Es erwartet euch eine Story voller Action und Dramatik, die ich gemeinsam mit meiner Freundin Monika geschrieben habe, der ich an dieser Stelle auch dafür danken möchte, dass ich die Geschichte hier auf meiner HP veröffentlichen darf.

 

 

Kurze Inhaltsangabe:

 

Tony und Ziva leben zusammen und alles funktioniert im Grunde hervorragend – bis zu dem Tag, an dem Tony aus heiterem Himmel entführt wird. Das Team will Tony unbedingt befreien, doch das gestaltet sich schwieriger als erwartet, denn in diesem Fall sind die Täter absolut gleichwertige Gegner, die vor nichts zurückschrecken und denen jegliche Art von Skrupel absolut fremd sind...

 

 

Auge um Auge

 

Prolog

 

Etwa sieben Monate waren vergangen, seit Tony mit Ziva zusammengekommen war. Seitdem lebten sie in einer Wohnung und im Großen und Ganzen klappte auch alles wunderbar. Bis auf einen Zwischenfall, der sich vor vier Monaten ereignete:

 

Vor dem Haus eines Verdächtigen (vor vier Monaten)

 

Das Team hatte einen Tipp bekommen. Ein Mordverdächtiger, der ihnen wenige Tage zuvor durch die Lappen gegangen war, war gesehen worden, wie er wider Erwarten zu seinem Haus zurückgekehrt war. Es galt keine Zeit zu verlieren und so schickte Gibbs, der einen Termin für eine Videokonferenz hatte, den er unmöglich verschieben konnte, den Rest des Teams alleine los, um den Mann endlich zu verhaften. Wie schon des Öfteren, wenn Gibbs nicht dabei war, erhielt Tony das Kommando.

Vor dem Haus des Verdächtigen stiegen sie aus dem Wagen und Tony sagte: „McGee, Ziva, ihr beide geht zum Hintereingang und wartet erst mal ab,   - wenn er in eure Richtung abhauen sollte, nehmt ihr ihn fest. Ich werde es an der Vordertür probieren, vielleicht ...“.

 

In dem Moment unterbrach ihn die Israelin: „Immer muss ich an der Hintertür warten! Warum wartest nicht du mit McGee hinten, während ich zur Vordertür reingehe?“.

 

Tony, der sich schon angeschickt hatte, loszugehen, hielt abrupt inne und wandte sich seiner Partnerin zu: „Bist du verrückt geworden!! Das ist hier keine Diskussionsrunde. Ich hab' dir einen Befehl gegeben, den du auszuführen hast!“

 

Er wollte sich schon wieder abwenden, doch so schnell gab Ziva nicht auf.: „Warum bestimmst eigentlich immer du, wo's langgeht?“

 

„Weil ich das Kommando habe, Ziva und ich erwarte …“

 

„Aber ich kann genauso gut an die Vordertür gehen, vielleicht wäre das sogar besser. Immerhin bin ich eine Frau und das könnte von Vorteil sein! Ist vielleicht unverdächtiger und...“

 

McGee hatte mit offenem Mund der Diskussion der beiden Kontrahenten zugehört, als Tony plötzlich mit einem Fluch seine Waffe zog und an Ziva vorbei Richtung Haus stürzte. Als er in die Richtung sah, in die sein Partner lief, erkannte er, dass der Verdächtige aus einem Fenster an der Seitenfront gesprungen war und durch die benachbarten Gärten abhauen wollte.

 

„McGee!!! - Auto!!!“ hörte er DiNozzo noch schreien, bevor dieser um die Ecke verschwand und dem Flüchtenden hinterherhetzte. Ziva war unmittelbar nach Tony los gespurtet und befand sich einige Meter hinter ihm. Sie jagten durch den Garten und die der Nachbarn. Als die ehemalige Mossad-Agentin ihrem Kollegen und Partner um eine weitere Hausecke folgte, sah sie gerade noch, wie sich der Verdächtige umdrehte und auf Tony feuerte. Dieser hatte sich geistesgegenwärtig zu Boden geworfen und erwiderte das Feuer, noch bevor er auf dem Boden aufschlug. Er traf den Mann in den rechten Oberschenkel, wodurch dieser einknickte und zu Boden ging.

 

„Waffe weg!“ schrie Tony und der Verletzte warf nach einer Bedenksekunde die Waffe einige Meter weit weg und ergab sich.

 

Vorsichtig erhob sich DiNozzo und ging zu dem am Boden liegenden Mann, drehte ihn auf den Bauch und legte ihm Handschellen an. Ziva brachte inzwischen die weggeworfene Waffe in Sicherheit.

 

In diesem Moment sprang Tony auf und war mit zwei Schritten bei Ziva. So wütend hatte sie ihn selten gesehen. Nur zwei Hand breit vor Ihrem Gesicht blieb er stehen, fast glaubte sie, er würde ihr an die Gurgel gehen. „Durch deine völlig unangebrachte Debatte wäre uns der Kerl fast entkommen!“ Er schrie nicht, aber der Ton seiner Stimme jagte ihr dennoch eine Gänsehaut über den Rücken. „Ich rate dir: Wag' das ja nicht noch einmal, sonst...!!!“

 

In diesem Moment bremste Tim mit quietschenden Reifen vor Ihnen und sprang aus dem Wagen. Als er sah, dass der Gangster überwältigt war, hielt er jedoch einigen Abstand zu seinen beiden Partnern, denn er wollte nicht noch in die Schusslinie geraten. Er kniete sich neben den stöhnenden Mann am Boden und sagte mehr zu sich selbst, während er nach seinem Handy griff: „Ich werde dann mal einen Krankenwagen anfordern“.

 

*************

 

Die darauffolgenden Tage herrschte Eiszeit zwischen Tony und Ziva. Am Abend nach dem Zwischenfall hatte er kein Wort mit ihr gewechselt und sich mit eisigem Gesichtsausdruck vor den Fernsehapparat verzogen, wo er sich ungewöhnlich lustlos mit versteinerter Miene eine Folge Magnum ansah.

 

Auch Ziva schaffte es nicht, über ihren Schatten zu springen. Ihr war schon klar, dass sie mit ihrem unprofessionellen Auftreten fast den Einsatz vermasselt hätte und zudem Tony in eine gefährliche Situation gebracht hatte, aber ihr Stolz verhinderte, sich bei ihm zu entschuldigen, zumal er sie so angeraunzt hatte. Im Gegenteil, je länger sie darüber nachdachte, desto mehr ärgerte es sie, dass sich Tony das herausgenommen hatte. Was dachte er sich eigentlich dabei, sie in aller Öffentlichkeit so anzufahren! Sie war schließlich seine Lebensgefährtin und nicht irgendein Laufbursche!

 

So kam es, dass sich jeder der beiden in seinen Standpunkt noch weiter hineinsteigerte und keiner bereit war, auch nur einen Millimeter nachzugeben. Je länger sie sich anschwiegen, desto unmöglicher erschien ein klärendes Gespräch. Natürlich mussten sie dienstlich miteinander reden, doch sie sprachen nur miteinander, wenn es wirklich unumgänglich war.

Gibbs wunderte sich zwar über die beiden, aber er nahm an, dass es private Streitigkeiten wären und solange die Arbeit nicht darunter litt, wollte er sich nicht einmischen – obwohl, lange würde er wohl nicht mehr zusehen.

 

Am Abend des dritten Tages der Funkstille zwischen dem Italiener und der Israelin geschah etwas, womit wohl niemand gerechnet hatte   -   McGee mischte sich ein!

 

„Tony, Ziva - Konferenzraum!“ Diese Ansage von Tim an die beiden überraschte sie so, dass sie ihm widerspruchslos in den Aufzug folgten. Und als er den Notschalter umgelegt und sich zu den Streithähnen umgedreht hatte, geigte er ihnen gehörig die Meinung:

 

„Ziva, verdammt glaubst du nicht, dass es endlich an der Zeit wäre, sich zu entschuldigen? - Stopp! Jetzt rede ich!“ Mit erhobener Hand verhinderte er einen Einwand von seiner dunkelhaarigen Kollegin. „Du hast einen Fehler gemacht und damit die ganze Aktion gefährdet! Dafür hast du einen Rüffel von Tony empfangen und verdient! Jetzt sieh das gefälligst endlich ein und mach' so was nie wieder! - Und du Tony – du hast ihr klar gemacht, was Sache ist und sie ordentlich zusammengestaucht. Aber das ist jetzt drei Tage her und langsam solltest du das abhaken. Ziva ist deine Freundin! Verdammt noch mal, ihr lebt zusammen! Wenn ihr Beruf und Privatleben nicht trennen könnt, wie soll das dann mit euch weitergehen? Irgendwelche Vorschläge? “ Fragend blickte er die beiden an, die einigermaßen betreten dastanden und sich seine Worte durch den Kopf gehen ließen.

 

„Es tut mir leid ...“ kam es schließlich fast gleichzeitig von zwei Seiten und endlich sahen sie sich auch wieder in die Augen. DiNozzo grinste schief und Ziva nickte ihm mit einem zögernden Lächeln zu.

 

„Na, Gott sei Dank!“ sagte Tim erleichtert. „Und jetzt nehmt euch endlich in die Arme. Ich seh´ auch weg.“ Demonstrativ drehte er sich um und sah zur Fahrstuhlwand.

 

Diese Predigt von McGee hatten sie sich zu Herzen genommen und sich versprochen, fortan berufliche Zwistigkeiten im Navy-Yard zu lassen und alles in Ruhe zu besprechen. Bislang funktionierte das ganz gut.

 

Noch etwas hatte McGee´s beherzte Predigt bewirkt. Einige Tage nach seiner Einmischung ertappte er Tony, wie der ihn in einer ruhigen Minute intensiv von der Seite her musterte. Was ausnahmsweise fehlte, war der übliche leicht spöttische Ausdruck auf Tony´s Gesicht. Trotzdem reagierte Tim zunächst misstrauisch: „Was?“

 

„Bambino – ich glaube, diesem Spitznamen bist du endgültig entwachsen. Ich schätze 'Tim' passt ab jetzt besser zu dir. Ja“, bekräftigte er seine eigene Aussage dann noch einmal mit einem entschlossenen Kopfnicken. „Ganz eindeutig. Du bist ein Tim. Klarer Fall.“

 

Einige Sekunden lang blickte McGee DiNozzo schweigend an, dann wandte er sich mit einem überaus zufriedenen Lächeln wieder seinem Computer zu. Ein wenig Stolz war nach dieser Aussage durchaus angebracht, fand er.

    

 

Gegenwart - Ruhe vor dem Sturm

 

Am Donnerstag hatten sie endlich einen komplizierten Fall abgeschlossen, der ihnen über Wochen hinweg alles abverlangt hatte. Erst als Tony vor einigen Tagen eine im ersten Moment absolut hirnrissig scheinende Idee hatte, die ihm zunächst eine mächtige Kopfnuss von Gibbs einbrachte, die sich dann aber letztendlich als Schlüssel zur Lösung herausstellte, war ihnen der von allen herbeigesehnte Durchbruch gelungen und sie konnten den Täter dingfest machen. Als Tony ihn dann im Verhörraum mit den Beweisen konfrontierte, klappte der Killer schon nach einer halben Stunde zusammen und unterschrieb ein lückenloses Geständnis.

 

Den halben Tag über stolzierte DiNozzo mit stolzgeschwellter Brust durch das Büro, bis ihn Gibbs am Nachmittag mit einer Kopfnuss auf den Boden der Tatsachen zurückholte. Beleidigt war er daraufhin zu Ziva´s Schreibtisch gekommen und hatte sich bei ihr über die Ungerechtigkeit auf der Welt im Allgemeinen und die Ungerechtigkeit von Gibbs ihm gegenüber im Speziellen ausgelassen. Erst als Ziva ihn mit einem schnellen Kuss am weiter nörgeln hinderte und ihm ins Ohr flüsterte, dass er am Abend bei ihr persönlich einen Wunsch freihätte – als Belohnung für seine außerordentlichen Leistungen - da wich seine beleidigte Miene einem breiten Grinsen. Als Sie an seinen Gesichtsausdruck dachte, der in etwa einem satten Bärenjungen entsprochen haben könnte, das in einen Honigtopf gefallen war, musste sie wieder schmunzeln. Sie kannte niemanden sonst, der zwei so zwiespältige Persönlichkeiten in sich vereinigte. Manchmal konnte er knallhart sein und manchmal benahm er sich wie ein richtiger Kindskopf. Aber sie liebte jede Nuance an ihm, und wenn er sie mit seinem treuherzigen Dackelblick ansah, den er immer einsetzte, wenn er etwas wollte, dann war es regelmäßig um sie geschehen. Aber das würde sie natürlich offiziell nie zugeben.

