mir einfach noch ein wenig Zeit. Aber wieso alleine? Was ist mit meiner Familie? Wo ist Ziva? Der Gedanke beunruhigte ihn ein wenig, doch er hatte einfach nicht die Kraft, sich näher damit zu beschäftigen. Später! Später würde er sich um alles kümmern, aber jetzt musste er sich erst noch ein wenig ausruhen.

 

 

10.14 Uhr – Rockville Pike – Rebekkas Wagen

 

Rebekka riskierte einen kurzen Blick in den Rückspiegel und sah, wie sich hinter ihr einige Fahrzeuge zu einem undefinierbaren Knäuel ineinander verkeilten. Blech knirschte auf Blech und die einzelnen Fahrzeuge schienen förmlich aufzuschreien.

 

 'Jaa! Blockiert nur den Weg!', frohlockte sie innerlich. Natürlich hatte sie längst bemerkt, dass sie verfolgt wurde. Während sie sich immer weiter von der Unfallstelle entfernte, freute sie sich über jeden weiteren Knall, der von hinten noch dumpf an ihre Ohren drang. Noch einmal schaute sie in den Rückspiegel. Ein riesiger Blechberg erstreckte sich

inzwischen quer über den Rockville Pike und sie hoffte inständig, dass dieses Hindernis ihre Verfolger stoppen würde.

 

Gerade, als sie ihren Blick wieder nach vorn auf die Straße konzentrieren wollte, registrierte sie ein Fahrzeug, dass über den Pannenstreifen rechts an der Unfallstelle vorbei schoss, ohne sich weiter um das Geschehen auf der Straße zu kümmern.

 

„Verdammt!“ Wütend hieb Rebekka auf das Lenkrad ein und knirschte mit den Zähnen. Das durfte doch wohl nicht wahr sein. Sollte ihr Glück sie jetzt – in diesem entscheidenden Moment – tatsächlich doch noch verlassen? Nun, sie würde tun, was nötig wäre, um das zu verhindern. Als erstes musste sie dazu von dieser Straße runter. In wenigen Augenblicken würde es hier vor Polizei und Krankenwagen nur so wimmeln und das Letzte, was sie jetzt brauchte, war selber in einen Auffahrunfall verwickelt zu werden. Also, wohin? Angestrengt starrte sie durch die Windschutzscheibe. Da! Ein Stückchen weiter vorne tat sich endlich eine Möglichkeit zum abbiegen auf.

 

 

10.15 Uhr – bei Gibbs und Ziva

 

Unvermittelt knackte es in Jethro´s Handy und eine Stimme vermeldete: „Der gesuchte Wagen biegt eben links in die Wilson Lane ein“.

 

„Ziva, 1/4 Meile weiter biegst du links ab in die Wilson Lane!“, gab Gibbs die Information augenblicklich weiter. „Aber halt´ dich weiter rechts!“ In sein Handy knurrte er: „Na bitte, geht doch, warum nicht gleich so?“

 

Ziva konnte nicht anders – ein kurzes Lächeln huschte über ihr Gesicht. Sie konnte sich gut vorstellen, wie dieser arme Kerl am anderen Ende der Leitung sich fühlte – insbesondere nach der Konfrontation, die er kurz zuvor mit Gibbs gehabt hatte. Doch sogleich verbannte sie diese Gedanken wieder in den hinteren Kopfbereich. Die Wilson Lane näherte sich und sie musste sich wieder 100%-tig konzentrieren, was ihr sowieso schon zunehmend schwerer fiel.

 

Am liebsten hätte sie Jethro darum gebeten, kurz im Krankenhaus anzurufen, um zu erfahren, wie es Tony ging. Natürlich wusste sie, dass das im Augenblick einfach nicht möglich war, doch je weiter sie sich vom Bethesda entfernten, desto schwerer wurde ihr Herz. Sie war nicht naiv! Die Ärzte hatte Tony zwar eben wieder ins Leben zurückgeholt, doch es wäre vermessen anzunehmen, dass er damit auch über den Berg war. Es war noch nicht überstanden, doch Ziva klammerte sich an die Hoffnung, dass Tony ein Kämpfer war, der jetzt, nachdem er all das überstanden hatte, bestimmt nicht aufgeben würde. Die alles entscheidende Frage, nämlich die, ob Tony überhaupt noch lebte, verbot sie sich einfach. Er lebte, basta! Alles andere würde sie spüren! Wenn sie diesen Glauben nicht mehr hätte, dann hätte Rebekka endgültig gewonnen und sie könnte den Wagen genauso gut gleich vor die nächste Mauer setzen.

 

„Ziva? Alles in Ordnung?“, erkundigte Gibbs sich mit besorgtem Unterton.

 

Ziva gab sich einen Ruck und begegnete Gibbs´ fragenden Blick offen: „Sicher“, antwortete sie mit fester Stimme. „Alles in Ordnung.“

 

Sie hatten die Abzweigung erreicht und Ziva schlingerte mit radierenden Reifen um die Kurve. Eine Schrecksekunde lang benötigte sie, um den Wagen anschließend wieder unter Kontrolle zu bringen und dann raste sie weiter hinter Rebekka her, die sie ziemlich weit vor sich entdeckt hatte. 


Kapitel 46

 

10.16 Uhr – Bethesda Hospital – Intensivstation

 

Nachdem McGee und Eli den ziemlich derangierten Taxifahrer in der Notaufnahme des Bethesda abgeliefert und relativ genervt die daraus resultieren Fragen des Teams beantwortet hatten – wobei sich Eli sehr zurückgehalten hatte – konnten sie sich endlich auf den Weg in die Intensivstation machen. Beide Männer brannten, jedoch aus unterschiedlichen Gründen, darauf, zu erfahren, was in der Zwischenzeit im Krankenhaus geschehen war. Vor dem Aufzug trafen sie auf Tobias Fornell, der übernächtigt und sehr deprimiert wirkte.

 

„Was ist passiert?“, erkundigte sich McGee ungewohnt kurz angebunden bei dem älteren FBI-Agenten, der sie mit kurzen Worten über die letzten Ereignisse in Kenntnis setzte.

 

Eli schüttelte bei seinen Worten fast unmerklich mit dem Kopf, während Tim entsetzt die Augen aufriss. Wie es schien, blieb Tony dieses Mal wirklich nichts erspart. Er empfand fürchterliches Mitleid mit seinem alten Freund und Kollegen und wusste im ersten Moment nichts zu sagen. So war es schließlich der Israeli, der als Erster wieder das Wort ergriff.

 

„Ich nehme an, meine Tochter hat mit Agent Gibbs gemeinsam die Verfolgung aufgenommen?“, erkundigte er sich mit seiner tiefen, sonoren Stimme. „Ist mit ihr alles in Ordnung?“

 

„Ja, Agent David ist okay. Sie muss fahren, da Rebekka Agent Gibbs in die Schulter geschossen hat.“

 

McGee war nun völlig von der Rolle. Gott, er musste jetzt hier untätig im Krankenhaus rumsitzen, während sein verletzter Boss und eine gefühlsmäßig viel zu stark involvierte Ziva alleine die Verfolgung von dieser Irren aufgenommen hatten. Wieso um alles in der Welt waren sie nur nicht direkt gemeinsam ins Bethesda gefahren? Vielleicht wäre dann ja alles anders gelaufen und die Wahnsinnige wäre nicht schon wieder auf DC´s Straßen unterwegs.

 

„Und? Wie geht´s jetzt weiter?“

 

Davon einmal abgesehen, dass Tim sich wunderte, dass Eli David tatsächlich ihn fragte und nicht umgekehrt einfach versuchte, das Zepter an sich zu reißen, nervte ihn die Frage des Älteren gerade ungemein. „Wie soll´s schon weitergehen?“, antwortete er kurz. „Es würde nichts bringen, wenn wir jetzt den beiden hinterherhetzen.“

 

„Natürlich nicht“, gab Eli ihm recht. „Aber Sie haben doch sicherlich eine Vorstellung davon, was Sie jetzt unternehmen wollen? Ich muss schon sagen, ich wundere mich ein wenig über die Vorgehensweise Ihrer Behörde. Da arbeiten Sie schon gemeinsam mit dem FBI Hand in Hand und trotzdem schaffen Sie es nicht, eine einzelne Frau in Gewahrsam zu nehmen. Wir beim Mossad machen da nicht…“

 

McGee platzte der Kragen: „Oh bitte! Wir sind hier nicht in Israel, Direktor David! Und ich bitte Sie dringend, sich Eines vor Augen zu halten. Der Mossad hat diese Psychopathin herangezogen! Eine völlig unberechenbare und irre Killerin! So wie ich das sehe, konnte diese Frau nur so immens gefährlich werden, weil die Psychologen Ihrer Behörde versagt haben. Total versagt! Und die Ausbilder von Rebekka Rivkin gleich mit. Diese Frau ist absolut ungeeignet, eine Agentin zu sein. Sie hätte nie, niemals durch das psychologische Raster kommen dürfen, aber sie hat sie alle getäuscht! Ihre Leute, um das noch einmal ganz klar zu sagen! Und jetzt müssen wir uns mit dem rumschlagen, was der Mossad verbockt hat. Also erzählen Sie mir jetzt bitte nicht, dass ausgerechnet Ihre Behörde diese Frau schon lange geschnappt hätte!“ Schwer atmend hielt McGee inne, doch der Blick aus seinen Augen sprach Bände. So wütend war er schon lange nicht mehr gewesen und dass er jetzt ausgerechnet einen Mann als Blitzableiter benutzte, der ihm früher schon des Öfteren fast Angst eingejagt hatte, überraschte ihn selber. Als er endlich seinen Blick abwandte, bemerkte er, dass auch Fornell ihn mit offenem Mund anstarrte. Hoffentlich war er nicht zu weit gegangen, doch wenn er ehrlich war, es fühlte sich verdammt gut an, sich endlich einmal Luft gemacht zu haben. „Und jetzt möchte ich mit dem Arzt sprechen“, setzte er mit fester Stimme hinzu. „Können Sie mir sagen, wo ich den finde?“

 

Fornell gab ihm die gewünschte Auskunft und verabschiedete sich dann. McGee dankte ihm noch einmal für seine Unterstützung und versprach ihm, ihn auf dem Laufenden zu halten. Danach holte er tief Luft und wandte sich wieder an Eli, der bislang noch keinen Ton zu seinem Ausbruch gesagt hatte: „Wäre es zuviel verlangt, wenn ich Sie bitte, dass Sie in Tony´s Zimmer auf mich warten, bis ich mit dem Arzt gesprochen habe? Im Moment ist dort gerade niemand zur Bewachung abgestellt und man weiß ja nie…“

 

Eli David musterte McGee mit seinem berühmten unergründlichen Blick, doch dieses Mal ließ sich Tim nicht davon aus der Fassung bringen.

 

„Was ist nun? Machen Sie es, oder muss ich mich um jemand anderen bemühen?“

 

Nach einer kurzen Pause antwortete Eli schließlich: „Machen Sie sich keine Sorgen. Ich werde Ihren Kollegen nicht aus den Augen lassen.“

 

„Das hoffe ich“, konnte Tim sich nicht verkneifen hinzuzufügen, bevor er sich mit entschlossenem Blick auf den Weg zum Ärztezimmer machte. Er spürte die Blicke des Mossaddirektors in seinem Rücken und gestattete sich, ein kleines triumphierendes Lächeln um seine Lippen spielen zu lassen.

 

 

10.20 Uhr – in Rebekkas Wagen

   

Rebekka raste mit unverminderter Geschwindigkeit durch die Straßen von Washington. Immer wieder riskierte sie einen Blick in den Spiegel. Einige Male hatte sie schon gehofft, die lästigen Verfolger abgehängt zu haben, doch der Wagen war dummerweise immer wieder aufgetaucht. Sie war sich inzwischen sicher, dass in dem Auto die NCIS-Agenten saßen. Einmal war der Wagen sogar so nahe herangekommen, dass sie diese Nutte Ziva David hinter dem Steuer hatte erkennen können, doch nach wie vor war sie davon überzeugt, dass Ziva ihr nicht das Wasser reichen konnte. Diese Schlampe hatte sich nicht nur mit einem Amerikaner eingelassen und ihren Bruder verraten, nein, schlimmer noch, sie hatte ihre Identität verraten, indem sie selber Amerikanerin geworden war. Und mit Amerikanern wurde sie noch allemal fertig! Es wunderte sie nur, dass Eli David so plötzlich auf den Plan getreten war – damit hatte sie nicht gerechnet. Der Mann war Direktor des Mossad. Bislang hatte sie den Mann als absolut integer eingeschätzt, aber offenbar hatte sie sich doch in ihm getäuscht. Er musste doch eigentlich wissen, dass er seine Tochter in dem Moment verloren hatte, als sie sich dafür entschied, mehr zu sein als nur ein Verbindungsoffizier zwischen Israel und Amerika.

 

Verbissen trat Rebekka das Gaspedal durch und preschte links auf den Bradley Blvd. und von dort aus dann weiter die Goldsboro Rd. hinunter. Dabei zwang sie sich zur Ruhe. Sie wusste, wenn sie sich von ihren Gefühlen leiten ließ, dann war das der Anfang vom Ende. Gefühle bedeuteten Ärger! So hatte man es ihr beigebracht und mit dieser Einstellung war sie bislang prima durchs Leben gekommen. Als sie Tony in dem einsamen Haus gequält und gefoltert hatte, ja, da hatte sie sich Gefühle erlauben dürfen, doch da war sie in Sicherheit gewesen. Sie schnaubte kurz auf. Eine trügerische Sicherheit, dank Aaron. Aber gewisse Fehler machte man nur einmal!

 

Nun, sie hoffte, dass die Haken, die sie mit dem kleinen, wendigen Wagen wie ein Hase schlug, Früchte tragen und Ziva David endlich abhängen würden. Schon wieder zwang sie das Auto in eine scharfe Linkskurve und fädelte sich danach scheinbar mühelos in den dichten Verkehr auf der Red River Road ein. Mit halsbrecherischem Tempo schoss sie an etlichen verschreckten Autofahrern vorbei, die ihrem Unmut über die verrückte Verkehrsteilnehmerin des Öfteren mit erhobenen Fäusten Luft machten. Pah, Amerikaner, dachte sie verächtlich bei sich und registrierte im gleichen Augenblick erfreut, dass ihre Verfolger nicht mehr zu sehen waren. Autofahren konnten sie also auch nicht.        

 

 

10.27 Uhr – bei Gibbs und Ziva

  

„Wo ist sie, Gibbs?“ schrie Ziva, während sie mit unverminderter Geschwindigkeit weiterraste. „Ich seh´ sie nicht mehr!“

 

Der hatte schon mitbekommen, was los war und brüllte wutentbrannt in sein Handy: „Wo befindet sich der verfolgte Wagen? Mann, Sie sollen uns doch auf dem Laufenden halten!“ Die Vorstellung, dass diese Frau ihnen womöglich wieder entkommen sollte, raubte ihm den letzten Nerv.

 

Kleinlaut meldete sich die Stimme am anderen Ende der Leitung. „Ich wollte sie eben informieren  -  das Auto fährt jetzt auf der Western Avenue in Richtung Delacarlia Pkwy. Sie sind ca. ¼ Meile hinter ihm.“

 

„Die nächste Meile immer geradeaus, Ziva“, befahl Jethro, während er angestrengt den Verkehr beobachtete. Einige Augenblicke später kontaktierte er wieder den Mitarbeiter der Verkehrsüberwachung: „Geben Sie einen Aufruf an alle Verkehrsstreifen heraus. Wenn der verfolgte Wagen gesichtet wird, müssen die Leute äußerst vorsichtig vorgehen. Die Fahrerin ist extrem gefährlich, bewaffnet und sie wird ihre Waffe auch rücksichtslos einsetzen. Unter Garantie schreckt sie auch nicht davor zurück, irgendwelche Passanten oder Polizisten zu töten, wenn sie dadurch einen Vorteil gewinnt. Wenn es möglich ist, sollen sie einfach versuchen, sie von den vielbefahrenen Straßen wegzulotsen. Aber Vorsicht! Sie weiß, dass sie verfolgt wird, aber sie darf sich nicht in die Enge getrieben fühlen! Sie darf auf keinen Fall durchdrehen – erst müssen wir sie in einer ruhigeren Gegend haben.“

 

„Was ist mit Straßensperren? Wenn wir ihre ungefähre Richtung kennen, könnten wir durchaus auf die Schnelle einige Straßensperren errichten“, bot die Stimme aus dem Handy eilfertig an. Offenbar wollte der Mann immer noch seinen Faux Pas von vorhin ausmerzen.

 

„Keine Straßensperren, hören Sie mir nicht zu? Das ist zu gefährlich! Sie wird sich bedrängt fühlen und die Straßensperren einfach durchbrechen. Und dann Gnade dem, der sich in dem Augenblick in der Nähe des Wagens aufhält!“

 

„Okay, ich werde ihre Anweisungen 1:1 so weitergeben“, sagte der Beamte frustriert.

 

„Davon gehe ich aus“, konstatierte Gibbs trocken.

 

„JA!“

 

Der energische Ausruf Ziva´s ließ ihn seine Aufmerksamkeit wieder auf die Straße lenken.

 

„Wir haben sie wieder, Gibbs! Siehst du, da vorne vor dem grauen Pontiac, das ist sie!“

 

„Sehr gut.“ Befriedigt nickte Gibbs und rieb sich unwillkürlich mit der linken Hand über seine verletzte Schulter. „Sieh´ zu, dass wir sie nicht wieder aus den Augen verlieren.“

 

„Darauf kannst du einen lassen, Boss.“

 

 

10.34 Uhr – in Rebekka´s Wagen

 

Mittlerweile jagte Rebekka seit fast 10 Minuten den McArthur Blvd. hinunter in Richtung Canal Rd. Sie hatte einige Streifenwagen bemerkt, die ihr seit kurzem folgten. Einer wollte sich ihr nähern, aber sie hatte mit eiskalter Rücksichtslosigkeit einen älteren Cadillac an die Mittelleitplanke gedrängt, der sich daraufhin um sich selbst gedreht und eine weitere Massenkarambolage verursacht hatte. Daraufhin hatten die Polizeiwagen Abstand gehalten. Doch nach einem weiteren Kontrollblick in den Rückspiegel hatte sie feststellen müssen, dass der Wagen der verhassten NCIS-Agents immer noch hinter ihr klebte, wenn auch in einiger Entfernung. Und sie hätte wetten mögen, dass mittlerweile auch Zivilstreifen auf den Straßen unterwegs waren, die nichts anderes taten, als nach ihr Ausschau zu halten.

 

„Verflucht“ brüllte sie und schlug mit der Faust so fest auf ihr Lenkrad, dass sie die darauf folgenden Vibrationen noch einige Sekunden nachfühlen konnte. Gleich darauf riss sie sich jedoch wieder zusammen. Ruhig, versuchte sie sich einzutrichtern. Du musst nur die Ruhe bewahren! Noch hast du alle Trümpfe in der Hand. Sie werden nicht versuchen, dich hier zu stellen, da sie sicher keine weiteren Leben gefährden wollen. Ein irres Lächeln umspielte ihre Lippen. Das war ihr großer Vorteil! Diese dämlichen Amis hatten einfach immer noch nicht begriffen, dass man gewisse Kollateralschäden in Kauf nehmen musste, wenn man einen Krieg gewinnen wollte. Ihre Gegner hatten vielleicht ein Gefecht gewonnen, als es ihnen gelungen war, den Mörder ihres Bruders aus dem Keller zu befreien – aber den Krieg…nein, den würden sie ganz sicher nicht gewinnen!

 

 Inzwischen war sie sich so gut wie sicher, dass ihre Flucht aus der Luft beobachtet wurde, vermutlich von einem Verkehrs- oder Polizeihubschrauber, den ihre Verfolger angefordert hatten und der nun ihre laufenden Positionswechsel postwendend an ihre Verfolger auf dem Boden weitergab. Das machte es den Idioten natürlich möglich, einen gewissen Sicherheitsabstand zu ihr zu wahren und sie trotzdem nicht aus den Augen zu verlieren, doch Rebekka war sich völlig klar darüber, dass diese Tatsache gleichzeitig ihre Flucht noch schwieriger gestaltete. Verdammt, wenn sie sich doch nur etwas besser in der Stadt auskennen würde, doch leider war ja immer Aaron derjenige gewesen, der alle Botengänge und Erledigungen für den Trupp erledigt hatte. Wenn sie ehrlich wäre, müsste sie zugeben, dass das durchaus in ihrem Sinne gewesen war und sie ihrem Ex-Freund diesen Part nur zu gerne überlassen hatte, doch Rebekka war schon längst nicht mehr in der Verfassung, rational zu überlegen. So steigerte sie sich nur wieder in eine immense Wut auf Aaron hinein, dem sie die Zügel überlassen hatte, was sich jetzt zu rächen drohte.

 

Die Schlinge zog sich unaufhörlich zu. Irgendwann würden ihre Verfolger zuschlagen und sie einkreisen. Gegen eine vielfache Übermacht würde sie sich nicht behaupten können, egal was sie unternehmen würde. Fieberhaft dachte Rebekka nach, während sie vor Wut mit den Zähnen knirschte und das Gaspedal bis zum Anschlag durchtrat. Ihr musste etwas einfallen – und zwar schnell! Noch gab sie sich nicht geschlagen! Noch nicht!