 

Am Freitag ließ Gibbs sie schon um 17.oo Uhr gehen und das Wochenende hatten sie frei. Endlich wieder einmal. Nach dem Abendessen saßen sie zusammen auf dem Sofa, als Ziva meinte: „Ich hätte große Lust, mal wieder joggen zu gehen. Das letzte Mal waren wir vor drei Wochen oder so. Wie wär's? Morgen früh um 7.30 Uhr?“

 

„Ach bitte, das erste Mal ausschlafen nach .... ich weiß gar nicht mehr seit wann. Ich hab' echt keine Lust, lass' uns doch lieber liegenbleiben. Ziva, Schatz, wir könnten zum Beispiel gemütlich im Bett frühstücken“, versuchte er seine Freundin zu ködern. „Und danach … na ja, schaun wir mal…Ich denke, da wird uns schon was einfallen… Was hältst du von der Idee, ist das nicht viel besser, als wie blöde durch die Weltgeschichte zu laufen?“

 

„Du Faulpelz, du wirst noch richtig Speck ansetzen, wenn du nichts tust“.

 

„Hey, siehst du hier irgendwo Speck?“, regte Tony sich auf, stand auf und stellte sich mit eingezogenem Bauch vor sie hin.

 

„Ja, hier“ neckte sie ihn und kniff ihn in die Seite, woraufhin er sich auf sie stürzte und begann, sie überall zu kitzeln. - Eine Weile rangelten sie lachend miteinander, bis Tony, der mittlerweile auf Ziva lag, sie liebevoll ansah und ihr einen langen zärtlichen Kuss gab.

 

„Hab' ich heute auch einen Wunsch frei?“, wollte er dann wissen. „Das gestern war echt ...“ er suchte nach den richtigen Worten. „... das war echt überirdisch, okay?“.

 

„Akzeptiert“ schmunzelte sie. „Und was einen weiteren Wunsch angeht ... hättest du da schon eine Vorstellung?“

 

Sofort beugte er sich vor und raunte etwas in ihr linkes Ohr. Ziva riss Mund und Augen auf und sah ihn gespielt entsetzt an: „Anthony DiNozzo – wenn das mein Vater erfahren würde, der würde dich sofort vor ein Panzerrohr binden lassen!“

 

„Dann sollten wir es ihm lieber nicht sagen, meinst du nicht auch?“ entgegnete er mit absolut unschuldiger Miene.

 

Sie lachte laut auf und meinte kopfschüttelnd: „Allerdings. Das halte ich auch für besser.“ Dann wand sie sich unter ihm hervor, griff an seinen Hemdkragen und zog ihn mit sich Richtung Schlafzimmer. „Na, dann komm' mal, mein Musketier und zeig', was du kannst. Ich bin schon sehr gespannt, ob du nicht den Mund zu voll genommen hast. – Wenn nicht, lasse ich dich morgen ausschlafen und gehe alleine joggen. Versprochen.“, fügte sie mit einem phänomenalen Augenaufschlag hinzu.

 

Tony grinste bis über beide Ohren, ob der Vorstellung, was ihn gleich erwartete. „Yes, das nenn' ich doch mal einen perfekten Auftakt in ein phänomenales Wochenende“, freute er sich.

 

Dass das kommende Wochenende das mit Abstand schlimmste seines Lebens werden sollte, ahnte er zu diesem Zeitpunkt noch nicht.

 

 

7.00 Uhr Samstagmorgen – in Ziva´s und Tony´s Wohnung

 

Gegen sieben Uhr wachte Ziva auf. Es war noch ziemlich dunkel, kein Wunder, es war ja schon Ende Oktober. Aber in einer halben Stunde war es hell genug zum joggen. Tony lag auf dem Rücken, hatte den Kopf leicht zur Seite gedreht und schlief tief und fest mit leicht geöffneten Lippen. Minutenlang sah sie ihn nur an. Das hatte sie in den vergangenen Monaten schon oft gemacht, da sie regelmäßig eher aufwachte, als er. Sie hatte ihn schon immer attraktiv gefunden, auch wenn sie dies nie zugegeben hatte. Und jetzt gehörte er ihr. Ganz alleine ihr! Ziva verspürte einen gewissen Besitzerstolz, der sie sehr zufrieden machte. All´ die Frauengeschichten der Vergangenheit waren Geschichte. Tony hatte sich für sie entschieden und insgeheim war sie sehr, sehr stolz auf diese Tatsache.

Sie liebte es, ihn beim Schlafen zu beobachten, wenn er mit völlig entspannter Miene einfach nur friedlich da lag. Kein Wunder, dass er noch so fest schlief, dachte sie und bei der Erinnerung an die letzte Nacht huschte ein Lächeln über ihr Gesicht. Mein Gott, die letzte Nacht war ... hammermäßig gewesen. 'Wenn ich das Abby erzählen würde, die würde glatt vom Stuhl fallen', ging es ihr durch den Kopf. 'Und McGee erst! Dem würde es vermutlich die Schamesröte ins Gesicht treiben.' Bei der Vorstellung eines zart erröteten Timothy McGee, der beschämt die Augen niederschlug, musste sie sich mächtig zusammenreißen, um nicht wie ein Teenager los zu kichern. Seitdem sie mit Tony zusammen war, kam es häufiger vor, dass sie ihren Übermut kaum zügeln konnte, doch das störte Gott sei Dank weder ihn noch sie. Im Gegenteil: Er sagte ihr immer wieder, wie froh er darüber war, dass sie endlich häufiger lachte und ihr Leben nicht mehr nur aus Arbeit bestand. Leise suchte sie ihre Sachen zusammen und verließ auf Zehenspitzen das Schlafzimmer.

 

Eine halbe Stunde später trat sie in ihrer Trainingskleidung aus dem Haus, atmete ein paar Mal tief durch und setzte sich in Richtung Park in Bewegung. Um erst einmal richtig warm zu werden, trabte sie zunächst einmal in einem lockeren Dauerlauf den Bürgersteig entlang. Dass sie dabei aus einem geparkten Van mit dunkel getönten Scheiben mit einem Teleobjektiv beobachtet wurde, bemerkte sie nicht.

 

**************

 

Zehn Minuten später läutete oben in der Wohnung das Telefon. Tony brummelte unwillig in sein Kissen. Er brauchte einige Augenblicke, bis er das nervtötende Geräusch als das identifizierte, was es war.

 

„Verdammt, heut' ist doch Samstag, wer ruft denn da schon vor acht Uhr an!“, fluchte er schlaftrunken und griff zur anderen Seite, um Ziva dazu zu bewegen an den Apparat zu gehen. Doch sein Griff führte ins Leere. Ziva´s Bettseite war verlassen 'Ach ja, sie wollte ja joggen' erinnerte er sich. Er quälte sich quer über das Bett und angelte sich das Telefon.

 

„DiNozzo!“, brummte er in die Muschel, war aber schon im nächsten Augenblick hellwach, als ihm sein Gesprächspartner folgendes eröffnete: „Ich muss Ihnen leider mitteilen, dass eine gewisse Ziva David einen Unfall erlitten hat. Ein Auto hat sie angefahren und sie wurde ins D.C. General Hospital eingeliefert.“

 

„Ich komme sofort!“, rief Tony ins Telefon. „Wie geht es ihr? Ist sie schlimm verletzt?“.

 

„Leider kann ich Ihnen am Telefon keine Auskunft geben. Sie war ansprechbar, als sie hier eingeliefert wurde und hat Sie als nächsten Angehörigen benannt“, teilte ihm die unpersönliche Stimme mit. Tony wurde bei diesen Worten ganz warm ums Herz, doch dann konzentrierte er sich gleich wieder auf die Stimme. „Mehr darf ich Ihnen nicht sagen. Jetzt wird sie gerade in den OP gebracht. Es wäre gut, wenn Sie sich beeilen, falls…“

 

Mit einem gepressten „Danke, ich bin schon unterwegs!“, legte der grünäugige Italiener auf und zog sich blitzschnell an. Beim hinaus eilen schnappte er sich noch seine Jacke und stürmte die Treppe hinunter. Er lief zu seinem Wagen, der auf der gegenüberliegenden Straßenseite geparkt war und stieg hastig ein. Bevor er jedoch den Schlüssel im Schloss umdrehen konnte, bemerkte er aus dem Augenwinkel eine Bewegung auf der Rückbank. Sein Kopf zuckte herum, als er auch schon den Lauf einer Pistole an seinem rechten Ohr spürte. Ruckartig hielt er inne.

 

„Keine Bewegung, Agent DiNozzo, legen Sie die Hände aufs Lenkrad und rühren Sie sich nicht, bis ich es Ihnen sage!“, ertönte eine ihm fremde Stimme mit einem eigenwilligen Akzent in seinem Rücken.

 

Widerwillig tat er, wie ihm befohlen wurde, als sich die Beifahrertür öffnete und eine weitere Person einstieg. Es war ein jüngerer Mann mit dunklen Augen und schwarzen Haaren. Irgendwie erinnerte er Tony an jemanden, aber darüber zerbrach er sich momentan nicht den Kopf. Der Mann zog ebenfalls eine Waffe aus seiner Jacke und sah ihn kalt und hasserfüllt an.

 

„Wer sind Sie und was wollen Sie von mir?“ - Tony musste diese Frage stellen, er konnte einfach nicht anders, doch kaum hatte er sie ausgesprochen, schlug im sein Gegenüber mit der Hand, in der er die Waffe hielt, an sein linkes Jochbein. Ein Keuchen entfuhr dem Special Agent und er musste einige Male stark blinzeln, um wieder klar sehen zu können.

 

„Sie reden nur, wenn Sie gefragt werden, sonst können Sie sich das nächste Mal von Ihren Zähnen verabschieden!“, raunte ihm der Kerl leise und gefährlich zu. „Ist das klar? Jetzt geben Sie mir Ihr Handy und machen Sie keine Dummheiten.“ Zur Bekräftigung hob er ein wenig den Lauf der Pistole. Vorsichtig fischte Tony das Handy aus seiner Jacke und gab es dem Schwarzhaarigen. Hilflos musste er zusehen, wie dieser fachkundig den Ortungs-Chip entfernte und zerstörte. „Okay, fahren Sie los!“.

 

DiNozzo hatte keine Chance, irgendetwas gegen die beiden Typen, die ihn bedrohten, zu unternehmen, also wollte er sich anschnallen und losfahren, als der Kerl neben ihm mit einer schnellen Bewegung nach seinem Arm griff. „Nein, Sie schnallen sich nicht an. Falls Sie auf die Idee kommen sollten, einen Unfall zu provozieren, sollten Sie sich klar machen, dass Sie so am meisten gefährdet sind. Wir sind angeschnallt und kommen wahrscheinlich mit einem blauen Auge davon. Ach ja, und Sie halten sich besser an die Höchstgeschwindigkeit, sonst haben sie eine Kniescheibe weniger.“ Der Mann sprach im Plauderton, doch er ließ keinen Zweifel daran, dass er es ernst meinte.

 

Mit vor Zorn knirschenden Zähnen startete Tony den Wagen und fuhr los. Seine Gedanken rotierten, was konnten die Kerle von ihm wollen? Klar, er hatte in seiner Laufbahn als Polizist schon viele Typen dingfest gemacht, aber er konnte sich nicht erinnern, dass einer der beiden dabei gewesen wäre. Vor allem aber beschäftigte ihn die Frage, wie er die zwei Angreifer überwältigen konnte. Momentan war die Lage ziemlich aussichtslos, zwei Pistolen waren pausenlos auf ihn gerichtet und die Kerle sahen auch nicht so aus, als ob sie unvorsichtig werden würden. Er musste überlegt und bedacht handeln, sonst würde er schneller eine Kugel abkriegen, als ihm lieb war. Tony hasste es, das vor sich selber zugeben zu müssen, aber so wie es aussah, blieb ihm derzeit nichts anderes übrig, als den Befehlen des Schwarzhaarigen zu folgen. Angespannt lenkte er seinen Wagen durch Washingtons Straßen.

 

Nachdem ihn seine Entführer ungefähr eine halbe Stunde durch die Stadt gelotst hatten, ließen sie ihn schließlich irgendwo in einem Industriegebiet vor einem Rolltor anhalten. Na toll, es war Samstagmorgen, das bedeutete, dass es hier keine Zeugen geben würde. Mann, diese Typen hatten aber auch wirklich an alles gedacht. Das Rolltor öffnete sich und Tony steuerte das Auto hinein. Direkt hinter ihm schloss sich lautlos das Tor. Er beobachtete im Rückspiegel, wie es langsam wieder nach unten glitt und mit jedem Zentimeter, den das Tor dem Erdboden näher kam, sank seine Hoffnung, noch irgendwie heil aus dieser Bredouille entkommen zu können.  