 

 

10.45 Uhr – In Tony´s Krankenzimmer – Bei Eli

 

Nachdenklich betrachtete Eli die stille Gestalt in dem Bett vor sich. Selbst ihn hatte erschüttert, was DiNozzo in den letzten beiden Tagen alles hatte ertragen müssen. Er hatte ihn nur einmal persönlich getroffen – in dem `Versammlungsraum´ im Mossad-Hauptquartier wie er es genannt hatte – als er ihn über die Umstände zu Michael Rivkin´s Tod verhört hatte. Damals hatte er diesen Italo-Amerikaner gravierend unterschätzt. Etwas, das ihm in seinem langen Berufsleben nur sehr, sehr selten passiert war. Er hatte geglaubt, diesem Clown, der anscheinend Nichts und Niemand wirklich ernst nehmen konnte, in kürzester Zeit ein Fehlverhalten nachweisen zu können und ihn damit endgültig in Aus zu bugsieren. Die Beziehung zwischen ihm und seiner Tochter war ihm schon lange ein Dorn im Auge gewesen. Aber DiNozzo hatte ihn eiskalt ausgekontert und Ziva…tja, Ziva hatte DiNozzo nach der Geschichte mit Michael Rivkin sicherlich gehasst, doch nachdem er sie aus Somalischer Gefangenschaft befreit hatte, hatte sich das Blatt wieder peu á peu gewendet und mittlerweile hatte sich seine Tochter nur noch mehr von ihm entfernt. Wenn er ehrlich zu sich selber war, musste er zugeben, dass sie ihn mied, wo sie nur konnte und er konnte es ihr nicht mal übelnehmen. Obwohl, es tat weh, denn schließlich liebte er sein Kind – auch wenn er es ihr nie so hatte zeigen können. Er verstand nicht, wie dieser Gibbs das anstellte. Der Senior Agent war gewiss auch kein Mann vieler Worte und so wie er es bis jetzt mitbekommen hatte, hielt er sich auch nicht groß mit Gefühlsduseleien auf. Und doch war es dem Mann gelungen, ein Verhältnis zu seiner Tochter aufzubauen, das einer Vater-Tochter-Beziehung viel näher kam, als ihr Verhältnis zu ihm, ihrem wirklichen Vater. Und dabei hieß es immer, Blut sei dicker als Wasser. Nun, in seinem Fall wohl nicht, so bedauerlich das auch war.

 

Eli seufzte kurz und seine Gedanken wandten sich wieder DiNozzo zu. So ganz war er sich nie im Klaren darüber gewesen, was wirklich zwischen diesem Mann und seiner Tochter war. Mal schienen sie ein sehr enges Verhältnis zu haben, besonders in der Zeit, als Gibbs den NCIS verlassen hatte, schien dies so gewesen zu sein, dann stritten sie wieder und jeder hatte anscheinend andere Beziehungen. Auf jeden Fall hatte er diesen Mann, der sich manchmal benahm wie ein pubertierender 16-jähriger, nie als gut genug für seine Tochter erachtet. Aber auch darin lag er anscheinend nicht richtig, denn Anthony DiNozzo hatte sich als stärker erwiesen, als er es je vermutet hätte. Vermutlich nannte ihn Gibbs nicht umsonst „seinen besten Mann“. Außerdem hatte DiNozzo sein eigenes Leben riskiert, um seine Tochter aus Somalia zu befreien, obwohl er damals wusste, dass sie ihn sicherlich nicht mit offenen Armen empfangen würde. Ihm musste wirklich viel an Ziva liegen.   

 

Eli hatte nie wirklich aufgehört, seine Tochter zu be- und überwachen und so besaß er inzwischen mehr Fotodokumente eines glücklichen Paares, als ihm lieb war. Nur…wenn er sich die Bilder in Erinnerung rief und genauer darüber nachdachte: Er konnte sich nicht daran erinnern, dass Ziva je glücklicher und gelöster gewirkt hatte, als auf diesen Fotos, die allesamt in den letzten Monaten entstanden waren. Sie liebte diesen Mann, und sie würde nie von ihm lassen, egal was er dafür oder dagegen vorbrachte. Damit hatte er sich abzufinden.

 

Aber würde Tony überhaupt noch dieser Mann sein, wenn er wieder aufwachte? Oder nur ein sabberndes Etwas ohne Verstand und Bewusstsein?  -  Plötzlich blickte Eli überrascht auf! Er hatte in diesem Moment „Tony“ gedacht und nicht DiNozzo. Mit einem müden Lächeln erhob er sich ein wenig schwerfällig aus seinem Stuhl. Er war auch nicht mehr der Jüngste und der gestrige und heutige Tag hatten ziemlich an seinen Kraftreserven gezehrt. Der Jetlag tat sein Übriges dazu und im Augenblick fühlte er sich alt und erschöpft. Sein Akku war leer und vielleicht…ja, vielleicht sollte er ganz einfach aufhören, dagegen anzukämpfen. Langsam trat er an Tony´s Bett und sah eine Zeit lang in das blasse Gesicht des Geliebten seiner Tochter. Dann wandte er sich ab, stellte sich vor das Fenster und ließ seinen Blick in die Ferne schweifen, wo er seine Tochter auf der Jagd nach Rebekka wusste. In eine Ferne, die – wie er sehr gut wusste – für Ziva inzwischen gleichbedeutend mit „zu Hause“ war. Sie, die Tel Aviv wie ihre Westentasche gekannt hatte, war nun hier, in DC, zu Hause. Und wenn er nicht aufpasste, würde sie ihn bald völlig aus ihrem Leben verbannen. War es das, was er wollte? Nein, ganz gewiss nicht, aber wenn er etwas dagegen tun wollte, musste er sein Herz sprechen lassen und eine Entscheidung fällen.

 

In dieser Sekunde beschloss Eli David, den beiden seinen Segen zu geben, wenn Tony wieder gesund werden sollte. Er hatte in der Vergangenheit im Falle seiner Tochter schon zu viele Fehler gemacht und er wollte sie auf keinen Fall ganz verlieren. Irgendwann, in nicht allzu weiter Zukunft, würde er ein alter Mann sein   -   und er hatte Angst vor dem Alleinsein. Zu wissen, dass Ziva – selbst wenn sie tausende von Meilen von ihm entfernt wohnte – wenigstens in Gedanken hin und wieder bei ihm war, würde ihm helfen. Aber nur, wenn er sich sicher sein konnte, dass sie positiv an ihn dachte. Und vielleicht würde sie ihn sogar ab und zu besuchen. Er fuhr sich mit den Händen über das Gesicht. Großer Gott: Ich werde wirklich noch weich auf meine alten Tage, dachte er.

 

Kapitel 47

10.48 Uhr – bei Gibbs und Ziva

 

„Der gesuchte Wagen ist jetzt auf der Canal-Rd. und passiert in diesem Moment die Key Bridge“, kam die Stimme aus Gibbs´ Handy, das der mittlerweile auf „laut“ gestellt hatte, damit Ziva direkt mithören konnte. „Moment…“ Der Mann machte eine kurze Pause, bevor er schließlich weitersprach: „Okay, er  fährt weiter auf dem Whitehurst Fwy. NW“, gab er dann bekannt. Ziva nickte grimmig und konzentrierte sich darauf, die Auffahrt zur Key Bridge nicht zu verpassen.

 

Obwohl die Israelin Vollgas fuhr, ging es Gibbs nicht schnell genug. Bereits zum wiederholten Male schlug er mit der Faust auf das Armaturenbrett und klebte förmlich mit der Nase hinter der Windschutzscheibe, stets  Ausschau nach Rebekka´s Wagen haltend. Mann, wie sehr wünschte er sich, selber hinter dem Steuer sitzen zu können – Ziva fahren lassen zu müssen, machte die Situation für ihn schier unerträglich, wobei dies nichts mit Ziva zu tun hatte, sondern einfach damit, dass er hier kaltgestellt auf dem Beifahrersitz ausharren musste und nichts tun konnte. Bei Gott, er kam sich vor wie ein lahmender Gepard auf der Jagd – hungrig bis zum geht nicht mehr, sich jedoch in jeder Sekunde der Gefahr bewusst, dass ihm die Beute mal wieder durch die Lappen gehen könnte. Es war zum verrückt werden. Das einzig Gute an dieser Situation war, dass diese Hexe Tony im Moment definitiv nicht zu nahe kommen konnte.

 

„Schneller geht’s nicht, Gibbs!“, rechtfertigte sich Ziva automatisch, die natürlich bemerkte in welcher Verfassung ihr Chef war. „Glaub mir, wenn ich könnte, würde ich schneller fahren! Aber wir haben schon ein wenig eingeholt!“

 

„Aufgeholt“, verbesserte Gibbs automatisch, ohne den Blick von der Straße vor ihm zu nehmen.

 

'Das kann ja wohl nicht wahr sein! Jetzt verbessert mich sogar schon Gibbs! Mann, das hätte er sich jetzt echt verkneifen können!´  Aggressiv hämmerte Ziva auf die Hupe, um ein Fahrzeug, das nach ihrem Empfinden geradezu unerträglich langsam vor ihrem Wagen über die Straße schlich, zur Seite zu scheuchen und raste, nachdem der Fahrer sein Auto erschrocken fast in den Graben gelenkt hatte, mit einem Affenzahn weiter hinter Rebekka her. In diesem Augenblick meldete sich laut und vernehmlich ihr Handy. Sie registrierte den grimmigen Seitenblick von Jethro und blitzte mindestens ebenso grimmig zurück. Noch hatte sie ihrem Boss die überflüssige Verbesserung nicht verziehen. „Du erwartest jetzt nicht im Ernst, dass ich das Gespräch annehme?“, zischte sie. Als Gibbs sie nur weiter wortlos anstarrte, forderte sie ihn unmissverständlich auf: „In meinem Rucksack!“

 

In ihrem Rucksack  -  den die Israelin beim hektischen Einsteigen in den Wagen nur achtlos auf die Rückbank gepfeffert hatte. Gibbs knurrte einen leisen Fluch, der für Ziva glücklicherweise nicht zu verstehen war, und versuchte krampfhaft mit seinem gesunden Arm das lange Schulterband zu packen. Die unnatürlichen Verrenkungen bescherten ihm wieder einige schmerzhafte Stiche durch seine verletzte Schulter, doch er ignorierte diese, so gut er konnte. Endlich gelang es ihm, den Rucksack zu packen und er zerrte ihn nach vorn. In diesem Augenblick hörte das nervtötende Klingeln auf. Natürlich! Was sonst?

 

„Mach schon, sieh nach“, sagte Ziva ungeduldig und voller Angst, dass das Krankenhaus womöglich weitere schlechte Nachrichten von Tony für sie hatte. „In der Innentasche.“

 

Gibbs fingerte das Mobiltelefon heraus, warf einen kurzen Blick auf das Display und drückte die Rückruftaste. „Ja? Tim? Was ist los?“ Er hörte einen Augenblick lang zu und brummte dann: „Was du nicht sagst. Als ob wir das nicht schon wüssten! Mann, wir hetzen seit einer halben Stunde hinter diesem Wagen her! Was ist mit Tony?“ Wieder lauschte er kurz, bevor er das Gespräch schließlich ohne Verabschiedung beendete, nach seinem Gerät griff und den Mann am anderen Ende anpflaumte: „Gibt´s was Neues?“

 

Auf die Auskunft, dass das nicht der Fall war, murmelte er nur wieder einige unverständliche Flüche vor sich hin. Damit beunruhigte er Ziva auf´s Äußerste: „Ist was mit Tony? Nun sag schon!“

 

„Nein, nein, alles in Ordnung – soweit man das eben sagen kann. McGee und dein Vater sind jetzt in der Klinik. Tim wird gleich zu ihm gehen.“

 

Ziva atmete hörbar auf. „Was war denn los?“, wollte sie dann wissen.

 

„Die Polizei von Woodbridge hat ihm Wald vor der Stadt eine Leiche gefunden. Es hat etwas gedauert, bis man den Mann identifizieren konnte, da er erst kürzlich zugezogen war, aber…na ja, lange Rede kurzer Sinn: Es muss sich um den Unglücksraben handeln, der Rebekka unwissentlich zur Flucht verholfen hat. Sein Wagen fehlt und jetzt wollten sie uns mitteilen, dass Rebekka wahrscheinlich mit einem dunkelblauen Toyota Corolla, Baujahr 96 unterwegs ist. Brauchst du das Kennzeichen?“, schloss er ironisch.

 

Die letzte Frage kommentierte Ziva mit einem erbosten Schnauben, bevor sie sich wieder auf die Straße konzentrierte. Bei all´ dem Chaos war sie nur unendlich erleichtert, dass Tony nicht schon wieder einen Rückschlag hatte hinnehmen müssen. Sie hatte schon befürchtet, dass…

 

 

10.51 Uhr – Bethesda Hospital – Vor Tony´s Zimmer

 

Beim Verlassen des Arztzimmers strich sich McGee müde über die Augen. Das, was Dr. Forster ihm über Tony´s Zustand mitgeteilt hatte, war sowohl beruhigend, als auch beängstigend. Beruhigend, weil es so schien, als habe Tony die erneute Krise – wenn man das überhaupt so nennen konnte- endgültig überstanden und beängstigend, weil noch niemand Genaueres sagen konnte, wie er Rebekkas letztes Attentat auf sein Leben überstanden hatte.

 

Mit etwas schleppenden Schritten machte er sich auf den Weg zum Zimmer seines Freundes. Er brauchte einen Moment, um sich und seine Gefühle unter Kontrolle zu bringen. Die Vorstellung, dass Tony womöglich durch die lange Unterbrechung der Sauerstoffzufuhr nunmehr eine leere Hülle war, die zwar lebte, aber ansonsten nichts mehr mitbekam, versetzte ihn fast in Panik. Er wollte diesen Gedanken am liebsten auch garnicht an sich ranlassen, doch er war realistisch genug, sich einzustehen, dass diese Gefahr bestand. Dr. Forster hatte diese Möglichkeit sehr geschickt im klassischen Medizinerstil um- und beschrieben, doch alles, was der Mann gesagt hatte, lief darauf hinaus, dass Tony unter Umständen nie mehr derselbe sein würde. Außer abzuwarten, bis er aufwachte, konnte man im Augenblick nichts weiter für seinen Kollegen tun. Erst dann würde man klarer sehen und konnte eine weitere Behandlung in die Wege leiten. Das beste an den Auskünften des Arztes war noch, dass man auf Tony´s Aufwachen wahrscheinlich nicht allzu lange würde warten müssen, denn durch die unvorhergesehenen Ereignisse, hatte man die Medikamente für das künstliche Koma absetzen müssen und von daher war es nur eine Frage der Zeit, bis DiNozzo wieder zu sich kommen musste. Hoffentlich! Die Vorstellung, dass sein alter Freund nie mehr seine Späßchen mit ihm treiben würde, machte Tim mehr Angst, als er je vermutet hatte. Wie oft hatten seine Nerven blank gelegen – wie oft hatte Tony ihn mit seinen Mc-Varianten in den Wahnsinn getrieben und wie oft hatte er sich dennoch als wahrer Freund erwiesen. Er wollte einfach nicht glauben, dass das alles vorbei sein könnte.

 

Vor Tony´s Zimmertür blieb er noch einen Moment lang stehen und sammelte sich. Auf der Station war inzwischen wieder Ruhe eingekehrt und alles schien seinen normalen Gang zu laufen. Kaum zu glauben, was hier vor einer knappen Stunde noch los gewesen war. Aber so war es ja immer: Das Leben ging weiter. Manchmal blieb dabei jemand auf der Strecke und die Hinterbliebenen hatten länger daran zu knabbern, aber unterm Strich ging es einfach weiter. Noch einmal schickte Tim ein Stoßgebet gen Himmel, dass dieses Mal nicht auch er zu den Trauernden gehören möge.

 

Sein Handy meldete sich und Tim verzog das Gesicht. Ausgerechnet jetzt! Doch natürlich nahm er das Gespräch entgegen. Es war Fornell, der ihm mitteilte, was er von der Polizei in Woodbridge erfahren hatte. McGee bedankte sich und gab die Informationen pflichtgetreu direkt an seinen Boss weiter. Dessen wütende Reaktion verwunderte ihn nicht, denn irgendwie war in diesem Fall tatsächlich alles quer gelaufen, was nur schiefgehen konnte. Rebekka Rivkin war ihnen immer einen Schritt voraus gewesen. Zunächst, weil ihnen die nötigen Informationen gefehlt hatten, dann, weil die so dringend benötigten Ermittlungsergebnisse immer einen Tick zu spät kamen und manchmal hatten sie auch schlichtweg nur Pech gehabt. Sicher, das kam immer mal vor, doch ausgerechnet dieses Mal hätte es fast fatal geendet. Konnte es immer noch fatal enden, rief er sich ins Gedächtnis, je nachdem, wie sich Tony´s Zustand nach dem Aufwachen abzeichnete. Zu gerne hätte er etwas über den Stand der Verfolgungsjagd erfahren, doch Gibbs hatte ihm keine Chance gelassen. Na ja, er schätzte dass sein Boss und Ziva gerade alle Hände voll zu tun hatten. Wenigstens konnte er sicher sein, dass hier im Augenblick keine akute Gefahr mehr drohte. Das war doch auch schon etwas.

 

Entschlossen drückte Tim die Klinke herunter und betrat mit festen Schritten das Krankenzimmer seines Freundes.

 

 

10.53 Uhr – in Rebekka´s Wagen   

 

Rebekka begegnete während ihrer halsbrecherisch anmutenden Flucht immer mehr Fahrzeugen mit Blaulicht in immer kürzeren Abständen, doch noch startete niemand einen ernsthaften Versuch, sie einzukesseln oder gar zu stoppen. Sie wurde zusehends misstrauischer und machte sich Gedanken, wie wohl die Anweisungen der Beamten lauten mochten. Andererseits konnte ihr das nur recht sein, denn so bewahrte sie sich wenigstens die Möglichkeit, die Amerikaner wiederum austricksen zu können. Ein besorgter Blick auf die Tankanzeige des Corolla ließ sie die Stirn runzeln. Die rote Nadel stand kurz vor Reserve – allzu viel Zeit blieb ihr nicht mehr.

 

Ein Blick nach vorn in Richtung K-Street zeigte ihr, dass dort gerade einige Streifenwagen eintrafen. Verdammt, wollten die jetzt etwa doch Straßensperren einrichten oder hatten die Verrückten vielleicht sogar vor, sie mit ihren Fahrzeugen stoppen zu wollen? Nun gut, an ihr sollte es nicht liegen. Wenn die unbedingt auf eine direkte Konfrontation aus waren, sollten sie sie haben.

 

Mit unverminderter Geschwindigkeit schoss die Israelin auf die Streifenwagen zu, als sie im allerletzten Augenblick aus den Augenwinkeln die Abzweigung auf den Rock Creek and Potomac Pkwy. wahrnahm. Sie brachte einige Autofahrer einem Herzinfarkt nahe, als sie den Corolla buchstäblich in der letzten Sekunde zum abbiegen zwang und dabei einige entgegenkommende Fahrzeuge, die das hektische Winken der Streifenbeamten entweder übersehen oder aber einfach nicht beachtet hatten, in arge Bedrängnis brachte. Blech rieb sich laut kreischend an Blech und der so von dem Corolla touchierte Wagen drehte sich einmal um die eigene Achse, bevor er schließlich mitten auf der Kreuzung stehenblieb und einem Verfolgerfahrzeug den Weg versperrte.

 

Rebekka jubelte innerlich auf. JA! Wieder einmal war es ihr gelungen, ihren Häschern ein Schnippchen zu schlagen. Sie konnte ihr Glück kaum fassen.

 

Allerdings kannte sie sich in Washington zu wenig aus, um wissen zu können, dass dieser Parkway leicht zu einer Sackgasse werden konnte. Rechts floss der Potomac in seinem Bett und linker Hand befand sich der Watergate-Komplex. Auf der langen Gerade gab es keinerlei Abbiegemöglichkeit, doch Rebekka machte sich keine Gedanken, dass ihr dies womöglich zum Verhängnis werden könnte. Exakt diese Überheblichkeit sollte sich kurz darauf bitter rächen.

 

Nachdem Rebekka schon ein gutes Stück weit die Straße entlang geprescht war, fiel ihr plötzlich auf, dass ihr keineinziges Fahrzeug mehr entgegen kam und sie blickte alarmiert nach vorn. Gerade jedoch, als sie sich Gedanken darüber machen wollte, ob das evtl. vielleicht sogar normal sein konnte, bog am Ende des Parkway ein Hummer in die Straße ein und raste ihr mitten auf der Fahrbahn entgegen. Nach einer kurzen Schrecksekunde wurde ihr bewusst, dass sie in die Falle gegangen war. Die Beamten hatten anscheinend postwendend den Parkway für Fahrzeuge aller Art gesperrt und wollten ihr nun mit einem Wagen trotzen, dessen Stabilität in etwa vergleichbar mit der eines kleinen Panzers war. Da machte sie sich nichts vor.

 

„Verdammter Mist!“, fauchte sie und ein schneller Blick in den Rückspiegel verdeutlichte ihr, dass ihr inzwischen auch schon der Rückweg abgeschnitten war. Ein Streifenwagen schien Meter für Meter näherzukommen und gerade bog auch der Wagen der verhassten NCIS-Agenten in die Straße ein. Rebekkas Kiefer mahlten aufeinander und der metallische Geschmack von Blut zeigte ihr, dass sie sich offenbar die Lippe blutig gebissen hatte. Ihr Blick richtete sich wieder auf den Weg vor sich und sie registrierte, dass der Hummer und ihr Corolla sich unaufhaltsam annäherten. `OH NEIN! So gehe ich nicht unter! SO NICHT!´

 

„Ihr verdammten Schweine! Ihr kriegt mich nicht!“, schrie sie laut auf und riss im selben Moment das Steuer scharf nach rechts. Einige Sekunden lang raste der Corolla unkontrolliert über den Grünstreifen, schoss dann über die Uferbrüstung, hob ab und klatschte mindestens fünfzehn Meter weiter in das kalte Wasser des Potomac.