 

Kapitel 1

 

8.57 Uhr – Ziva kehrt in die Wohnung zurück

 

Bei ihrer Rückkehr wunderte Ziva sich, dass Tony's Auto nicht mehr auf seinem Parkplatz stand. Für den Bruchteil einer Sekunde packte sie ein seltsames Gefühl, doch es war nicht wirklich greifbar und auch gleich wieder verschwunden. „Tony?“ rief sie trotzdem sofort, als sie die Wohnungstür geöffnet hatte, aber in der Wohnung blieb alles still. Unnatürlich still? Quatsch, sagte sie sich. Mach nicht die Pferde scheu, Ziva. Sie zog ihre Schuhe aus und ging als erstes ins Schlafzimmer. Das Bett war leer und Tony musste es auch schon vor einiger Zeit verlassen haben, denn seine Körperwärme war bereits verflogen. Eigentlich hatten sie schon gestern alles für ein gemütliches Frühstück besorgt und die Brötchen hatte sie auf dem Heimweg vom Joggen gekauft. Das wusste Tony doch, so war es verabredet gewesen. Wo zum Teufel steckte er also? Gab es vielleicht doch einen Grund, sich Sorgen zu machen? Andererseits war es Tony, über den sie hier nachgrübelte. Er hatte zwar eine Menge in seinem Leben und auch an seinem Verhalten geändert, aber unterm Strich war er immer noch Antony DiNozzo. Vielleicht hatte er ihren Frühstücksplan doch vergessen, oder der Wunsch nach etwas ganz Speziellem hatte ihn aus den warmen Federn getrieben. In dieser Beziehung konnte er manchmal sein wie eine schwangere Frau -   wenn er auf etwas Lust hatte, musste er es haben. Gleich! Geduld war definitiv immer noch nicht eine seiner Stärken. Auf etwas warten zu müssen, war ihm ein Gräuel, darin standen sie sich in nichts nach. Ziva blickte auf das leere Bett und lächelte leicht. Nein, sie würde sich jetzt nicht über ihn ärgern. Schließlich hatte sie ja gewusst, auf was sie sich mit ihm eingelassen hatte. Und sie liebte den ganzen Tony, nicht nur seine Stärken – auch in all seine charmanten Schwächen hatte sie sich seinerzeit unsterblich verliebt. Also musste sie auch damit klarkommen. Und das würde sie! Noch nie hatte sie etwas so unbedingt gewollt, aber diese Beziehung musste einfach funktionieren. Der Streit, den sie vor vier Monaten gehabt hatten, kam ihr kurz in den Sinn und wie Tim ihnen beiden den Kopf zurechtgerückt hatte. Was hatten sie doch für ein Glück, solche Freunde zu haben.

Wäre sie beim Mossad geblieben, wäre sie jetzt vermutlich noch genauso einsam wie früher. Lange Zeit hatte sie sich hin- und hergerissen zwischen zwei Welten gefühlt, wie sie unterschiedlicher nicht sein konnten. Erst durch Tony und seine bedingungslose Liebe hatte sie ihren Platz in der Welt endlich gefunden.

 

Die Israelin fröstelte in ihren verschwitzten Klamotten und beschloss, erst einmal zu duschen. Vermutlich kam ihr Freund ja in der Zwischenzeit wieder. Wieder lächelte sie leicht. Von ihren weltbewegenden Gedanken würde sie ihm erst einmal nichts erzählen. Sicher, Reden war gut und wichtig, das hatte sie inzwischen eingesehen, aber manchmal hatte Schweigen auch seine Vorteile. Tony´s Ego war auch so schon groß genug, das musste sie nicht noch zusätzlich aufpolieren.

 

*******

 

Eine viertel Stunde später war Tony allerdings noch immer nicht zurück. Ziva hatte versucht, ihn auf seinem Handy zu erreichen, aber das war anscheinend ausgeschaltet, nicht mal die Mailbox sprang an. Sie blickte zum wiederholten Male aus dem Fenster und hatte sorgenvoll ihre Finger ineinander verschlungen. Das seltsame Gefühl, das sie vorhin beim Betreten des Hauses kurz verspürt hatte, war längst zurückgekehrt – mit aller Macht – und dieses Mal verschwand es nicht so einfach wieder.

 

'Und wenn er nun einen Unfall hatte?', setzte sich der Gedanke in ihr fest. Sie zog das Telefonbuch aus einer Vitrine hervor und notierte sich die Telefonnummern der Notaufnahmen aller Krankenhäuser, die in einem nicht zu weiten Umkreis zu ihrer Wohnung lagen. Wenn Tony irgendetwas einkaufen wollte, würde er ja nicht gleich nach Norfolk gefahren sein, dachte sie sich. Anschließend setzte sie sich an den Küchentisch und wählte mit zitternden Fingern die Nummer der ersten Klinik.

 

Bei jedem Anruf erklärte sie, dass sie befürchtete, ihr Freund könnte einen Unfall gehabt haben, nannte den Namen und gab eine genaue Personenbeschreibung von Tony, aber nirgends war in den letzten ein, zwei Stunden eine Person eingeliefert worden, auf die die Beschreibung zutreffen würde.

 

Frustriert legte sie den Hörer auf und sah auf die Uhr: 9.39! 'Wo steckst du nur?', dachte sie nervös. 'Und warum hast du mir keinen Zettel hingelegt?'. Unterschwellig wusste sie genau, dass etwas passiert sein musste. Tony war nicht einfach bloß kurz einkaufen gefahren. Da steckte mehr dahinter. Doch noch klammerte sie sich verzweifelt an diesen Strohhalm.

 

 

Eine Stunde zuvor - 8.22 Uhr – In der Hand der Entführer

 

Tony schaute sich um, und versuchte, sich möglichst viel einzuprägen. Er befand sich in einer ziemlich großen Halle, in deren Mitte ein weißer Kastenwagen mit der Aufschrift „Frische Backwaren“ stand. Neben dem Fahrzeug wartete bereits ein dritter, ebenfalls schwarzhaariger Mann mit einer Schnellfeuerwaffe in der Hand. Der Kerl, der hinter Tony gesessen hatte, verließ eben den Wagen und wartete in einigen Metern Entfernung.

 

„Steigen Sie aus, Agent DiNozzo und halten Sie Ihre Hände so, dass wir sie sehen können, das ist gesünder für Sie!“ Ein kaltes Lächeln umspielte die weißen Zähne des Mannes, als Tony notgedrungen dem Befehl Folge leistete und langsam ausstieg. Er blieb zwei Meter neben dem Auto stehen und hielt seine Hände mit den Handflächen nach vorne neben dem Körper.

 

In der Zwischenzeit hatte auch der augenscheinliche Boss der Entführer den Wagen umrundet und blieb drei Meter vor dem Italiener stehen, der bei der Gelegenheit wieder überlegte, warum ihm dieser Mann bloß so verdammt bekannt vorkam, obwohl er sich eigentlich sicher war, ihn nie zuvor gesehen zu haben. Aber so sehr er auch überlegte, es wollte ihm einfach nicht einfallen. „Hinknien und die Hände auf den Rücken!“, befahl der Mann ihm nun absolut emotionslos.

 

Einige Augenblicke überlegte Tony fieberhaft, ob er irgendeine Möglichkeit zur Flucht haben könnte. Aber er hatte nicht den Hauch einer Chance. Wer auch immer die Kerle waren – sie waren offensichtlich Profis. Alle drei standen so weit von ihm entfernt, dass er keinen mit einem schnellen Sprung erreichen konnte, um ihm eventuell die Waffe zu entreißen. Er wäre von Kugeln durchlöchert gewesen, bevor er auch nur halbwegs einen der Männer erwischt hätte.

 

„Warten Sie vielleicht auf eine schriftliche Einladung, Agent DiNozzo? - Die wird es nicht geben!“. Unmissverständlich hob der Wortführer den Lauf seiner Waffe, so dass diese direkt auf Tonys Kopf zeigte.

 

Und so fügte er sich mit klopfendem Herzen in sein Schicksal, kniete sich auf den schmutzigen Boden der Halle und legte seine Hände nach hinten. Er hörte leise Schritte hinter seinem Rücken und fühlte gleich darauf, wie seine Hände mit Handschellen gefesselt wurden. Der Mann drückte die Stahlbänder so fest zu, dass diese schmerzhaft in seine Haut schnitten und Tony sog hörbar die Luft ein.

 

Provozierend lässig schlenderte nun der Anführer auf ihn zu und blieb unmittelbar vor ihm stehen. „Wollen Sie immer noch wissen, wer wir sind und was wir von Ihnen wollen, Agent DiNozzo?“, fragte er und fixierte den vor ihm knienden Agent mit seinen unheimlichen, fast schwarzen Augen.

 

Langsam hob der Grünäugige den Kopf und blickte den Mann vor sich wortlos an. Irgendwie wollte ihm keine passende Bemerkung einfallen, was eigentlich selten bei ihm vorkam.

 

Der Kerl beugte sich noch ein wenig weiter vor und sagte dann: „Ich werde Ihnen meinen Namen sagen   ...   und was ich von Ihnen will, dürfen Sie raten...“ Der Mann machte eine Kunstpause, bevor er mit einem bösen Grinsen im Gesicht verkündete: „Also gut, ich werde Sie nicht länger auf die Folter spannen: Mein Name ist Thomas Aviel Rivkin!!!“.  

 

Eine Sekunde lang weiteten sich Tony's Augen, als er den Namen vernahm, der ihm so verhasst war, wie kaum ein anderer. Rivkin!!! Es war die Familienähnlichkeit, die ihn die ganze Zeit zum Narren gehalten hatte. Der Mann war Michael Rivkin's Bruder! Und was er von ihm wollte, war wahrlich nicht schwer zu erraten. - Rache! - Der Mann wollte Rache für den Tod seines Bruders und Tony ahnte dunkel, was das für ihn bedeutete. Doch noch hatte er keine Vorstellung davon, wie schlimm es tatsächlich für ihn werden würde.

 

Kapitel 2

 

8.34 Uhr - Todesangst

 

„Sie haben meinen Bruder ermordet. Dafür werden Sie jetzt büßen!“. Rivkin sprach sehr leise, fast so, als spräche er mehr zu sich selbst, doch Tony verstand jedes Wort. Der Mann vor ihm blickte ein wenig auf und gab seinem Kumpan im Rücken des Italieners ein kurzes Zeichen.

 

Kalt und bedrohlich spürte er unmittelbar daraufhin den harten Lauf einer Pistole in seinem Nacken. Unwillkürlich versteifte sich sein ganzer Körper und sein Herz schlug hart gegen seine Brust. Er hätte Thomas Rivkin erklären können, dass er in Notwehr gehandelt hatte, dass er seinen Bruder mehrfach aufgefordert hatte, sich zu ergeben, aber er wusste, dass es vollkommen sinnlos wäre. Er würde ihm kein Wort glauben und Gnade hatte er mit Sicherheit von einem wie Rivkin nicht zu erwarten. Wenn es nicht so grotesk wäre, wäre es schon fast wieder zum lachen. Vor einem halben Jahr, da hatte seine Situation sich ungleich schlimmer dargestellt. Die Russen hatten ihn lebensgefährlich verletzt und nachdem Ziva und er endlich befreit worden waren, hatten die Ärzte und er lange um sein Leben kämpfen müssen. Letztendlich waren die konsequenten Bemühungen von Erfolg gekrönt gewesen. Doch wofür? Damit jetzt hier, in dieser trostlosen Garage sein Leben beendet wurde, hingerichtet vom israelischen Mossad!? Tony war Realist und gestand sich ein, dass seine Chancen auf Überleben vor einem halben Jahr mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit höher gewesen waren.

 

Er fühlte, wie sich der Druck in seinem Nacken verstärkte, als der Mann langsam den Finger am Abzug krümmte.

 

'Ziva, mein Engel – ich liebe dich!', dachte er verzweifelt. 'Pass auf dich auf!' - Dann schloss er seine Augen und wartete auf das Unvermeidliche.

 

 

***********

 

Ein metallisches Klicken erklang, als der Hammer auf eine leere Patronenkammer schlug. Tony's Herz trommelte wie verrückt in seiner Brust und alle Farbe war aus seinem Gesicht gewichen. Seine Hände bebten und irgendwie versuchte er, seinen Atem, der stoßweise und abgehackt kam, wieder ein wenig in Griff zu bekommen.

 

„Oh nein, so einfach wollen wir es Ihnen doch nicht machen, Agent DiNozzo“. Die vor Hohn triefende Stimme des Israeli zwang Tony, seine Augen wieder zu öffnen. „Glauben Sie mir, wenn ich mit Ihnen fertig bin, werden Sie darum betteln, dass ich Ihnen eine Kugel ins Herz jage!“

 

„Betteln? Ich? Darauf können Sie lange warten.“ Er hatte kaum ausgesprochen, da holte sein Gegner mit einer schnellen Bewegung weit aus und schlug dem Italiener den Pistolenlauf mit voller Wucht gegen die linke Wange. Tony wurde zu Boden geschleudert und blieb benommen liegen. Er fühlte, wie eine warme klebrige Flüssigkeit sich ihren Weg über sein Gesicht suchte, um schließlich neben ihm zu Boden zu tropfen und dort rasch eine Pfütze zu bilden. Der Schlag hatte eine klaffende Platzwunde verursacht, die offensichtlich stark blutete.

 

Thomas Rivkin umrundete ihn und trat ihm zwei-, drei Mal in den Rücken und in die Nierengegend, gequält stöhnte der Grünäugige auf. Schmerzwellen durchfluteten seinen Körper, doch der Kerl ließ immer noch nicht von ihm ab. Langsam stieg er über den am Boden liegenden und trat ihm dann noch einmal mit voller Wucht in den Magen. Tony hatte das Gefühl, dass sämtlicher Atem aus seinen Lungen gepresst wurde und japste keuchend nach Luft. Nur sehr langsam gelang es ihm, wieder ein wenig Sauerstoff in seine malträtierten Lungen zu bekommen.