 

 

Kapitel 48

10.54 Uhr – Bethesda Hopital – In Tony´s Zimmer

 

Eli David saß etwas seitlich auf einem Besucherstuhl und blickte McGee fragend entgegen, als dieser das Zimmer betrat. Tim nickte dem Mann nur kurz zu und trat zunächst einmal an Tony´s Bett. Wenn er ehrlich zu sich selber war, musste er zugeben, dass sein Freund mehr als furchtbar aussah. Er atmete zwar jetzt alleine, doch eine Sauerstoffmaske, die mit einem blubbernden Behälter hinter Tony´s Bett verbunden war, leitete frischen, reinen Sauerstoff in seine malträtierten Lungen. McGee holte tief Luft und konnte es sich so gerade noch verkneifen, instinktiv nach Tony´s gesunder Hand zu greifen, um diese zu halten. Im letzten Augenblick hielt er sich vor Augen, wie das wohl auf den Direktor des Mossad wirken mochte und Schwäche wollte er – nach seinem Ausbruch von eben – vor diesem Mann ganz gewiss nicht zeigen. Langsam drehte er sich zu Eli David um.

 

„Ich danke Ihnen“, sagte er schlicht. „Dafür, dass Sie bei ihm geblieben sind.“

 

Der Anflug eines Lächelns zeigte sich auf dem Gesicht des Israeli. „Schon gut“, antwortete er und stand auf. „Ich werde Sie einen Moment mit ihm alleine lassen. Ich warte vor der Tür auf Sie.“

 

McGee nickte dankbar. Er wollte den Mann loswerden, hatte aber keine Ahnung gehabt, wie er das vorbringen sollte. Einfach rausschmeißen konnte er ihn ja wohl schlecht. In der Tür drehte sich Eli noch einmal zu ihm um:

 

„Gibt es etwas Neues von Ziva?“

 

„Nein, tut mir Leid. Ich wünschte, es wäre so, aber die Verfolgung läuft immer noch.“

 

Eli nickte und dann sagte er etwas, was McGee wirklich überraschte. „Ich hoffe für Rebekka, dass sie den Tod findet.“

 

„Was?“

 

„Diese Frau verdient den Tod. Wenn ich sie in die Finger kriege, wird sie sich auf jeden Fall wünschen, tot zu sein“, warf Eli trocken in den Raum. Er wartete McGee´s Antwort nicht ab, sondern schloss leise die Tür hinter sich.

 

„Wow!“ Sprachlos starrte Tim einen Moment lang auf die geschlossene Tür, bevor er sich wieder dem Bett zu wandte und zögernd nach DiNozzo´s Hand griff. Er traute sich kaum, seinen Freund zu berühren, so zerbrechlich wirkte dieser im Augenblick. „Mensch, Tony“, flüsterte er leise. „Mach bloß keinen Scheiß, hörst du.“

 

Sekundenbruchteile später ließ er Tony´s Hand erschrocken zurück auf das Bett fallen. Hatte er da etwas gespürt? Hatte Tony da gerade seine Hand gedrückt oder hatte er sich das nur eingebildet? Mit weit aufgerissenen Augen starrte er in das mittlerweile blau und grün verfärbte Gesicht. Und tatsächlich! DiNozzo´s Lider flatterten ein paar Mal, bevor er schließlich mühevoll die Augen öffnete und Tim mit einem grotesken, schiefen Lächeln im Gesicht anschaute:

 

„Hallo, McAngsthase“, sagte er undeutlich und gedämpft durch die Maske auf seinem Gesicht, aber doch verständlich. „Das klingt ja fast so…“ Er musste einen Moment warten und sog gierig den Sauerstoff in seine Lungen. „…als würdest du dir Sorgen um mich machen…“ Wieder eine Pause. „Ehrlich, ich bin gerührt.“

 

„Tony!“ Tim versagte die Stimme. Tränen schossen in seine Augen und er konnte nichts dagegen tun. Eine unendliche Erleichterung erfasste ihn und am liebsten hätte er Tony hoch- und in seine Arme gerissen, was natürlich nicht möglich war. So stand er nur fassungslos vor dem Bett seines Freundes, während ihm die Tränen die Wagen herunter liefen. Großer Gott, das würde ihm später sicher noch eine Menge Hohn und Spott seitens seines Freundes einbringen, aber das war ihm jetzt so was von egal! Tony war wach und, was noch viel wichtiger war, er schien Herr seiner Sinne zu sein! Eine größere Befriedigung hätte ihm sein Freund und Kollege gar nicht verschaffen können und er schämte sich seiner Tränen nicht.

 

„Hey“, murmelte Tony, während er gleichzeitig unbeholfen mit seiner gesunden Handversuchte, die Maske von seinem Gesicht zu entfernen, „Was ist denn passiert? Du bist ja völlig neben der Spur? Wo sind die anderen?“ Hinter jedem Satz musste er eine lange Pause machen, bevor er weitersprechen konnte und er klang immer noch sehr unklar und erschöpft, aber es war eindeutig Anthony DiNozzo, der da zu ihm sprach und nicht irgendein fremder Geist in Tony´s Körper.

 

„Lass die Maske auf, Tony“, antwortete Tim, griff nach der Hand seines Freundes und legte sie sanft aber bestimmt zurück auf die Laken. „Sie hilft dir beim atmen und deine Lungen…erinnerst du dich, dass du eine Lungenentzündung hast?“

 

Tony nickte schwach und röchelte: „Ja, verflucht! Mal wieder.“ Ein plötzlicher Husten schüttelte ihn und er verzog schmerzlich sein Gesicht. „Verdammt, Tim, was haben die mit mir gemacht? …Ich fühle mich, als hätte mich ein Bus überfahren.“

 

Die Tür zum Zimmer öffnete sich und Abby steckte ganz gegen ihre Gewohnheit vorsichtig den Kopf hinein. McGee winkte sie mit einer Hand heran.

 

„Komm, du hast Glück. Er ist eben wachgeworden.“

 

„Oh, Tony…“ Ein unterdrücktes Schluchzen entrang sich Abby´s Kehle als sie näherkam und McGee angstvoll anblickte. „Und? Ist er…Wir haben Dr. Forster getroffen – Ducky spricht noch mit ihm und Direktor David vor der Tür sagte…“

 

„Hallo? Ich bin hier“, kam es schwach aus dem Bett. „Sprecht mit mir! ...Was zum Teufel ist los mit euch? ...Gab es Komplikationen bei der OP?“

 

„Wir sollten dem Arzt Bescheid sagen, dass er wach ist“, meinte McGee.

 

„Tim, ich schwöre dir, sobald ich wieder dazu in der Lage bin, …..gehe ich dir an die Gurgel... und dann Gnade dir Gott. ...Du sagst mir jetzt sofort, ...was inzwischen passiert ist! Wo steckt eigentlich Ziva? ...Warum ist sie nicht hier?“ Wieder wurde Tony von einem heftigen Hustenanfall durchgerüttelt und McGee gab Abby ein Zeichen, Dr. Forster zu holen. Dann zog er sich einen Stuhl heran und setzte sich.

 

„Also gut“, fing er an. „Beruhige dich! Was ist das Letzte, woran du dich erinnerst?“...

 

 

10.55 Uhr – Am Ufer des Potomac  - Unmittelbar nach dem Unfall

 

Zwei Minuten später bremste Ziva mit quietschenden Reifen an der Unfallstelle. Gibbs und sie sprangen hektisch aus dem Wagen und rannten hinüber zur Uferböschung. Nur noch glucksende Luftblasen und sich immer weiter ausdehnende Wasserkreise wiesen darauf hin, wo der Wagen von Rebekka versunken war. Kurz hintereinander hielten noch mehrere Streifenwagen neben und hinter Ziva´s Wagen und die Beamten liefen zu den beiden NCIS-Agents. Fassungslos blickten alle auf die Stelle im Fluss, wo sich das Wasser langsam aber sicher schon wieder beruhigte. Fragend blickte Ziva ihren Boss an, während sie nervös von einem Fuß auf den anderen trat. Damit hatte sie nicht gerechnet. Sie war auf einen Zusammenstoß mit anschließendem Kampf eingestellt gewesen. Dass Rebekka sich ihr auf diese Weise entzog, war nicht nur frustrierend, sondern auch äußerst beunruhigend.

 

„Fordern Sie sofort Boote und Taucher an“, übernahm Gibbs das Kommando und fixierte einen der Polizisten mit seinem undurchdringlichen Blick aus stahlblauen Augen. Der so angesprochene Mann fühlte sich auch umgehend unbehaglich, was man an seinem Gesichtsausdruck deutlich ablesen konnte. „Ich will, dass der Wagen unverzüglich rausgeholt wird. Am besten sagen Sie den Verantwortlichen gleich, dass wir schweres Gerät benötigen. Ich will nicht, dass das erst hier vor Ort festgestellt wird. Wir dürfen keine Zeit verschwenden.“

 

Der junge Beamte nickte eifrig und machte sich sofort auf den Rückweg zu seinem Wagen, um über Funk Gibbs´ Forderungen durchzugeben. Ziva konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, dass der Mann froh war, den Schauplatz des Geschehens verlassen zu können.

 

Währenddessen blieben der Chefermittler und die ehemalige Mossad-Agentin am Ufer des Potomac stehen und starrten auf das nunmehr bis auf die Strömung schon wieder ruhig fließende Wasser. Sollte es das gewesen sein? Bedeutete das tatsächlich das Ende?

 

 

11.17 Uhr – Am Ufer des Potomac - Der erlösende Anruf

 

Die ersten Rettungs- und Bergungstrupps waren schnell vor Ort gewesen und mittlerweile waren die gesamte Straße und der Böschungsbereich voller Fahrzeuge. Gibbs wies gerade gemeinsam mit einem der Polizisten einen Kran an die richtige Position, denn man musste aufpassen, dass dieser auf der abfallenden Uferböschung festen Stand hatte, damit er während der Bergung des Corolla nicht selber in den Potomac abrutschte.

 

Ziva beschrieb gerade zwei Tauchern, die nun bereit waren, ins Wasser zu gehen, wie Rebekka aussah. An den ungläubigen Blicken der Männer konnte sie erkennen, dass diese das für völlig überflüssig hielten und prompt sagte der eine von ihnen:

 

„Hören Sie, Miss, wir verplempern hier nur Zeit. Lassen Sie uns lieber nach dem Opfer suchen.“

 

Der Israelin wurde fast schlecht, als sie hörte, wie der Mann Rebekka als „Opfer“ bezeichnete. Ihre Antwort fiel dementsprechend knapp aus: „Tun Sie, was Sie tun müssen, aber ich rate Ihnen, aufzupassen. Wenn diese Frau noch einen Funken Leben im Körper hat, wird sie versuchen, Sie zu töten. Ich möchte nur, dass Ihnen das klar ist.“

 

„Ist es“, war die arrogante Antwort. „Können wir jetzt los?“

 

Mit einer Handbewegung, die im ersten Augenblick so aussah, als wollte sie dem arroganten Schnösel eine knallen, entließ Ziva die beiden Männer, die daraufhin zielstrebig ins Wasser gingen. Die Israelin schlang die Arme um ihren Körper und fröstelte unwillkürlich. Scheiß Job, bei diesen Temperaturen, schoss es ihr durch den Kopf, als von hinten eine Stimme ertönte.

 

„Hey, in Ihrem Wagen klingelt ein Handy!“

 

Ziva zuckte wie unter einem Peitschenhieb zusammen. „Verdammt ...“ murmelte sie. In der Hektik hatte sie tatsächlich eben ihr Handy auf der Wagenkonsole, wo Gibbs es nach dem Telefonat hingelegt hatte, vergessen. Wie der Blitz stürmte sie zurück zum Wagen und riss das Handy förmlich an sich. Der schnelle Blick auf das Display verriet ihr, dass der Anruf von Tim kam. Sofort krampfte sich ihr Herz schmerzhaft zusammen. McGee war im Krankenhaus – bei Tony! Gott, hoffentlich war nicht wieder etwas passiert! Während sie Gibbs, der ihr bereits entgegenkam und sie fragend ansah, einen nervösen Blick zuwarf, nahm sie mit zittrigen Fingern das Gespräch an.

 

„Tim? Was ist?“, fragte sie mit rauer Stimme, zu mehr war sie nicht fähig. Die Angst schnürte ihr die Kehle zu.

 

„Er ist aufgewacht, Ziva! Tony ist okay! Er hat uns erkannt und er hat mich … McAngsthase genannt!“ Tim versagte die Stimme und Ziva hörte ihren Kollegen schwer schlucken. Als er dann weiter sprach, klang es, als müsste er die Tränen unterdrücken. „Er ist zwar noch sehr schwach, aber er ist klar im Kopf. Er mault sogar schon wieder und droht mir.“ 

 

Ziva schlug die Hand vor den Mund stieß ein schluchzendes Lachen aus. „Danke“, stieß sie undeutlich hervor.

 

Jethro, der inzwischen neben ihr stand,  riss die Augen auf und starrte ihr mit wild klopfendem Herzen ist Gesicht. Irgendwie konnte er diese Reaktion nicht deuten. Danke? Was hatte das zu bedeuten? Dieses ‚Danke’ konnte sowohl für gute, als auch für schlechte Nachrichten stehen. Verdammt, warum mussten Frauen sich bloß immer so unklar ausdrücken?

 

Doch im gleichen Augenblick fiel ihm Ziva auch schon um den Hals und flüsterte nur: „Er ist okay! Gibbs, oh mein Gott, er ist okay. Er hat McGee erkannt und...“ Ihr fehlten die Worte, aber mehr zu sagen war auch gar nicht nötig. Gibbs hatte verstanden und schloss sie fest in seinen gesunden Arm. Minutenlang hielt Ziva sich an ihm fest und schluchzte vor lauter Glück und Erleichterung an der Brust ihres Chefs. Der war ganz froh darüber, dass Ziva ihr Gesicht so fest an ihn drückte – konnte sie doch so nicht sehen, dass ihm ein, zwei Tränen über die Wangen liefen. Geschickt wischte er diese weg, indem er der Israelin mit zur Seite geneigtem Kopf über die Haare strich. Als sein Blick nach einer Weile wieder auf die Böschung fiel, wo gerade der Corolla unter lautem Getöse aus dem Wasser geborgen wurde, bemerkte er, dass einige der Polizisten ihnen schon etwas befremdliche Blicke zuwarfen. Sanft rückte er Ziva wieder ein Stückchen von sich weg.

 

„Ziva, hey Ziva, komm, beruhige dich. Lass uns das hier zu Ende bringen und dann fahren wir zu ihm, okay? Außerdem…wenn ich ehrlich bin, schreit meine Schulter nach einem Arzt.“

 

Die junge Frau schniefte noch ein paar Mal und drückte dann ihre Wirbelsäule durch. Erschrocken legte sie ihrem Boss eine Hand auf den Arm. „Meine Güte, Gibbs, das hatte ich ja völlig vergessen. Es tut mir Leid.“

 

„Muss es nicht. Setz dich schon mal in den Wagen. Ich regle das kurz.“

 

„Nein, ich komme mit“, stieß Ziva hervor und als Gibbs ihr daraufhin prüfend ins Gesicht sah, setzte sie hinzu: „Ich muss sie sehen. Mit meinen eigenen Augen.“

 

Kapitel 49

12.45 Uhr – Bethesda Hospital – In Tony´s Zimmer

 

Ziva saß an Tony´s Bett und hielt seine Hand. Das tat sie schon, seitdem sie gemeinsam mit Gibbs im Krankenhaus angekommen und umgehend zu ihrem Verlobten geeilt war. In seinem Krankenzimmer waren sie auf den Rest des Teams getroffen. McGee hatte ihnen mitgeteilt, dass Eli sich inzwischen verabschiedet hatte. Er wollte sich um die nötigen Formalitäten für die baldige Auslieferung Aaron Rosen´s kümmern und sehen, dass er zeitig genug alles in die Wege leitete, denn wie McGee ihnen erzählt hatte, hatte er vor, so bald wie möglich mit Rosen zusammen das Land zu verlassen. Die Israelin spürte einen leisen Hauch von Bedauern, dass ihr Vater nicht wenigstens abgewartet hatte, bis sie zurück war. Andererseits, sagte sie sich, wundert dich das? Nein, so ist er nun einmal. Und doch…in den letzten Tagen hatte er sie gleich mehrere Male überrascht. Wer weiß, vielleicht konnten Menschen sich ja doch ändern. Ihr Verlobter war schließlich ein leuchtendes Beispiel, was das anging. Unbewusst drückte sie sanft seine Hand und registrierte dankbar, den Gegendruck, während Tony sich leise mit seinem Boss unterhielt, der auf der anderen Seite des Bettes stand. Ducky und Abby standen am Fußende, während McGee an der Tür stand und aufpasste, dass niemand dem Zimmer zu nahe kam, denn eigentlich lautete die Anweisung der Ärzte, dass Tony lediglich einen kurzen Besuch von maximal 2 Personen bekommen durfte, da er noch sehr viel Ruhe benötigte.

 

Während der Fahrt ins Krankenhaus hatte sie Gibbs vergeblich davon zu überzeugen versucht, dass sie ihn zuerst in die Notaufnahme begleiten würde, doch in diesem Punkt hatte Jethro nicht mit sich reden lassen. Auch er wollte sich – ungeachtet seiner starken Schmerzen – zuerst mit eigenen Augen davon überzeugen, wie es Tony ging. Also hatte sie schließlich wider besseres Wissen klein beigegeben, obwohl sie sich inzwischen auch ernsthafte Sorgen um ihren Boss machte. Der Senior Agent wurde zusehends blasser, schwitzte und hatte offenbar stärkere Schmerzen, als er allen weismachen wollte. Andererseits hatte sie ihn natürlich verstanden und tatsächlich war ihr diese Variante sogar lieber, brachte sie sie doch direkt zu Tony. Und nie, niemals in ihrem Leben würde sie seinen Blick vergessen, als sie sein Zimmer betreten hatte. Es schien im Augenblick tatsächlich keine Stelle am Körper ihres Freundes zu geben, die nicht geschunden und malträtiert wirkte, außer seine wunderschönen grünen Augen, die nun endlich wieder offen waren und in die bei ihrem Anblick ein Leuchten trat, dass alle seine Verletzungen in den Hintergrund drängte.

 

„Ziva“, hatte er geflüstert. „Endlich! Ich bin so froh…“

 

Sie hatte sich schon sehr beherrschen müssen, sich nicht auf ihren Freund zu stürzen, sondern ihn so vorsichtig und sanft zu begrüßen, wie es sein Zustand erforderte. Jetzt holte ihn seine immer noch fremd klingende Stimme wieder zurück in die Gegenwart.

 

„Hey“, sagte er leise. „Du willst mich wohl gar nicht mehr loslassen?“

 

„Nein.“ Ziva lächelte leicht verlegen. „Am liebsten nicht. Dich kann man ja keinen Moment aus den Augen lassen. – Hey, Gibbs, was ist los mit dir?“ Sie hatte plötzlich bemerkt, dass ihr Boss leicht taumelte und rief erschrocken. „Tim, schnell, einen Stuhl!“

 

McGee verließ umgehend seinen Beobachtungsposten an der Tür und beeilte sich, einen Stuhl für seinen Boss zu organisieren, während Ducky und Abby auf Jethro zustürzten, um ihn rechts und links zu stützen. Vorsichtig halfen sie dabei, Gibbs auf einen Stuhl zu platzieren, der für einen kurzen Moment nicht ganz anwesend schien. Doch er wäre nicht Gibbs, wenn er sich nicht schnell wieder gefasst hätte. Mit seinem gesunden Arm versuchte er die helfenden Hände abzuwehren und grollte:

 

„Lasst das! Ich bin okay, es geht mir gut.“

 

„Das tut es nicht, Jethro“, widersprach Ducky. „Es wird jetzt wirklich Zeit, dass du behandelt wirst.“

 

„Gleich.“

 

„Nein!“ Ducky´s Stimme ließ keinen Zweifel mehr daran, dass er es ernst meinte. „JETZT. Ich kann es nicht verantworten, dass du noch länger wartest. Abby, siehst du bitte draußen nach, ob du einen Rollstuhl findest? Jethro, ich werde dich begleiten. Mach dir bitte keine Sorgen.“

 

„Ich mache mir keine Sorgen“, fauchte Gibbs ungehalten. „Und ich brauche keinen Rollstuhl. Meine Füße sind in Ordnung!“

 

„Natürlich.“ Ducky sprach nun in dem gleichen Tonfall, den er immer an sich hatte, wenn er mit seinen `Kunden’ in der Pathologie sprach und McGee musste unwillkürlich grinsen. „Trotzdem…ich bin Arzt und als solcher wirst du jetzt einmal in deinem Leben genau das tun, was ich dir sage. Haben wir uns verstanden?“

 

Gibbs Antwort war nicht mehr, als ein wütendes Knurren, doch er wusste ganz genau, dass er sich gegen seinen alten Freund nicht würde durchsetzen können. Also ergab er sich in sein Schicksal und ließ – wenn auch widerstrebend  - zu, dass McGee und Abby dabei halfen, ihn in einen Rollstuhl zu verfrachten. Danach verabschiedeten sich beide von Tony und mussten ihm versprechen, dass sie ihn später noch über das Ergebnis der Untersuchung unterrichten würden. Abby packte die Gelegenheit beim Schopf, sich auch zu verabschieden.

 

„Tja, Leute, ich sage es ja nicht gerne, aber ich muss auch los. Wahrscheinlich wartet im HQ schon eine Menge Arbeit auf mich. Ich schätze mal, dass der Wagen inzwischen dort angekommen ist und ich möchte nicht, dass andere daran herumfummeln.“

 

„Ich helfe dir“, bot McGee seiner Kollegin an.

 

„Gerne.“ Dankbar strahlte die Goth Tim an. Seitdem sie wusste, dass Tony das Schlimmste überstanden hatte, hatte sich ihre Stimmung wieder deutlich gebessert. Jetzt brannte sie darauf, den Corolla nach Spuren jeglicher Art zu durchforsten.