 

„Schafft ihn in den Lieferwagen, wir müssen los“, befahl in diesem Moment der Israeli seinen Helfern. Und zu Tony gewandt, sagte er: „Rebekka wartet schon sehnsüchtig auf dich! Glaub mir, das wird noch lustig werden. Du kennst sie ja noch nicht, aber ich, und irgendwie bin ich davon überzeugt, dass sie dich zum Betteln bringen wird.“

 

Wer zum Teufel ist Rebekka, schoss es Tony kurz durch den Kopf.

 

 

Gegenwart - 9.53 Uhr – Anruf bei Gibbs

 

Die Minuten krochen dahin und schließlich hielt Ziva es nicht mehr aus. Sie musste mit jemandem sprechen. Am besten, mit dem Menschen, zu dem sie bedingungsloses Vertrauen hatte – ihrem Boss. - Schon nach zweimaligem Läuten hörte sie die vertraute, brummige Stimme: „Gibbs!“.

 

„Ich bin's, Ziva. - Ich ... ich wusste nicht, wen ich sonst anrufen sollte. - Gibbs, es ist …Tony ist verschwunden!“ Sie hatte sich vorgenommen ruhig zu klingen, professionell,

doch sie konnte nicht verhindern, dass ihre Stimme leicht zitterte.

 

„Was soll das heißen? Habt ihr euch mal wieder gestritten?“

 

„Nein, ich war heute Morgen joggen und Tony wollte ausschlafen. Danach wollten wir gemeinsam frühstücken und uns einen schönen freien Tag machen. So hatten wir es abgesprochen, doch als ich nach Hause kam, war er nicht da und bis jetzt ist er nicht zurückgekommen. Er geht auch nicht an sein Handy. Ich habe schon in den umliegenden Krankenhäusern angerufen – Fehlanzeige. Gibbs, ich habe einfach ein schlechtes Gefühl. Irgendetwas ist passiert!“

 

Einige Augenblicke war es absolut still in der Leitung, dann antwortete Jethro: „Okay, fahr' ins Büro. Ich rufe Abby und McGee an. Wir treffen uns dort.“ Damit legte er auf.

 

Noch bevor er seine Team-Mitglieder verständigte, spürte er ein unangenehmes Ziehen in der Magengegend. Er fühlte genau wie Ziva – Tony steckte in Schwierigkeiten!

 

  

9.54 Uhr – Irgendwo außerhalb Washingtons

 

Die ganze Fahrt über, während der Tony unsanft auf dem Boden des Transporters hin- und her geschüttelt wurde, hatte Thomas Aviel Rivkin kein Wort gesprochen, sondern ihn nur kalt angestarrt. Auch DiNozzo war still, es gab einfach nichts zu sagen. Es war sonnenklar, was ihn erwarten würde. Der Israeli wollte sich für den Tod seines Bruders an ihm rächen, - schmerzhaft rächen und wenn er genug davon hatte, würde er ihn eiskalt umbringen. Kein Betteln würde Rivkin umstimmen und Tony hatte nach wie vor nicht vor, zu betteln. Diese Genugtuung würde er seinem Peiniger keinesfalls gönnen, es würde sowieso nichts ändern! Die Hoffnung, sich selbst befreien oder entfliehen zu können, hatte er im Prinzip schon aufgegeben. Die drei Kerle waren Profis und gaben sich keine Blöße, seine Hände waren auf dem Rücken gefesselt, er hatte keine Chance. Wenn keine Hilfe von außen kam, war sein Schicksal unwiderruflich besiegelt.

 

In diesem Moment hielt der Wagen an, DiNozzo hörte das Brummen eines elektrischen Garagentors, das sich leise summend öffnete und kurz darauf fuhr das Fahrzeug noch einige Meter weiter, bevor der Motor abgestellt wurde.

 

Die drei Israelis stiegen aus, zerrten Tony unsanft aus dem Wagen und stießen ihn vorwärts in Richtung einer Tür, in der eine junge Frau stand die ihnen mit gespanntem Gesichtsausdruck entgegenblickte.

 

Sie war durchaus hübsch, das registrierte Tony am Rande. Ca. 1,65 m groß, schlank, lange schwarze Haare, die in weichen Wellen über ihre Schultern flossen, volle Lippen, eine gerade Nase und hohe Wangenknochen. Im Grunde hatte sie alles, was eine Frau attraktiv erscheinen lässt. Bis auf ihre Augen! Tony fröstelte unwillkürlich, als er der Frau in die Augen blickte. Eiskalt, ohne eine Spur von Leben oder Wärme ruhte ihr Blick auf ihm. Er hatte noch nie zuvor in solche kalten Augen geblickt. Wenn das Rebekka sein sollte, dann hatte er vermutlich in der nächsten Zeit wenig zu lachen. Selbst wenn sein berühmter Womanizer-Charme nicht in den vergangenen Monaten etwas eingerostet wäre – an dieser Frau wäre er sowieso verschwendet gewesen, das sagte ihm sein Instinkt, der immer noch hervorragend funktionierte.

 

„Ist er das?“, fragte sie mit einer seltsam dunklen Stimme, die so gar nicht zu ihrem femininen Aussehen passen wollte.

 

„Ja, - das ist er!“, antwortete Thomas knapp.

 

Sie trat noch einen Schritt näher und musterte Tony wie ein ekliges Insekt: „Bringt ihn in den Keller! Es ist alles bereit."

 

Kapitel 3

10.01 Uhr – NCIS-Hauptquartier

 

Ziva wartete schon einige Minuten ungeduldig an ihrem Platz, als Gibbs endlich das Büro betrat.

 

„Ich habe Abby verständigt, sie wird gleich da sein. McGee ist auf dem Weg zu seiner Schwester. Ich habe ihm gesagt, er soll sich melden, wenn er dort ist. Er hat seinen Laptop dabei, wenn wir ihn brauchen, kann er uns auch von dort aus helfen.“

 

„Okay“, antwortete Ziva gedehnt. „Mir wäre es zwar lieber, er käme her, aber dann muss es eben so gehen.“

 

Gibbs setzte sich auf Zivas Schreibtischkante und schaute sie ernst an. „Ich weiß, du bist nicht der Typ, der schnell die Pferde scheu macht, aber ich muss dir recht geben, dass Tony's plötzliches Verschwinden merkwürdig ist. Erzähl´ mir also jetzt noch einmal haarklein, was genau passiert ist.“

 

Mit kurzen Worten fasste Ziva das Wenige, was sie wusste zusammen, als im gleichen Moment Abby aus dem Aufzug stürmte. „Was ist los? Was ist mit Tony?“, waren ihre ersten Worte und die Israelin wiederholte erneut das, was sie eben Gibbs erzählt hatte.

 

„Was? Seit ungefähr zwei Stunden ist er jetzt schon weg? Da ist definitiv was passiert, irgendwie fühle ich das!“, ließ Abby mit besorgter Stimme verlautbaren, „Du sagst, er geht nicht ans Handy?“, wandte sie sich dann direkt an Ziva.

 

„Nein, ich hab's schon ein paar Mal probiert. Nichts, noch nicht mal die Mail-Box springt an.“

 

„Gehen wir runter in mein Labor, ich werd' versuchen, es zu orten.“ Abby war schon auf dem Weg zum Aufzug und ihre beiden Kollegen folgten ihr mit schnellen Schritten. Ziva registrierte dankbar das positive Gefühl, wenigstens etwas tun zu können, auch wenn sie genau wusste, dass Gibbs und sie Abby nur über die Schulter sehen würden. Trotzdem, sie war nicht mehr alleine. Es tat gut, die Verantwortung zu teilen. Und es tat gut, Freunde zu haben, die an einem freien Samstagmorgen alles stehen und liegen ließen, um ihr zur Seite zu stehen.

 

Doch nachdem Abby alle Computer hochgefahren und versucht hatte, Tony's Handy zu lokalisieren, kam die Ernüchterung: „Ich krieg' es nicht! Es muss kaputt sein - oder zerstört!“.

 

Einige Augenblicke herrschte betretenes Schweigen, bis Gibbs plötzlich ein Gedanke kam: „Sein Auto! Tony's Auto ist doch auch verschwunden, also wird er damit gefahren sein. Abby, versuch' es mit der Verkehrsüberwachung! Ausgangspunkt ist eure Wohnung“, überlegte er, an Ziva gewandt. “Vielleicht finden wir so ja raus, wohin er gefahren ist!“.

 

„Super Idee, Gibbsman!“ Abby war sofort Feuer und Flamme und begann, hektisch auf ihrer Computertastatur herumzuhacken. Schon nach wenigen Minuten hatte sie ein erstes Ergebnis erzielt. Eine Kamera hatte Tony's Wagen gefilmt, wie er in Richtung Norden fuhr. Unverzüglich suchte die junge Goth in dieser Richtung weiter nach Treffern und kurz darauf hatte sie wieder Erfolg. Beim Überqueren einer Ampelanlage war das Auto des Italieners wieder aufgetaucht. Und dieses Mal konnte man sogar einen Teil der Insassen erkennen.

 

Sofort bearbeitete Abby unermüdlich das Bild, bis sie schließlich das Optimum erreicht hatte. Das Ergebnis legte sie auf den Bildschirm. Es befanden sich insgesamt drei Personen im Wagen, soviel ließ sich ausmachen. Die Aufnahme war etwas seitlich von rechts oben gemacht worden, man sah den Ellbogen einer Person, die sich auf der Rückbank befand. Der Fahrer war mit ziemlicher Sicherheit Tony, die Arme waren gut sichtbar und die Uhr am linken Handgelenk gehörte eindeutig ihm. Blieb noch der dritte Insasse auf der Beifahrerseite.    

 

Alle drei hatten bemerkt, dass der Typ eine Waffe in der Hand hielt, die auf den Fahrer des Wagens gerichtet war. Das Gesicht war allerdings etwas zur Seite gedreht, so dass man kaum etwas erkennen konnte. Auf jeden Fall aber hatte der Mann oder die Frau schwarze, lockige Haare.

 

„Vergrößere den Ausschnitt von der Beifahrerseite, vielleicht ist ja dann etwas zu erkennen!“, ordnete Gibbs an und Abby gab ihr Bestes.

 

„Es dürfte ein jüngerer Mann sein, generell dunkler Typ, aber für eine Gesichtserkennung reicht es nicht.“ Abby war ein wenig frustriert, gleichzeitig fuhr sie fort, die Verkehrskameras zu checken und es gelang ihr, den Weg von Tony's Wagen noch eine Weile zu verfolgen, allerdings waren nirgends mehr Gesichter oder sonstige Einzelheiten zu erkennen. Schließlich verlor sich die Spur des Fahrzeuges in einem Gewerbegebiet. „Das ist ein großes Industriegebiet. Tony's Auto ist bestimmt in irgendeine dieser Hallen gefahren, aber es da zu finden, dauert ewig.“ Ratlos schaute sie sich um.

 

„Das Navi!“, warf auf einmal Ziva in den Raum. „Tony's Wagen hat ein Navigationsgerät! Das müsstest du doch orten können, Abby, oder?“

 

„Natürlich! Dass ich da nicht selber drauf gekommen bin! – Gibbs, gib mir eine Kopfnuss!“, forderte sie, böse mit sich selbst. Wie hatte sie das nur vergessen können? Schließlich ging es hier um Tony.

 

„Finde lieber den Wagen, Abs“ entgegnete ihr Jethro, ohne auf den Wunsch der Forensikerin einzugehen. Abby machte sich an die Arbeit und schon wenige Minuten später hatten sie den Standort von DiNozzo's Wagen ausgemacht.

 

„Ziva und ich fahren sofort dort hin! Abby, ruf McGee an und sag´ ihm, er soll in Bereitschaft bleiben. Kann sein, dass wir ihn später noch brauchen.“ Damit eilten Gibbs und Ziva mit großen Schritten aus dem Labor und ließen eine besorgte, äußerst nervöse Abigail Sciuto zurück.

 

 

10.03 Uhr – Tony's Gefängnis

 

Sie drängten Tony die Kellertreppe hinunter und stießen ihn so brutal in einen der Räume, dass er stolperte und mit dem Gesicht voran auf den harten Betonboden klatschte. Er hörte das hämische Gelächter seiner Peiniger, als sie hinter ihm die Tür verriegelten. Er war allein. Mühevoll rappelte er sich auf die Beine und sah sich mit gemischten Gefühlen in dem Halbdunkel um. Die Ausstattung seines Gefängnisses verursachte ihm Beklemmungen. Überall an den Wänden waren Haken und Schellen angebracht, sogar an der Decke. In der Mitte stand ein Tisch, auf dem ebenfalls Schellen und Riemen befestigt waren und in dem einzigen Regal im Raum lagen alle möglichen Gerätschaften und Werkzeuge, von denen er befürchtete, dass sie nicht zur Gartenarbeit benötigt würden. Allerdings befand sich alles in einer für ihn unerreichbaren Höhe. Mit seinen immer noch auf dem Rücken gefesselten Händen kam er an nichts heran, aber vermutlich hätte es ihm auch nichts genützt, wenn er sich etwas hätte greifen können, verteidigen konnte er sich trotzdem nicht. Resignierend lehnte er sich an die der Tür gegenüberliegende Wand und rutschte langsam an ihr herab. Er legte den Kopf an die harte Mauer und starrte mit leerem Blick an die Decke. Dabei dachte er an Ziva und die vergangenen Nächte voller Leidenschaft und Glück.

 

 

10.48 Uhr – Gibbs und Ziva - In der Halle

 

Jethro hielt mit quietschenden Reifen vor der Halle, in der sich Tony's Auto befinden musste. Die beiden Agents sprangen aus dem Wagen und während sie ihre Waffen zogen und entsicherten, liefen sie zur Hauswand und pressten sich dagegen. „Wie kommen wir rein?“, fragte Ziva. „Es gibt hier anscheinend keine Tür?“

 

Der Grauhaarige sah sich um und entdeckte etwa 10 Meter weiter zwischen diesem und dem Nachbargebäude einen ca. 2 Meter breiten Durchgang. Er gab Ziva ein Zeichen und eilte zielstrebig darauf zu. Die Israelin folgte ihm umgehend. Ein paar Meter weiter trafen sie endlich auf eine Tür, die allerdings verschlossen war. Jedoch fackelte Jethro nicht lange und sprengte das Schloss mit zwei gezielten Schüssen. Dass das rechtlich bedenklich war, kümmerte ihn nicht im Geringsten. Schließlich war Gefahr im Verzug. Gefahr für einen seiner Agents. Und wenn das der Fall war, zögerte er nicht lange. Er öffnete die Tür mit einem gezielten Tritt, nickte Ziva noch einmal kurz zu und sie schlüpften einer nach dem anderen vorsichtig hinein. Schließlich wussten sie nicht, was sie dort erwartete. Seitlich der Tür standen einige Schrottcontainer, die sie zunächst einmal als Deckung benutzten, um in Ruhe den Raum sondieren zu können.

 

Aufgeregt deutete Ziva auf ein Fahrzeug, das vor dem Tor stand – es handelte sich eindeutig um Tony's Auto. Nach allen Seiten sichernd und jede Deckung nutzend bewegten sie sich vorsichtig auf den Wagen zu. Erst als sie den ganzen Raum abgesucht und festgestellt hatten, dass er leer war, näherten sie sich dem Fahrzeug. Die Fahrertür stand offen, sonst waren keine offensichtlichen Spuren zu erkennen. Auf jeden Fall war der Wagen so leer wie der restliche Raum. Ziva entfuhr ein enttäuschter Seufzer. Von Tony fehlte nach wie vor jede Spur!

 

„Ziva? Der Kofferraum“, forderte Gibbs seine Agentin auf, die vor lauter Sorge um ihren Lebensgefährten offensichtlich nicht 100%-tig einsatzfähig war.

 

Ziva starrte ihren Boss mit schreckgeweiteten Augen an. Oh Gott, dass sie daran nicht gedacht hatte. Die Vorstellung, Tony womöglich gleich ermordet im Kofferraum zu finden, schnürte ihr die Luft ab. Sie bückte sich in den Innenraum der Fahrerseite und griff nach dem Hebel, der den Kofferraum öffnete. „Gibbs, machst du das? Bitte.“

 

Mit einem leichten Kopfschütteln zog Gibbs den Deckel hoch. Hoffentlich verlor Ziva nicht die Nerven. „Alles okay“, teilte er ihr gleich darauf mit. „Er ist leer.“

 

Da erst bemerkte Ziva, dass sie vor lauter Anspannung glatt das Atmen eingestellt hatte. Mit einem leisen Pfeifen entwich die angestaute Luft ihren Lungen. Im gleichen Augenblick weiteten sich ihre Augen vor Schreck und sie stürzte nach vorn. Ein paar Meter weiter ging sie in die Knie und tauchte ihren Finger in etwas, das Gibbs aus seiner Position nicht richtig ausmachen konnte.

 

„Was ist da?“, erkundigte er sich und kam näher.

 

Ziva richtete sich wieder auf und hielt Gibbs ihren Finger hin: „Blut. Da ist `ne Menge Blut am Boden.“

 

„Geh´ raus und hol´ die Ausrüstung. Wir nehmen eine Probe für Abby mit. – Hey“, sagte er dann sanft, als er bemerkte wie angespannt Ziva war. „Es ist doch gar nicht gesagt, dass es Tony´s Blut ist.“ Verdammt, er war noch nie ein guter Tröster gewesen.

 

„Wessen Blut sollte es denn sonst sein“, fauchte Ziva prompt.

 

„Sichere die Beweise, dann werden wir es bald wissen“, antwortete Gibbs. „Ich sehe mich hier noch etwas um. Vielleicht finde ich ja was.“ Ein frommer Wunsch, an den er dummerweise selber nicht glaubte.

 

 

10.52 Uhr – Bei Tony im Keller

 

Wie viel Zeit vergangen war, seit er sich in diesem Kellerloch befand, wusste Tony nicht. Er hatte schon nach relativ kurzer Zeit jedes Zeitgefühl verloren. Doch plötzlich hörte er, wie die Tür aufgeschlossen wurde und nacheinander seine drei Entführer eintraten. Zuletzt erschien die Frau und bedachte ihn sofort wieder mit hasserfüllten Blicken.

 

'Noch jemand, der mich anscheinend am liebsten an die Wand nageln würde. Heute ist echt nicht mein Tag!', dachte Tony, während er sich langsam mit dem Rücken an der Wand hoch drückte. Er wollte nicht zu seinen Kontrahenten aufsehen müssen. Immer mindestens auf Augenhöhe mit deinem Gegner sein – besser noch, bringe dich in eine erhöhte Position. Das hatte er schon früh in Baltimore gelernt. Letzteres dürfte ihm hier allerdings schwer fallen, darüber war er sich klar.

 

„Ich kann einfach nicht glauben, dass dieser Kerl es geschafft hat, Michael umzubringen“, sagte die Frau mit ihrer rauchigen Stimme. „Wie konnte das nur geschehen? Ich meine, es war immerhin Michael!“, fragte sie Thomas Aviel Rivkin, der neben ihr stand.

 

In diesem Moment mischte sich der NCIS-Agent ein: „Ich habe ihn nicht umgebracht, falls es Sie interessiert, was ich nicht glaube! Ich wollte ihn verhaften, er hatte den Tod von mehreren Menschen zu verantworten und er hat mich angegriffen. Ich habe ihm die Chance gegeben, sich zu ergeben, aber er ist weiter auf mich losgegangen und da habe ich getan, was ich tun musste.“

 

„Halten Sie den Mund!“, schrie sie ihn an, „Sie hätten meinen Bruder nie überwältigen können, vermutlich haben Sie ihn einfach abgeknallt, als er wehrlos war!“ Wutentbrannt hob sie die Waffe und richtete sie auf den Italiener, als Thomas ihr in den Arm griff: „Ruhig Rebekka, er wird für alles büßen, aber nicht mit einem schnellen Schuss!“ Langsam, aber

bestimmt drückte er die Hand seiner Schwester mit der Pistole nach unten.

 

'Rebekka war Michael Rivkin's Schwester! `Gott, was kommt denn noch alles!', dachte Tony. 'Wenn ich schon in der Tinte sitze, dann aber bis zur Halskrause.’

 

„Erez, nimm ihm die Handschellen ab!“, ordnete inzwischen die Schwarzhaarige an und der junge Mann, der im Wagen hinter ihm gesessen hatte, ging zu DiNozzo, drehte ihn um und drängte ihn mit der Brust an die Wand. Er schloss wie befohlen die Handschellen auf und trat sofort zwei Schritte zurück.

 

„Umdrehen!“ sagte er dann und der Italiener kam dem Befehl notgedrungen nach. Langsam drehte er seine Arme nach vorne, die Schmerzen in den Schultergelenken ignorierend und massierte sich vorsichtig seine Handgelenke, die bereits rot und aufgescheuert von den zu fest sitzenden Handschellen waren.

 

„Ausziehen! Jacke und Hemd!“, befahl in diesem Moment Rebekka, die anscheinend das Kommando übernommen hatte und als Tony eine Sekunde zögerte, feuerte sie ohne lange zu fackeln einen Schuss ab, der nur wenige Millimeter an seiner rechten Schulter vorbeizischte. Obwohl die Kugel ihn nicht berührte konnte er den Luftzug förmlich spüren.

 

„Der nächste landet in Ihrem Schultergelenk“ kündigte sie fast freundlich an, gerade so, als ob sie sich über das Wetter mit ihm unterhielte, aber die Freundlichkeit erreichte ihre Augen nicht. Die blickten nach wie vor kalt und hasserfüllt.

 

Gott, schoss es Tony durch den Kopf. So hat mich noch nicht einmal Ziva angesehen, nachdem ich damals den finalen Schuss auf Rivkin abgegeben habe. Damals hatte er geglaubt, dass ihn niemals ein schlimmerer Blick treffen könnte. Doch ein Blick in Rebekka Rivkin´s Gesicht hatte ihn schnell eines besseren belehrt. Die Augen dieser Frau versprachen nichts Gutes – bestenfalls noch Krieg – schlimmstenfalls aber versprachen sie ihm den Tod.

 

Mit zusammengebissenen Zähnen zog er zuerst seine Jacke aus, knöpfte dann sein Hemd auf und ließ es ebenfalls zu Boden fallen. Sofort spürte er die empfindliche Kälte, die in dem Raum herrschte und ihm eine Gänsehaut über den Körper jagte.

 

Sie musterte ihn von oben bis unten und noch nie war Tony der Blick einer Frau auf seinem Körper so unangenehm gewesen. „Ziva hat keinen schlechten Geschmack.“ Anzüglich betrachtete sie ihn weiter und sagte dann mit einem süffisanten Lächeln: „Wer weiß, vielleicht wenn wir uns unter anderen Umständen getroffen hätten ...“. Langsam fuhr sie ihm mit dem Zeigefinger von der Wange über den Hals bis zur Brust. Ihre Berührung verursachte Tony eine Gänsehaut und angewidert drehte er den Kopf zur Seite.

 

Das Lächeln verschwand aus Rebekkas Gesicht und machte wieder dem Hass Platz. Sie trat einige Schritte zurück und ihre Stimme hatte einen eisigen Hauch angenommen: „Ich bin schon auf ihren Gesichtsausdruck gespannt, wenn dieses Flittchen sieht, was von dir übrig ist. Sogar sie wird staunen, wenn wir mit dir fertig sind!“ Unvermittelt war sie vom 'Sie' zum 'du' gewechselt, was dem Italiener nur noch mehr ihre Verachtung verdeutlichte.

 

„Lassen Sie gefälligst Ziva in Ruhe, sie hat mit dem ganzen absolut nichts zu tun!“, brauste Tony auf und bewegte sich, ohne nachzudenken, auf die Israelin zu. Im selben Moment waren aber schon die drei Männer auf ihn losgegangen. Erez packte ihn am rechten Arm und drehte ihm diesen schmerzhaft auf den Rücken, während ihm Rivkin von hinten in die Kniekehlen trat, so dass der Grünäugige zwangsläufig in die Knie ging. Und obwohl er sich wehrte, so gut er konnte, zerrten ihn die drei an den Tisch, hielten seinen linken Arm darauf fest und ließen zwei der Klammern zuschnappen, die dort verankert waren. DiNozzo kämpfte keuchend gegen die Fesseln an, konnte sich aber nicht befreien. Hilflos musste er zusehen, wie Michael Rivkin's Schwester zum Regal ging, eine kleine Schachtel und einen Hammer herausnahm und zum Tisch zurückkehrte. Mit einem kalten Lächeln auf den Lippen öffnete sie die Schachtel und nahm einen etwa drei Zentimeter langen Metallstift heraus.

 

Gebannt starrte Tony auf die Stifte und er ahnte, was sie vorhatte. Er hatte seine Hand zur Faust geballt, doch das half ihm nichts.

 

„Aaron, bitte öffne seine Hand.“ Mit sanfter Stimme richtete Rebekka ihre Bitte an den dritten Israeli, der daraufhin begann, DiNozzos Finger aus ihrer Verkrampfung zu lösen und diese dann ausgestreckt auf der Tischplatte festhielt. Immer noch lächelnd nahm Rebekka den Metallstift, setzte ihn unter den Fingernagel seines Mittelfingers und mit einem Schlag des Hammers trieb sie ihn fast komplett in Tonys Finger.

 

Der Feuerblitz, der ausgehend von seinem Mittelfinger augenblicklich bis in sein Gehirn schoss, raubte Tony fast den Atem. Er hatte nicht schreien wollen, doch der Schmerz, dieser widerwärtige, abscheuliche, kaum zu beschreibende Schmerz …, er ließ ihm keine Wahl! Der markerschütternde Schrei verhallte in dem Kellerraum und sorgte für einen zufriedenen Gesichtsausdruck bei der Israelin. Die Spur eines Lächelns huschte über ihr Gesicht, während sie den Hammer und die Stifte in das Regal zurücklegte. Danach wandte sie sich erneut an Aaron: „Du kannst ihm jetzt die Handschellen wieder anlegen.“ An Tony gewandt sagte sie: „In einer Stunde kommen wir wieder, Agent DiNozzo, dann nehmen wir deinen Ringfinger! Ich freu´ mich schon drauf.“ Damit verließ sie mit schnellen Schritten den Raum.