 

„Kein Thema – außerdem brauche ich eine Mitfahrgelegenheit. Ich bin schließlich mit dem Taxi gekommen“, meinte Tim grinsend, was ihm einen heftigen Rippenstoß von Abby einbrachte. „Hey“, protestierte er lachend. „Hör´ auf damit – ich helf´ dir doch gerne.“

 

„Das wollte ich hören“, sagte Abby keck und trat an Tony´s Bett, um sich zu verabschieden.

 

Kurz darauf waren Tony und Ziva alleine im Zimmer. Tony atmete – soweit es ihm möglich war – tief durch und ließ sich schwer in die Kissen sinken.

 

„Sie sind ganz schön anstrengend, nicht wahr?“, lächelte Ziva.

 

„Hmm“, brachte Tony hervor. „Aber ich bin froh, dass es sie gibt.“ Er musste husten und musste eine kurze Pause machen, bevor er weitersprechen konnte. „Ich bin froh, dass es dich gibt. Ohne dich…“

 

„Pssst.“ Ziva legte sanft einen Finger auf Tony´s Lippen. „Ist schon gut. Du hättest das Gleiche für mich getan. Und sooo viel habe ich ja gar nicht tun können.“

 

„Oh doch“, widersprach Tony. „Alleine, dass du gekommen bist. – Dich mitten in diese Hölle hinein gewagt hast. – Sie hätte dich töten können.“

 

„Hat sie aber nicht. Und jetzt ist sie selber tot.“ Während sie diese Worte aussprach horchte sie kurz in sich hinein. Was fühlte sie dabei? War sie sich wirklich sicher? Sie hätte es nicht sagen können und doch wollte sie Tony unverdingt die Zuversicht vermitteln.

 

„Bist du sicher? Immerhin war der Wagen leer und Gibbs sagte, die Taucher haben sie noch nicht gefunden.“

 

Mist! Natürlich war sie froh darüber, dass Tony´s Gehirn den langen Sauerstoffmangel so gut weggesteckt hatte, aber in diesem Augenblick wünschte sie sich fast, dass er noch nicht wieder so klar denken könnte. Er brauchte Ruhe und sollte sich keine Sorgen machen müssen. Die machte sie sich schon für sie beide genug.

 

„Tony“, sagte sie. „Denk doch mal nach. Rebekka Rivkin ist auch nur ein Mensch. Wir haben Oktober und das Wasser im Potomac ist hundekalt – das überlebt kein Mensch.“

 

„Saukalt“, flüsterte Tony leise. „Nicht hundekalt.“

 

„Hey!“

 

„Schon gut. – Was ist, wenn sie irgendwo an Land gegangen ist?“, sprach er dann seine größte Befürchtung aus. Allein der Gedanke daran bereitete ihm pure Panik.

 

„Das hätten wir doch gesehen. Wir waren doch unmittelbar nach dem Aufprall vor Ort.“ Ziva wusste sehr gut, dass sie und die anderen Einsatzkräfte durchaus nicht unmittelbar nach dem Unfall schon an der Böschung gewesen waren, aber sie hütete sich, Tony das zu sagen. „Sie ist tot! Es ist vorbei“, sagte sie mit fester Stimme.

 

„Und warum wollt ihr dann mein Zimmer weiter bewachen lassen?“ Tony´s Stimme wurde immer leiser.

 

„Schatz, doch nur damit du dich gut und sicher fühlst“, beschwichtigte Ziva. „Hör bitte auf damit und mach dich nicht verrückt.“

 

„Vielleicht hast du recht…“ DiNozzo war kaum noch zu verstehen.

 

„Du bist erschöpft“, stellte Ziva besorgt fest.

 

„Hmmm…“

 

„Du musst dich ausruhen. Ich denke, ich werde jetzt auch gehen. Ich komme morgen wieder.“

 

„Nein!“ Tony griff erneut nach der Hand seiner Freundin und hielt sie so fest er konnte. „Geh´ noch nicht“, bat er leise. „Bitte. Bleib noch ein wenig, okay? Auch wenn ich einschlafen sollte. Ja?“

 

„Solange du willst“, antwortete Ziva gerührt und erwiderte sanft den Händedruck ihres Verlobten, der tatsächlich gleich darauf eingeschlafen war.

Kapitel 50

1 Woche später – Bethesda Hospital – In Tony´s Zimmer

 

Eine Woche war vergangen, seitdem Rebekka in den kalten Fluten des Potomac spurlos verschwunden war. Tagelang hatten Polizei, das FBI und auch der NCIS mit jedem verfügbaren Mann erfolglos nach ihr gesucht, doch die Frau blieb verschwunden. Der gesamte Uferbereich mehrere Meilen flussabwärts war überprüft worden, sowohl an Land als auch unter Wasser – immer wieder gingen Taucher an anderen Stellen ins Wasser, doch es fand sich keine noch so kleine Spur. Mit jedem weiteren Tag, der ergebnislos verstrich, schwand die Hoffnung ein Stückchen mehr. Es schien als hätte der Erdboden die Israelin verschluckt.

 

Gibbs hatte darauf bestanden, dass man zusätzlich zur Sicherheit jedes Krankenhaus in Washington und Umgebung informierte. Das gleiche galt für alle externen Polizeiwachen und sogar für die privaten Arztpraxen. Zweimal waren Gibbs und McGee umsonst losgeprescht, weil eine Meldung vorgelegen hatte, dass man eine Frau, auf die Rebekkas Beschreibung passte aufgegriffen bzw. in einem Krankenhaus aufgenommen hatte, doch leider hatte sich der Einsatz jedes Mal als sinnlos verplemperte Zeit herausgestellt. Abby hatte zwar ein paar wenige Blutspuren im Wagen und auch an den Rändern der zerbrochenen Scheiben sichern können, aber das war auch alles gewesen. Nichts, was ihren Wissensstand entscheidend verbesserte. Es machte ihn wahnsinnig, dass man keine Leiche fand, doch mittlerweile ging selbst Jethro davon aus, dass Rebekka tot war. So unbefriedigend das auch war: Wenn sich ihre Leiche nicht irgendwann in einem Fangrechen eines Kraftwerkes wiederfinden würde, musste man davon ausgehen, dass sie ins offene Meer abgetrieben worden war.

 

**************

 

Gedankenverloren saß Tony in seinem Bett im Bethesda Hospital und blickte aus dem Fenster. Vor zwei Tagen war er von der Intensiv-Station in ein normales Krankenzimmer verlegt worden. Von den Folgen des Mordanschlages mit Atropin hatte er sich weitgehend erholt, auch die zahlreichen Wunden an seinem Oberkörper und der Kehleheilten recht gut. Seine linke Gesichtshälfte hatte ihre Farbe mittlerweile von dunkellila in ein helleres grün-gelb verwandelt und auch seine Augen waren kaum noch gerötet. Der linke Arm lag in einer Schiene und bereitete ihm derzeit keine Probleme, lediglich seine linke Hand schmerzte ihn noch, aber dank der Medikamente hielt es sich in einem erträglichen Maß. Gestern hatte er Besuch von Professor Stern erhalten, der die Hand noch einmal eingehend untersucht hatte. Leider konnte er immer noch nicht endgültig ausschließen, dass Tony um eine zweite Operation herumkam, doch der Arzt wollte zunächst noch die weitere Entwicklung abwarten. Er machte Tony jedoch berechtigte Hoffnungen – vorausgesetzt die geplante Reha brachte die gewünschten Fortschritte. Gut, die Reha würde zwar  recht lange dauern und soviel er bis jetzt wusste, wohl auch nicht immer angenehm sein, aber die Chance, dass seine Hand dadurch wieder weitestgehendin Ordnung kommen würde, würde ihn durchhalten lassen. Sogar die schlimme Lungenentzündung hatte sich bereitsgebessert und die bösen Hustenanfälle wurden nach und nach weniger, wofür er sehr dankbar war, denn die Rippenbrüche, die man ihm bei der Herzmassage zugeführt hatte, machten sich schon bei jedem kleinen Räuspern sehr schmerzhaft bemerkbar – und erst recht bei einem Hustenanfall. Seit einem Tag fanden sich endlich auch keine Spuren von Blut mehr, wenn er hustete und es plagten ihn nur noch selten Atemnöte. Trotzdem würde es wohl noch zwei, drei Wochen dauern, bis er das Krankenhaus verlassendurfte, doch zum ersten Mal in seinem Leben drängelte er nicht darauf und irgendwie wusste er selbst nicht, warum. Der ständige Wachposten vor seinem Zimmer war schon vor 3 Tagen abgezogen worden, weil sich der Personaleinsatz wirtschaftlich nicht mehr rechtfertigen ließ, denn schließlich sprach alles dafür, dass Rebekka Rivkin tot war. Tony wusste nicht so recht, ob er sich darüber freuen sollte, oder ob er wütend war, weil man sein Leben unter einem wirtschaftlichen Aspekt sah.

 

Er warf einen Blick auf die Uhr und als er sah, dass es schon fast 16.00 Uhr war, wurde seine Laune gleich viel besser. Ziva wollte heute kommen, sobald Gibbs sie gehen ließ und sie hatte versprochen, eine XXL-Pizza mitzubringen, die sie dann gemeinsam verspeisen wollten. Darauf freute er sich schon seit dem frühen Morgen wie ein kleines Kind. Es kam ihm so vor, als sei es ewig her, dass er gemeinsam mit seiner Freundin einfach nur gegessen hatte. Er hatte die Krankenschwester eben um eine Kerze und ein Tischtuch gebeten und nachdem er etwas gebettelt und mit seinen Augen geklimpert hatte, war sie seiner Bitte mit einem Lächeln nachgekommen.

 

Gibbs! Oh Mann, das war auch so ein Thema für sich. Sein Boss hatte sich schon nach drei Tagen im Krankenhaus entgegen aller Ratschläge selbst entlassen. Dr. Forster hatte es sogar gewagt, ihn einen alten Narren zu schimpfen, doch Jethro hatte nur gelacht, aber wenigstens versprochen, in zwei Tagen wieder zur Kontrolle in die Klinik zu kommen. Seither saß er den ganzen Tag im Büro – Außendienst hatte ihm Direktor Vance strikt verboten, was Gibbs seinem Vorgesetzten natürlich bitter übel nahm – und beschäftigte sich zusammen mit Abby mit den spärlichenSpuren im Falle Rebekka. Überraschenderweise war Gibbs in den letzten Tagen jedoch äußerst großzügig gewesen, wenn es darum ging, Ziva und McGee in den Feierabend zu entlassen. Tony konnte es kaum erwarten, bis sie heute kam. Er freute sich unwahrscheinlich darauf, sie einfach nur ganz nahe bei sich zu spüren, ihren Duft einzuatmen, ihre Wärme zu fühlen– und natürlich mit ihr in aller Ruhe zu essen. Er sehnte sich nach Normalität und Zweisamkeit. Gestern hatten sie dazu keine Gelegenheit gehabt. Eli war mit Ziva gekommen, um sich bei ihm zu verabschieden, bevor er nach Israel zurückkehrte. Aaron Rosen blieb vorläufig noch in DC. Es war noch nicht klar, wo der Prozess gegen ihn geführt werden sollte, doch Eli zog es zurück in seine Heimat. Die Erinnerung an das gestrige Gespräch war ihm noch lebhaft in Erinnerung. Ziva und er hatten zuvor lange überlegt, ob sie Eli über ihre Heiratspläne unterrichten sollten und wenn ja, wie sie es am besten anfangen sollten. Beide hatten ziemlichen Bammel davor, doch nach langen Diskussionen hatten sie sich dafür entschieden, Eli einzuweihen.