 

Inzwischen hatten die drei Israelis Tony's Arm von der Tischplatte gelöst und ihm wieder die Handschellen angelegt. Wortlos verließen sie den Raum und verriegelten die Tür hinter sich. Langsam sank Tony in sich zusammen und verharrte mit hängendem Kopf auf seinen Knien. Er hatte Tränen des Schmerzes in den Augen und versuchte verzweifelt, nicht daran zu denken, dass sie in einer Stunde wiederkommen würden. Er wusste nicht, wie er das noch einmal aushalten sollte.

 

Kapitel 4

11.35 Uhr – NCIS-Hauptquartier

 

Eben war Tony's Wagen im Hauptquartier abgeliefert worden und Abby machte sich sofort daran, ihn gründlich zu untersuchen. Jethro und Ziva halfen ihr dabei und McGee sollte auch bald eintreffen. Die Forensikerin hatte ihn nun doch darum gebeten, schnellstmöglich zurückzukommen. Wie immer, war ihm Abby´s Wunsch Befehl und so hatte er sich unverzüglich auf den Weg ins Hauptquartier gemacht.

 

Die Blutprobe aus der Halle hatte Abby direkt nach der Rückkehr von Ziva und Gibbs bearbeitet. Das Ergebnis lag noch nicht vor, aber im Grunde wussten alle, was dabei rauskommen würde. Ziva hatte noch nie gesehen, dass Abby so vorsichtig, ja fast andächtig mit einer Blutprobe umging. Sie behandelte das Beweisstück fast so, als wäre es ein Relikt. Sie hatte es schließlich nicht mehr mit ansehen können und war auf dem schnellsten Weg zurück ins Büro geflüchtet, wo sie gemeinsam mit Gibbs auf die Ankunft von Tony´s Wagen gewartet hatte.

 

Nach einer halben Stunde intensiver Arbeit in der Garage war die junge Goth mit ihrem wichtigsten Fund aus dem Wagen in ihr Labor zurückgekehrt: Ein schwarzes, gekräuseltes Haar – glücklicherweise mit Wurzel und definitiv nicht von Tony! Sofort ging sie daran, daraus die DNA zu bestimmen und nach etwa einer Stunde hatte sie ein Ergebnis.

 

„Okay“, erklärte sie Gibbs am Telefon. „Jetzt jage ich die Ergebnisse noch durch alle möglichen Datenbanken und Karteien, aber das kann leider dauern, wir müssen Geduld haben! Tut mir leid.“

 

„Mach einfach so schnell es geht“, knurrte Gibbs und schmiss den Hörer missmutig zurück in die Station.

 

Das war das Schlimmste – Warten und nichts tun zu können!

 

 

11.55 Uhr – Im Keller

 

Irgendwann hatte Tony sich wieder an die Wand gelehnt und überlegte krampfhaft, was er tun könnte, wenn seine Peiniger wiederkommen würden, aber es gab rein gar nichts, was ihm helfen würde. Mittlerweile zitterte er vor Kälte und er hatte seine Beine ganz nah an den Körper herangezogen, aber im Grunde genommen brachte das auch nichts, außer dass sich durch die verkrampfte Haltung langsam ein Wadenkrampf anzukündigen schien.

 

Als er hörte, wie das Drehen des Schlüssels ankündigte, dass die Stunde um war, spürte er einen Anflug von Panik. Er musste ein-, zweimal schwer schlucken, drückte dann seine Knie durch und erwartete das Unabwendbare.

 

Wie schon die Male zuvor betraten alle vier Israelis den Kellerraum und alle trugen Waffen in den Händen. Doch sie hielten sich nicht mehr mit Erklärungen oder Befehlen auf. Die drei Männer gaben ihre Pistolen Rebekka, kamen zielstrebig auf ihn zu und zerrten ihn zu dem Tisch in der Mitte des Raumes. Tony wehrte sich mit aller Kraft, trat mit den Beinen zu so fest er konnte, und landete auch einige Treffer, wie mehrfaches schmerzhaftes Aufheulen bewies, aber mit auf den Rücken gefesselten Armen und gegen drei Angreifer konnte er letztendlich nichts ausrichten. Sie zwangen ihn wieder vor dem Tisch in die Knie, Erez packte seinen rechten Arm und dann öffneten sie die Handschellen. Das war der Moment, in dem Tony noch einmal alle Kräfte mobilisierte. Mit dem Mut der Verzweiflung ließ er seine Fäuste nach oben gegen Aarons Kiefer schnellen.

 

Es gab ein hässliches, knackendes Geräusch und Aaron jaulte vor Schmerz und Wut laut auf und lockerte kurz seinen Griff, aber Erez und Rivkin packten sofort beherzt zu und kompensierten so den Fehler ihres Kollegen. Erez drehte ihm den rechten Arm auf seinem Rücken so stark nach oben, dass der Italiener glaubte, er würde ihm aus dem Gelenk springen, währenddessen presste Rivkin seinen linken Arm wieder auf den Tisch. Aaron riss sich zusammen und ignorierte für den Moment seinen schmerzenden Kiefer. Er schnallte Tony´s Arm am Tisch fest und spreizte seine Finger. Tony machte es ihm leicht, denn eine Faust konnte er sowieso nicht mehr ballen, da sein malträtierter Mittelfinger wie verrückt tobte. Der Hieb gegen Aarons Kiefer hatte seiner Hand den Rest gegeben.

 

Als er sah, wie Rebekka sadistisch lächelnd die Schachtel mit den Stahlstiften und den Hammer penibel ordentlich vor seiner Hand auf dem Tisch anordnete, biss er sich auf die Unterlippe, um seine Angst irgendwie in den Griff zu bekommen. 'Reiß' dich zusammen, Anthony!', versuchte er, sich Mut zu machen, aber das Zittern seiner Hand war nicht nur auf die Kälte im Raum zurückzuführen. Langsam und fast genüsslich nahm die Israelin einen Stift aus der Schachtel, hielt ihn vor ihr Gesicht und drehte ihn genießerisch und offensichtlich voller Vorfreude ein wenig hin und her, fast so als wolle sie noch einmal überprüfen, ob exakt dieser Stift auch wirklich am besten für ihre Zwecke geeignet sei. Zwanghaft starrte Tony auf das Folterinstrument und atmete immer schneller und hektischer, je länger er es ansah.

 

Dann ging alles sehr schnell. Rebekka setzte den Stift unter den Nagel seines Ringfingers und schlug kaltlächelnd zu. Der Grünäugige warf den Kopf in den Nacken, presste die Augen zu und zerquetschte einen Schrei zwischen zusammengebissen Zähnen. Trotzdem konnte er nicht verhindern, dass unartikulierte Laute seinen Lippen entwichen und die grellen Blitze, die in seinem Kopf explodierten, vermittelten ihm das Gefühl, als ob sein Schädel jeden Moment zerspringen würde. Im wurde übel und er musste all seine Willenskraft aufbringen, um sich nicht auch noch zu übergeben. Das durfte nicht passieren! Diese Genugtuung wollte er seinen Gegnern nicht gönnen. Wenn er hier in diesem scheiß Keller schon sterben musste, dann wollte er sich wenigstens seine Selbstachtung bewahren.

 

 

13.07 Uhr – Im Büro – NCIS-Hauptquartier

 

Eine Stunde lang fixierte Ziva nun schon das Bild des Beifahrers, als ob sie ihn hypnotisieren wollte, damit er ihr seinen Namen verrät. Auch die kleinste Kleinigkeit hatte sie schon zigmal betrachtet. Die dunklen, gelockten Haare, die Nase und ein Stück der Wangenpartie, der Rest des Gesichtes war nicht erkennbar. Ihre Kollegen beobachteten sie verstohlen. Ziva starrte stumm und wie paralysiert auf das Bild.

 

„Wenn das so weitergeht, kann sie uns gleich jede einzelne Hautpore beschreiben“, wisperte McGee, der inzwischen im Hauptquartier angekommen war, Abby zu. Die Antwort war ein fester Rippenstoß und ein sehr erboster Seitenblick. „Aua“, stammelte Tim beleidigt. „Ist doch wahr. Sieh´ sie dir doch an – sie ist gruselig.“

 

Plötzlich ging ein Ruck durch Ziva und sie lehnte sich in ihrem Stuhl zurück. Nach wie vor betrachtete sie das Bild. Dann griff sie entschlossen nach dem Telefon und wählte eine Nummer. McGee und Gibbs, die ebenfalls an ihren Schreibtischen saßen und grübelten, wie sie Tony finden könnten, hoben fast gleichzeitig die Köpfe und beobachteten sie gespannt. Auch Abby, die gerade zurück in ihr Labor wollte, wandte sich um und schaute Ziva erwartungsvoll an.

 

In diesem Moment begann sie zu sprechen und zwar auf hebräisch, ihrer Muttersprache: „Shalom, Papa, ich bin's, Ziva!“

 

 

 

13.09 Uhr – Im Keller bei Tony

 

Er war verzweifelt und er fror entsetzlich. Obwohl ihm bis jetzt kaum körperlicher Schaden zugefügt wurde, zehrten die tobenden Schmerzen, die diese Stahlnägel verursachten, doch gewaltig an seinen Kräften. Allein der Gedanke daran, dass sie bald wiederkommen und ihm einen dritten Stift in den Zeigefinger treiben würden, löste bei Tony einen Würgereiz aus. Sie hatten ihn wieder gefesselt und die Handschellen extrem fest geschlossen, so dass die Haut an seinen Handgelenken mittlerweile an einigen Stellen blutete, aber das spürte er kaum. Die Schmerzen in seinen Fingern überlagerten alles, sogar die bohrende Migräne in seinem Schädel, die sich ihm nur noch von Zeit zu Zeit durch eine Welle der Übelkeit zeigte. Stereotyp würgte er immer wieder die ihm hochkommende saure Galle hinunter. Mit jedem Herzschlag wurde eine neuerliche Woge der Qual bis in sein Gehirn befördert. Er lehnte an der kalten Wand und versuchte, seine Hand nicht zu bewegen, denn jede kleinste Regung wurde mit einem feurigen Stich bestraft.

 

'Was würde Gibbs in meiner Lage tun?' fragte er sich. Würde er den Schmerz einfach ignorieren - ihn aus seinem Kopf verbannen? 'Vermutlich', dachte er mit einem bitteren Lächeln. ‚Nur wie zum Henker stellt man das an? Das ist irgendwie etwas, das einem keiner beibringt.’

 

 

13.11 Uhr – NCIS-Hauptquartier

 

„Ziva?“ erklang Eli David's dunkle Stimme, der man die Überraschung deutlich anhören konnte. „Was ist passiert?“ Er vermutet sofort, dass etwas geschehen sein musste, denn sonst hätte ihn seine Tochter bestimmt nicht angerufen. Ihr Verhältnis stand nach wie vor nicht gerade zum Besten.

 

„Ich brauche deine Hilfe. Würdest du für mich eine DNA-Probe durch die Datenbank des Mossad und der Armee schicken?

 

„Zuerst möchte ich wissen, wofür du das brauchst. Das sind streng vertrauliche Daten, das weißt du genau!“, antwortete Ziva's Vater.

 

Man konnte genau sehen, wie die Dunkelhaarige mit sich rang, doch letztendlich überwand sie sich. Schließlich ging es hier um ihren Freund. „Tony wurde entführt! Wir haben ein Haar gefunden und daraus eine DNA-Probe gezogen. Ich habe irgendwie so ein Gefühl, dass jemand vom Mossad daran beteiligt sein könnte. Ich weiß nur nicht, warum.“

 

Einige Augenblicke lang herrschte Schweigen zwischen den beiden, bis der stellvertretende Direktor des Mossad mehr feststellte als fragte: „Du bist mit ihm zusammen?“

 

„Beleidige mich nicht, Vater, das weißt du doch seit dem ersten Tag!“ Nur mühsam konnte Ziva sich noch beherrschen, aber um Tony's willen musste sie es tun. Es fiel ihr äußerst schwer, die folgenden Worte auszusprechen, doch ihr blieb keine andere Wahl: „Bitte Papa, ... bitte hilf mir...“. Sie ließ den Kopf hängen und Jethro richtete sich alarmiert auf. Er verstand zwar nicht, was sie sagte, aber es war für alle sichtbar, dass das Telefonat sie sehr aufwühlte.

 

„Also gut Ziva, schick' mir die Analyse, ich werde sie durch die Datenbanken laufen lassen. Wenn ich etwas herausfinde, melde ich mich bei dir.“

 

„Toda Papa“ antwortete sie leise, fuhr dann aber nochmals fort: „Es ist jetzt ja schon 21.oo Uhr bei euch; du machst es doch trotzdem noch gleich, ja? Bitte.“

 

Eli David seufzte. „Sowie ich die Daten habe, fange ich an. Auf Wiederseh'n Ziva“.

 

„Wiederseh'n Papa.“ Ziva legte den Hörer zurück auf die Station und blickte Jethro und Tim an, die ihr fragend entgegensahen. „Wir müssen sofort die DNA nach Israel zu meinem Vater schicken. Er überprüft sie dort. Ich habe so ein Bauchgefühl, dass es jemand vom Mossad sein könnte, der Tony entführt hat! Wenn ich recht habe, wird Abby´s Recherche nichts bringen.“

 

Sprachloses Schweigen herrschte für einige Momente zwischen den drei Agents. Dann erhob sich Gibbs wortlos und machte sich umgehend, zusammen mit Abby, die immer noch am Aufzug wartete, auf den Weg zum Labor. Ziva und McGee folgten den beiden.