 

Tony hatte erwartet, dass Ziva´s Vater keinen Hehl daraus machen würde; dass er niemals dessen erste Wahl als Partner seiner Tochter sein würde, doch zu seiner und Ziva´s größter Überraschungwar das Gespräch ganz anders verlaufenals erwartet.

 

„Agent DiNozzo – Tony – es freut michaufrichtig, dass es Ihnen wieder besser geht“, hatte der Direktor des Mossad das Gespräch nach einer kurzen Begrüßung eröffnet.

 

„Danke Sir, mich auch“, antwortete Tony ein wenig sarkastisch. Irgendwie konnte er nicht glauben, dass Eli David seine Worte ehrlich meinte. Einige Augenblicke breitete sich eine unangenehme Stille aus, bevor DiNozzo sich einen Ruck gab unddann etwas freundlicher fortfuhr: „Ziva hat mir erzählt, dass Sie bei meiner  -  bei unserer -  Rettung mitgeholfen haben. Ich möchte mich dafür bedanken.“

 

„Nicht nötig. Ich bin froh, dass ich helfen konnte und vor allem,dass wir noch rechtzeitig gekommen sind.“ Eli warf seiner Tochter einen Seitenblick zu und lächelte andeutungsweise.

 

„Ja … das bin ich auch.“ Auch Tony schaute zu Ziva hinüber, die ein wenig hilflos zwischen den beiden Männern hin und her sah.

 

„Papa – wir wollten Dir noch etwas sagen…bevor du nach Israel zurückfliegst“. Ziva funkelte Tony an und suchte deutlich erkennbar nach den richtigen Worten. Sicher, sie waren sich einig gewesen, Eli darüber zu informieren, dass sie beide heiraten wollten. Doch dass es so schwer werden würde, die richtigen Worte zu finden, hatte Ziva nicht erwartet. Obwohl – eigentlich war es gar nicht so schwer. 'Wir lieben uns und wir werden heiraten', sieben einfache Worte. Tony schaute genauso hilflos aus, wie sie selber sich fühlte, also hatte sie von ihm sicher keine Unterstützung zu erwarten. Na ja, war ja auch vielleicht ein wenig viel verlangt. Es war ja schließlich ihr Vater. Ziva atmete tief ein und straffte ihre Schultern, dann blickte sie ihrem Vater offen ins Gesicht: „Tony und ich haben uns in diesem Keller verlobt – sobald es sein Gesundheitszustand zulässt werden wir heiraten. Ich…wir…na ja, wir können uns denken, was du davon hältst, aber wir wollten, dass du es weißt.“

 

Und dann kam diese Reaktion von Eli David, mit der weder Ziva noch Tony je gerechnet hätten. Eli hatte ein versonnenes Lächeln auf den Lippen, irgendwie hatte er schongeahnt, dass das kommen würde. Die Blicke der beiden, wenn sie sich ansahen, hatten Bände gesprochen. Sie erinnerten ihn wehmütig an die Blicke seiner Frau vor vielen Jahren, als sie sich versprochen hatten, ein Leben lang zusammen zu bleiben. 

 

„Ziva...“ Seine dunkle Stimme erfüllte den Raum, „Ziva… ich freue mich für euch und hoffe, ihr werdet glücklich.“ Er nahm ihr Gesicht in beide Hände, sah ihr tief in die Augen und drückte ihr einen Kuss auf die Stirn. Dann reichte er Tony die Hand, die dieser etwas zögerlich ergriff, drückte sie fest und sagte zu ihm: „Nein, ich weiß, dass ihr glücklich werdet. Tony … ich erwarte, dass Sie gut auf sie aufpassen werden.“

 

„Das werde ich, Sir“, antwortete der Grünäugige und blickte Ziva ziemlich überrascht an.

 

„Natürlich, ich verlasse mich auf Sie“, bekräftigte Eli noch einmal.

 

„Das können Sie.“

 

Kurz darauf hatte Direktor David sich verabschiedet und Tony hatte erleichtert aufgeatmet, obwohl dieses Gespräch mit seinem künftigen Schwiegervater ja wirklich überraschendgut verlaufen war. Auch Ziva hatte nur sprachlos neben seinem Bett gestanden und ihren Vater erstaunt angestarrt.

 

`Mein Schwiegervater!' schoss es ihm kurz durch den Kopf. 'Der Direktor des Mossad wird mein Schwiegervater, ich fass´ es nicht!'

 

Kapitel 51 - EPILOG

 

Bethesda Hospital – In Tony´s Krankenzimmer

 

Ein kurzes Klopfen riss Tony aus seinen Gedanken und gleich darauf betrat Ziva mit strahlendem Gesicht und einem übergroßen Pizzakarton in der Hand das Zimmer. Den Karton legte sie nur flüchtig auf dem Tisch ab und eilte an sein Bett Sie schlang ihre Arme um Tony´s Hals und küsste ihn mit solcher Intensität, dass ihm trotz seines angeschlagenen Gesundheitszustandes Hören und Sehen vergingund er gleichzeitig die beruhigende Gewissheit bekam, dass in seinen südlicher gelegenen Regionen noch alles intakt war. Minutenlang hielten sie sich eng umschlungen, bis Tony sich schließlich schwer atmend zurücklehnte:

 

„Hey, ich bin ein kranker Mann!“

 

Ziva legte den Kopf schief und zuckte lediglich mit den Schultern. Um ihre Lippen herum zuckte es verräterisch.

 

„Ziva David“, fuhr Tony in gespielt strengem Tonfall fort. „Weißt du eigentlich, dass dein Temperament einem Vulkanausbruch gleicht? Bekennst du dich wenigstens schuldig?“

 

„Natürlich – aber die Frauen in unserer Familie sind eben so!“, antwortete sie selbstbewusst. „Außerdem…ich wollte dir doch nur zeigen, wie sehr ich dich liebe und vermisst habe.“

 

Tony sah sie mit großen Augen an und flüsterte andächtig: „Wow! Oh Mann, ich muss mir unbedingt merken, dass ich dich niemals wütend machen sollte!“

 

 

**************

 

 

Irgendwo in Baltimore

 

Es war schon dunkel auf den Straßen der Großstadt. Die heruntergekommene Wohnanlage in einem ziemlich verrufenen Viertel beherbergte in der Regel mehr oder weniger zwielichtige Gestalten, illegale Einwanderer ohne Papiere, Ausgestoßene der Gesellschaft oderauch Paare, die schnell für ein oder zwei Stunden ein Dach über dem Kopf haben wollten. Hier war alles möglich – hier fragte keiner nach dem Woher oder Wohin. Manche Bewohner lebten schon monatelang, einer sogar schon zwei Jahre lang in einem der abgewohnten Apartments, manche kamen lediglich für ein paar Tage oder Wochen und waren dann wieder verschwunden. Die Miete kassierte der Betreiber im Voraus, alles andere interessierte ihn nicht. Der schwergewichtige, glatzköpfige Schwarze mit dem Stiernacken, den man, egal ob zu Tag- oder Nachtzeit, nur im schmutzigen Unterhemd kannte, saß wie üblich schwitzend hinter dem Empfangstresen, wie er die alte Holzkonstruktion großspurig nannte.

 

Die blonde Frau, die eben in den Raum gekommen war, legte ihm 40 Dollar auf den Tisch, blickte ihn mit undurchdringlicher Miene an und sagte: „Die Miete für nächste Woche. Und schick´ endlich mal wieder die Putzfrau vorbei!“ 

 

„Die kostet extra, das weißt du“, brummte Samuel mürrisch. Es gab nicht viel, worauf er Wert legte, aber zwei Dinge waren ihm wichtig. Das eine war, dass jeder seiner „Gäste“ pünktlich seine Miete bei ihm ablieferte, denn wenn´s um sein Geld ging, verstand er keinen Spaß, und das andere war, dass sein Name Samuel lautete, nicht Sam, Sammy oder sonst irgendwie verunstaltet - darauf reagierte er allergisch. Samuel war ein biblischer Name und seine Mutter hatte stets besonderen Wert darauf gelegt, dass dieser vollständig ausgesprochen wurde, deshalb bestand auch er darauf! Es war ihm egal, was seine Mieter ausgefressen hatten oder welche dubiosen Geschäfte manchmal in seinen Apartments getätigt wurden – nur seinen Namen mussten sie korrekt aussprechen, sonst gab es Ärger. Mit der Religion spaßte man nicht!

 

Man sah der jungen Frau nicht an, dass sie innerlich brodelte, denn äußerlich wirkte sie vollkommen ruhig und anscheinend gelassen erwiderte sie: „Ja ich weiß, dass in deinen Luxussuiten dieser Service nicht inbegriffen ist! Aber wenn sie diesmal putzt, dann soll sie es anständig machen, weil ich sie nämlich sonst in ihrem Putzeimer ersäufen werde. Sag´ ihr das!“ Mit einem eisigen Lächeln auf dem Gesicht wandte sie sich um und verließ Samuel´s Empfangshalle.

 

Sprachlos sah ihr der schwitzende Mann nach und ein kalter Schauer lief prickelnd über seinen Rücken. In seinen Zimmern wohnte allerhand Gesindel, auch einige wirklich gefährliche Burschen. Aber diese kleine zierliche Weiße mit dem leichten Akzent, den er nicht zuordnen konnte, die vor zwei Monaten hier, in dieser in erster Linie von Schwarzen und Latinos bevölkerten Gegend, aufgetaucht war, jagte ihm tatsächlich Angst ein – vor allem auch deshalb, weil er ihr absolut zutraute, dass sie ihr Versprechen ohne zu zögern wahr machen würde.

 

E N D E

 

Kommentar schreiben

Kommentare: 2
  • #1

    Gaby Schneider Wienecke (Mittwoch, 03 Dezember 2014 14:52)

    So klasse und spannend geschrieben geht es weiter mit thread 1- ?

    Gruss gaby

  • #2

    Silvia (Sonntag, 07 Dezember 2014 18:20)

    Hallo Gaby,

    zunächst mal "Danke" für dieses fette Lob :o)

    Wie du ja schon festgestelt hast, geht die Story um Rebekka weiter und jaaa, dieses Flintenweib ist nach wie vor voller Rachegedanken und läßt einfach nicht locker. "20.55 h" ist mittlerweile schon in Thread 11 angelangt und ich kann verraten, dass es sicherlich noch einige mehr werden - wie viele weiß ich selber noch nicht so genau, aber die Story ist auf jeden Fall fertig gestellt! Bleib einfach dran und lass dich überraschen - es würde mich freuen.

    In diesem Sinne "auf Wiederlesen"
    Liebe Grüße
    Silvia