 

Dort angekommen machte Abby sich sofort daran, das Ergebnis der DNA-Analyse per E-Mail an Eli David zu schicken und stellte dann Ziva die Frage, die allen unter den Nägeln brannte: „Wie kommst du darauf, dass es jemand vom Mossad sein könnte?“

 

„Ich weiß es nicht, vielleicht die Haare, die Nase, die dunkle Haut, ich habe einfach so eine Ahnung...“ Man konnte Zivas Stimme anhören, wie verzweifelt sie war. „Ihr glaubt, ich suche nach der Nadel im Heuhaufen, oder?“

 

„Lass gut sein, Ziva“, sagte Gibbs leise. „In gewissem Sinne tun wir das doch auch.“

 

Kapitel 5

15.12 Uhr – Im Keller

 

Nachdem sie Tony zum fünften Mal mit diesen Stiften gefoltert hatten, legten sie ihm wieder die Handschellen an und versetzten ihm einen Stoß, dass er wie ein nasser Sack zu Boden ging. Völlig am Ende blieb er einfach liegen. Wozu sich aufrichten? Wozu überhaupt noch etwas tun? Die Schmerzen hatten seine Sinne vernebelt, er spürte nur noch das Ziehen und Stechen in seiner Hand und sein Herz, das überlaut gegen seine Rippen trommelte. In einer Stunde würden sie wiederkommen, doch was sie dann mit ihm machen wollten, hatten sie ihm dieses Mal nicht gesagt. Aber das war auch egal, die physische Folter, die er durchmachte, wurde dadurch nicht geringer. Ihm würden wieder Schmerzen zugefügt werden, immer wieder und wieder und das zermürbte ihn zunehmend, so sehr er sich auch dagegen stemmte. Als sie vorhin gekommen waren, hatte er kaum noch die Energie aufgebracht, sich zu wehren. Ohne echten Widerstand seinerseits hatten sie ihn zu diesem Tisch gebracht und ihr Vorhaben in die Tat umgesetzt. Wieder hatte er geschrien und gestöhnt und sich die ohnehin schon geschundenen Lippen noch blutiger gebissen. Inzwischen war es ihm auch schon egal, wenn sie ihn schreien hörten. Na und, sollten sie doch! Hauptsache, die Tortur war so schnell wie möglich vorbei und sie verschwanden wieder. Er wusste, dass sie sich an seinen Schreien und seiner Pein förmlich aufgeilten, doch es entzog sich seiner Macht, daran etwas zu ändern. So einfach war das!

 

Die physischen Schmerzen auszuhalten war eins, aber so langsam ging ihm die Folter auch schwer auf die Psyche. Dagegen galt es jetzt anzukämpfen, denn wenn er sich aufgab, hatte er unwiderruflich verloren, das spürte Tony. Wenn er seinen Gegnern das Gefühl vermittelte, dass sie 'keinen Spaß mehr mit ihm haben konnten´, dann würden sie der Folter ein Ende machen. Also würde er sich zur Wehr setzen, so gut er irgendwie konnte, denn nur das hielt ihn am Leben. Zumindest vorläufig.

 

'Verdammt, reiß' dich zusammen! Du bist Bundesagent und wirst doch wohl ein bisschen was aushalten!' Er gab sich selbst in Gedanken eine Kopfnuss und merkwürdigerweise half ihm das ein wenig. Er hatte sich immer für ziemlich taff gehalten, hart im Nehmen, aber er fühlte es genau, hier stieß er an seine Grenzen. Doch er musste durchhalten. Schon um Zivas willen. Sie war die Frau seines Lebens. Es hatte lange genug gedauert, bis er das gemerkt hatte, und jetzt sollte nach einem halben Jahr alles schon wieder vorbei sein? Nein, schrie seine innere Stimme auf. Kommt überhaupt nicht in Frage! Ziva war auch schon gefoltert worden und sie hatte es auch überstanden, ohne daran zu zerbrechen. Allerdings war sie wahrscheinlich auch noch nie solch völlig paranoiden Rächern in die Hände gefallen…

 

 

15.35 Uhr – Im NCIS-Hauptquartier

 

Die Minuten krochen nur so dahin. In der letzten Stunde hatten sie jede Verkehrsüberwachungskamera gecheckt, die im Umkreis der Lagerhalle zu finden war. Aber sie konnten einfach nichts Schlüssiges entdecken. Sie hatten versucht, ein verdächtiges Fahrzeug auszumachen, wobei sie bevorzugt auf Kasten- und Lieferwagen sowie Vans achteten – eben die Fahrzeugtypen, in denen man eine Person, die nicht freiwillig mitfuhr, gut verstecken konnte. McGee pickte sich wahllos nach Gefühl verschiedene Autos heraus und überprüfte sie genauer, ohne Erfolg. Nirgends war auch nur ein Anhaltspunkt auf einen dunkelhaarigen, gelockten Mann zu sehen.

 

Sie machten sich nichts vor: Die Entführer konnten mit Tony von der Halle aus in jede der vier Himmelsrichtungen, mit jedem erdenklichen Wagen gefahren sein. Es war zum verrückt werden, aber sie fanden einfach keinen konkreten Punkt, wo sie ansetzen konnten. Zusätzlich hatten sie bei jeder benachbarten Firma im Umkreis von 500 Metern zu der Lagerhalle nachgefragt, ob dort irgendjemandem vielleicht etwas Ungewöhnliches aufgefallen war, aber da an diesem Samstagmorgen dort kaum Leute gearbeitet hatten, blieb auch diese Aktion erfolglos.

 

Wütend schlug plötzlich Jethro auf den Tisch und griff nach seinem Telefon. „Abbs, schon irgendein Ergebnis mit der DNA?“, bellte er gleich darauf in den Hörer.

 

„Tut mir leid, Gibbs - bis jetzt nicht“, murmelte Abby zerknirscht und hatte kaum ausgesprochen, als es im Hörer krachte und der Chefermittler die Verbindung brüsk beendete. Niedergeschlagen legte Abby langsam auf und drehte sich mit hängenden Zöpfchen um. „Strengt euch an, Baby's, es geht doch um Tony!“ sagte sie leise in Richtung ihrer Apparaturen und starrte auf die Monitore, als ob sie ein Ergebnis herbeizaubern könnte.


 

16.01 Uhr – Im Keller bei Tony

 

Tony war leichenblass, seine Lippen blau und er zitterte am ganzen Körper vor Kälte. Seine Hände schienen wie abgestorben, nur der Schmerz, der von den Fingern seiner linken Hand ausging, verflog nicht. Jede noch so kleine Bewegung der Hand wurde mit heftigen Schmerzwellen bestraft. `Okay, was mich nicht tötet, macht mich nur härter´, dachte Tony und um ein Haar hätte er hysterisch losgelacht. Diesen blöden Spruch hatte er schon vor Jahren gehasst und ausgerechnet jetzt musste er ihm wieder einfallen. `Du musst aufpassen, dass du nicht überschnappst, alter Junge´, redete er sich gut zu. Geräusche von außen an der Tür ließen ihn gleich darauf zusammenzucken.

'Oh Gott, nein' dachte er, als sich die Tür mit einem leisen Quietschen öffnete. Er holte tief Luft und wappnete sich. Sein Alptraum ging weiter.

 

Sie zogen ihn hoch und lösten seine Handschellen, aber sie gönnten ihm keine Sekunde Verschnaufpause, damit er seine steifen Schultern erst langsam wieder an die Beweglichkeit gewöhnen konnte. Diesmal führten sie ihn nicht zu dem Tisch und Tony war zunächst einmal nur unheimlich froh darüber. Egal, was nun auf ihn zukommen mochte, es konnte nicht schlimmer werden als das, was er bisher durchgemacht hatte. Dachte er. Doch in diesem Punkt sollte er sich gewaltig irren.

 

Rücksichtslos wurden seine Arme nach oben gerissen und an einem der Deckenbalken befestigt. Tony´s Schultergelenke brannten wie Feuer, als sich augenblicklich seine gesamte Muskulatur verkrampfte. Und entlasten konnte er sie auch nicht, da er gerade so auf den Zehenspitzen stehen konnte. Auch seine Hand tobte wieder wie wild, da er mehrfach mit den Fingerspitzen irgendwo angestoßen war. Jedes Mal schossen die Schmerzblitze bis in sein Gehirn. Er stöhnte keuchend mit zusammengepressten Lippen und versuchte verzweifelt, sich irgendwie abzulenken. Er bemühte sich, Ziva's Gesicht vor seinem inneren Auge entstehen zu lassen, wie sie ihn mit blitzenden Augen verführerisch anlachte und ihm die Hoffnung gab, dass alles wieder in Ordnung kommen würde. Ein schöner Gedanke, wenn auch wahrscheinlich nur ein frommer.

 

Doch ob er wollte oder nicht, seine Aufmerksamkeit wurde automatisch auf Rebekka gelenkt, die wie schon die Male zuvor mit festen Schritten zum Regal ging, diesmal aber eine dünne Stahlgerte herausnahm, die etwa einen Meter lang war. Sie schien kurz nachzudenken und ließ dabei die Gerte zwei-, dreimal in ihre Handinnenfläche sausen, was ihr nichts auszumachen schien. Dann trat sie langsam vor den grünäugigen Agent, sah ihm direkt ins Gesicht, kniff die Augen zusammen - und schlug unbarmherzig zu.

 

Schon der erste Hieb, der zischend auf seine Brust traf, hinterließ einen feuerroten Striemen, genauso wie die nächsten. Immer wieder schlug Rebekka zu, mit voller Wucht, kreuz und quer ließ sie die Gerte über Tony's Oberkörper rasen, während sie wie von Sinnen brüllte: „Los, schrei! Schrei, verdammt nochmal! Schrei! Du sollst schreien, du mieser Cretin!“  

 

Oh ja, er wollte schreien, aber gerade, weil sie es jetzt von ihm forderte, unterdrückte Tony es. Er biss die Zähne so fest zusammen, dass sie knirschten, aber kein Ton kam über seine Lippen, auch nicht als Rebekka schließlich schwer atmend die Gerte an ihren Bruder weitergab, der hinter DiNozzo stand und fortan noch härter auf seinen Rücken einpeitschte. Bei jedem einzelnen Schlag zuckte Tony heftig zusammen und kniff seine Augen zu schmalen Schlitzen, aber es kam kein einziger Schmerzenslaut über seine Lippen. Er schaffte es sogar, Rebekka mit einem zu einer Fratze verzerrten Grinsen stumm ins Gesicht zu schauen, was sie schier rasend zu machen schien, denn daraufhin feuerte sie ihren Bruder wutschäumend mit sich überschlagender Stimme an: „Los, Thomas, fester! Du musst fester schlagen! Der hat noch lange nicht genug!“

 

Fast dankbar registrierte Tony Rebekkas Wutausbruch. Genau! Das war es, was er hören wollte. Diese Worte hielten ihn am Leben. .

 

Längst waren zahllose Striemen aufgeplatzt und dünne Rinnsale von Blut liefen seinen Oberkörper hinab. Rivkin drosch immer noch auf ihn ein, doch Tony spürte die Schläge kaum mehr. Mittlerweile war sein Kopf auf die Brust gesunken und das Rauschen in seinen Ohren wurde immer stärker. Den Boden unter den Zehenspitzen, der ihm wenigstens ein Minimum an Entlastung garantiert hatte, hatte er schon vor Minuten verloren. Schlaff baumelte sein Körper wie ein totes Stück Fleisch am Metzgerhaken von der Decke. Einen einigermaßen klaren Gedanken konnte er schon lange nicht mehr fassen und so war er unendlich dankbar, als er spürte, dass ihn endlich eine gnädige Ohnmacht umfing.


Kapitel 6

16.27 Uhr – NCIS-Hauptquartier

  

Die DNA des gefundenen Haares war mittlerweile durch sämtliche Datenbanken des NCIS, des FBI und noch einiger weiterer Behörden gelaufen – negativ. Abby zog immer weitere Kreise, aber die Hoffnung, noch etwas zu finden, schwand von Minute zu Minute. Zudem hatte sie dem Rest des Teams vor wenigen Minuten das niederschmetternde Ergebnis der Blutanalyse vom Hallenboden mitteilen müssen. Es handelte sich tatsächlich um Tony´s Blut und obwohl sie alle irgendwie nichts anderes erwartet hatten, war es doch sehr frustrierend die traurige Gewissheit zu bekommen.

 

Außerdem hatte inzwischen jede Polizeibehörde in Washington und der näheren Umgebung Tony´s Foto zusammen mit dem Aufruf erhalten, dass dieser Agent dringend gesucht wurde und jeder noch so kleine Hinweis sofort an den NCIS durchgegeben werden sollte, aber echte Hoffnung, so auf eine Spur zu stoßen, hatten sie auch bei dieser Aktion nicht. Die Entführer würden sich wohl kaum mit Tony in der Öffentlichkeit blicken lassen und brauchbare Bilder der Gangster hatten sie bekanntlich nicht.

 

Insgeheim hofften sie alle darauf, dass Ziva's Gefühl etwas bringen und Eli David ihnen weiterhelfen würde. Gleichermaßen war diese Hoffnung aber auch eine Befürchtung, denn wenn tatsächlich jemand vom Mossad hinter Tony´s Entführung steckte, standen seine Chancen wahrscheinlich nicht allzu gut. Es gab niemand im Team, dem das nicht klar war, auch wenn es keiner laut aussprach. Man brauchte sich nur Tim's bedröppeltes Gesicht anzusehen, dann wusste man, was er dachte. Für alle überraschend war ausgerechnet er derjenige, der schließlich das nervtötende Schweigen durchbrach.

 

„Hat irgendwer noch eine Idee, was wir tun könnten?“, fragte er in die Runde. Die endlose Warterei zerrte immens an seinen Nerven, aber alle anderen waren genauso nervös wie er und so brachte seine harmlose Frage bei Ziva das Fass endgültig zum überlaufen.

 

„Nein, ich habe keine Idee, McGee“, fauchte sie. „Niemand von uns hat noch eine gottverdammte Idee! Wir sind mit unserem Latein am Ende! Oder glaubst du, sonst würden wir hier blöd rum sitzen und Däumchen drehen!?“ Wutentbrannt feuerte sie ihren Hefter auf den Boden, der daraufhin mit lautem Krachen in seine Einzelteile zersprang. Für einen kurzen Moment lang herrschte Totenstille.

 

„Es ... es tut mir leid ... ich wollte nicht ...“ stammelte Tim und stockte.

 

Jethro kam ihm zu Hilfe: „Beruhige dich, Ziva, es hat keinen Sinn, jetzt die Nerven zu verlieren, das ist kontraproduktiv und hilft uns garantiert nicht weiter“.

 

„Ich will mich aber nicht beruhigen!“, zischte sie ihren Boss an, schluckte und atmete ein paar Mal tief durch. Dann fuhr sie leiser und bedrückt fort: „Es tut mir leid. Ich kann mich einfach nicht beruhigen .Ich bin … ich …Tony…“ Ihr versagte die Stimme. Sie sprang auf und lief einfach aus dem Büro in den Damen-Waschraum. Dort angekommen warf sie die Tür mit einem lauten Knall hinter sich zu, stützte sich mit beiden Händen auf dem Rand des Waschbeckens ab und sah sich selbst prüfend im Spiegel an. Sie erblickte ein blasses, angespanntes und sorgenvolles Gesicht und ihre Augen spiegelten die Angst um ihren Freund wider. Nach ein paar Sekunden konnte sie ihren Anblick nicht länger ertragen und schlug unglücklich die Hände vors Gesicht. Ein nur halbwegs unterdrückter Schluchzer entrang sich ihrer Kehle. Das war auch der Grund gewesen, warum sie so schnell aus dem Büro geflüchtet war. Sie wollte nicht, dass die anderen sie weinen sahen. Gibbs konnte mit so etwas nicht umgehen und McGee hätte sich wahrscheinlich nur fürchterlich erschrocken, wenn sie – immerhin eine ausgebildete Mossad-Killerin – haltlos geheult hätte. Ziva holte ein paar Mal tief Luft und versuchte, sich zu beruhigen. Sie drehte das kalte Wasser auf und wusch sich das Gesicht. Danach blickte sie müde wieder in den Spiegel über dem Waschbecken.

 

Jetzt, wo sie endlich einen Menschen gefunden hatte, den sie liebte, dem sie vertraute, bei dem sie sein durfte, wie sie war und sich nicht verstellen musste, der sie kannte und verstand, mit dem sie lachen konnte, der sie tröstend in den Arm nahm, wenn es ihr nicht gut ging ... ausgerechnet jetzt, passierte so etwas. Warum bloß immer ihr? Warum durfte sie nicht einfach einmal glücklich sein? Sie durfte Tony nicht verlieren! ... Sie konnte ihn einfach nicht verlieren! Soviel hatte sie in ihrem Leben schon ertragen müssen, aber wenn sie Tony nicht wiederbekäme, würde sie daran zugrunde gehen. Dessen war sie absolut sicher!

 

Verzweifelt stieß sie sich von dem Waschtisch ab und ging zur gegenüberliegenden Wand. Sie lehnte sich mit dem Kopf gegen die kühlen Fliesen und hieb impulsiv mit der flachen Hand auf die kalten Fliesen ein. 'Tony, wo zum Teufel steckst du?“ flüsterte sie mit erstickter Stimme.

 

 

17.48 Uhr – Im NCIS-Hauptquartier

 

Seit fast 20 Minuten starrte Ziva bereits regungslos zu Tony's Schreibtisch hinüber. Wie oft hatte sie das schon getan, ihn dabei beobachtet, wie er konzentriert an einem Fall arbeitete, wenn es notwendig und wichtig war, oder alternativ, wenn sie wenig zu tun hatten und Gibbs nicht in der Nähe war, er faul mit den Beinen auf dem Schreibtisch in seinem Sessel lümmelte und glückselig einfach nur vor sich hindöste. Oder wenn er hektisch wie ein kleiner Junge in einem Computerspiel versuchte, einen neuen Rekord aufzustellen. Oder wie er tief in Gedanken versunken dasaß, um auf die richtige Lösung in einem komplizierten Mordfall zu kommen. Oder, oder, oder … es gab so viele Situationen, in denen sie ihn beobachtet hatte und so manches Mal hatte sie sich dabei auch fürchterlich über ihn geärgert. Wie gerne würde sie sich jetzt über ihn ärgern…

 

Oh Gott, sie würde alles dafür geben, was ihr lieb und teuer war, wenn er jetzt dort drüben sitzen und mit seinem unwiderstehlichen Lächeln zu ihr herüber sehen würde – seine unvergleichlichen grünen Augen blitzend vor Lebensfreude und aus jeder Pore seines Körpers die unbändige Lust zu Leben ausstrahlend. Wie hatte sie ihn bloß jemals für oberflächlich halten können? Bei ihr musste man doch auch erst an der Oberfläche kratzen, um festzustellen, was für ein Mensch sich dahinter verbarg. Bei Tony verhielt es sich nicht anders und doch hatte sie lange, viel zu lange gebraucht, bis sie das bemerkt hatte. Ziva schüttelte sich kurz. Sie wusste, sie musste aufpassen, um nicht in Selbstvorwürfen zu ersticken. Damit half sie Tony schließlich auch nicht weiter.

 

„McGee, wie sieht´s aus?“, fragte sie, eigentlich nur um mal wieder das allgegenwärtige Schweigen zu durchbrechen. Sie musste sich dringend irgendwie ablenken.

 

Tim war mittlerweile schon dazu übergegangen, nicht nur die Autonummern von Liefer- und Kastenwagen zu überprüfen, sondern jede einzelne, die sie lesen konnten. Es war die reinste Sisyphos-Arbeit und wenig erfolgversprechend, aber es gab im Augenblick nichts, was er sonst tun konnte. Er blickte kurz hoch und schaute zu Ziva. Dabei zuckte er bedauernd mit den Schultern. „Nichts!“, verkündete er und rieb sich müde über die Augen. „Ich habe langsam das Gefühl, heute waren in Washington nur die Bürger mit den blütenreinen Westen unterwegs. Jeder, den ich bislang überprüft habe, ist ein 1A-Bürger. Die meisten können noch nicht einmal mit Verkehrsverfehlungen dienen. Allein diese Tatsache ist ungewöhnlich.“

 

Ziva ging rüber zum Fenster und blickte hinaus. Mittlerweile war es schon fast dunkel geworden, eine Tatsache, die die Suche nach einem verschwundenen Menschen nicht gerade erleichterte. „Das kann nicht sein“, entgegnete sie McGee. „Mindestens einer war heute da draußen unterwegs, der Staub am Stecken hat.“

 

„Dreck, Ziva. Es heißt `Dreck am Stecken´“, verbesserte Gibbs sie, der gerade mit dem unvermeidlichen Kaffeebecher in der Hand wieder hereinkam und sich neben sie stellte.

 

„Meinetwegen auch das, Gibbs. Aber eins darfst du mir glauben: Wenn wir diesen einen gefunden haben, kann er sich warm anziehen. Das garantiere ich dir.“

 

Gibbs legte beruhigend und wie er hoffte auch tröstend eine Hand auf Ziva´s Schulter.

„Haben wir was Neues?“, erkundigte er sich dann.

 

Deprimiert schüttelte Ziva mit dem Kopf. Irgendwie hatten sie immer noch gehofft, dass sich die Entführer melden würden. Dass es vielleicht sogar eine Lösegeldforderung geben würde. Aber das war natürlich nicht der Fall. Es hätte Ziva auch gewundert, falls noch eine derartige Nachricht käme. Diese Entführer wollten kein Geld, dessen war sie sich absolut sicher; die wollten etwas anderes. Nur was?

 

 

18.07 Uhr – Im Keller

 

Dieses Mal waren sie erst nach zwei Stunden wiedergekommen, weil er bis vor 20 Minuten bewusstlos gewesen war. Noch immer hing er an diesem Haken in der Mitte des Raumes und hatte kaum mehr Gefühl in den Händen und Armen. Sie lösten seine Fesseln und Tony plumpste abermals wie ein nasser Sack zu Boden. Sein Oberkörper brannte wie Feuer und auch seine Schultern und Hände vermeldeten mit pulsierenden Schmerzen, dass sie noch nicht ganz abgestorben waren.

 

Langsam ging Rebekka um den am Boden liegenden Agent herum. „Weißt du, Michael war mein großer Bruder und ich habe ihn vergöttert. Schon als kleines Mädchen habe ich immer zu ihm aufgesehen ... und du hast ihn mir einfach so weggenommen.“ Immer wieder umrundete sie ihr Opfer und selbst Aaron huschte bei dem tödlichen Klang ihrer Stimme ein kalter Schauer über den Rücken. „Er hat dir bei dem Kampf den Arm gebrochen, habe ich gelesen, ... es war der linke, nicht wahr?“ Sie blieb stehen und sah Tony fragend an, aber er gab ihr keine Antwort, sondern drehte nur langsam den Kopf und blickte ihr in die Augen. Was er dort sah, war ihm mittlerweile bekannt, doch die Intensität ihres Ausdrucks, überraschte ihn jedes Mal aufs Neue. Es war blanker Hass in seiner reinsten animalischen Form, gepaart mit sadistischem Vergnügen und dem unbändigen Verlangen, sich an ihm zu rächen.

 

„Bringt ihn an den Tisch!“, befahl sie ihren beiden Komplizen. Unverzüglich packten die Männer DiNozzo an den Armen und schleiften ihn rüber zum Tisch. Wieder musste er davor niederknien, während sie seinen linken Arm auf der Tischplatte festhielten. Obwohl er vollkommen geschwächt war, versuchte Tony reflexartig seinen Arm zu befreien, aber die Israelis hatten keinerlei Mühe, ihn daran zu hindern. Thomas Aviel Rivkin legte ihm einfach einen Arm um den Hals und drückte ein wenig zu, und schon kurz darauf rang der NCIS-Agent keuchend nach Luft und gab jeden weiteren Widerstand auf.

 

In diesem Moment schob Erez Tony's Arm ein wenig nach links, so dass nur noch der Oberarm bis zum Ellbogen auf dem Tisch lag, der Unterarm ragte darüber hinaus und wurde von Aaron am Handgelenk festgehalten. Mit Panik in den Augen realisierte der NCIS-Agent, was sie vorhatten und sein ganzer Körper begann zu beben.

 

„Mach' es langsam, Aaron“, sagte in diesem Moment Rebekka, während sie Tony's Gesicht keine Sekunde aus den Augen ließ, sie wollte jede Regung, jede kleinste Reaktion genau wahrnehmen, es war wie ein Elixier für sie. So lange hatte sie auf ihre Rache warten müssen und dann war da noch die lange Zeit der Planung und Vorbereitung gewesen – sie wollte den Teufel tun und jetzt auch nur den Bruchteil einer Sekunde davon versäumen.

 

Beinahe bedächtig begann der Israeli, DiNozzos Arm zu drehen, während er ihn gleichzeitig Zentimeter für Zentimeter nach unten drückte Der Braunhaarige versuchte instinktiv, sich aufzubäumen, um so den Kräften entgegenzuwirken, aber die Hände der zwei anderen hielten ihn unbarmherzig fest. Er fühlte, wie sein Knochen erst bis aufs äußerste belastet wurde und dann schließlich dem übergroßen Druck nachgab und splitternd zerbrach. Heiser stieß er einen gurgelnden Schrei aus und sackte dann mit schmerzverzerrtem Gesicht und geschlossenen Augen über der Tischplatte zusammen. Er gab ein leises, wimmerndes Stöhnen von sich, als sie ihn brutal auf den kalten Boden fegten, dann war er still, getrennt von seinen Peinigern in einer eigenen Welt, umgeben von nichts als Schmerz.

 

„Oh ja, das ist gut“, murmelte die Israelin. „Sehr gut! Legt ihm wieder die Handschellen an, aber besorgt eine Decke und gebt ihm etwas zu trinken. Ich will, dass er morgen früh auf jeden Fall noch lebt.“ Sie bückte sich zu Tony hinunter und flüsterte in sein Ohr: „Du kannst dich freuen, ich hab' noch viele schöne Sachen für dich, es ist noch lange nicht vorbei!“

 

Fortsetzung folgt im neuen Thread...

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