"20.55 h" oder "Die erste Stunde vom Rest eines Lebens" - Thread IX

Mein Dank gilt hier - wie auch in den anderen Threads - Evelyne
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47. Kapitel

 

Trauma Center Miami

 

Es war gegen 11.30 Uhr, als Tony an den schön angelegten Pool kam, der vor der Terrasse des Haupthauses lag und von Schatten spendenden Sträuchern eingerahmt wurde. Am Tag zuvor hatte er sich den gesamten Bereich des Trauma-Centers angesehen und war ziemlich beeindruckt gewesen. In dem großzügig angelegten Garten befanden sich mehrere Bungalows, in denen zum Teil Patienten wohnten. Es gab einen Bootsanlegesteg und sogar ein schnittiges Motorboot, mit dem man durch eine Lagune zum offenen Meer gelangen konnte. Alles erinnerte mehr an eine Ferienanlage als an ein „Reha-Center, was es in Wirklichkeit ja war. Natürlich gab es auch gewisse Regeln, an die sich jeder zu halten hatte. So hatte Randy Tony zum Beispiel gesteckt, dass Dr. Seltwick keinen Spaß verstand, wenn sich jemand ohne Erlaubnis einfach vom Grundstück entfernte oder einfach das Motorboot benutzte, ohne zu  fragen. Der Pool allerdings war für alle frei zugänglich und als Tony bei seinem Rundgang dann den Pool hinter dem Haupthaus entdeckte, hatte er sofort Lust bekommen, in dem kühlen Wasser ein paar Runden zu schwimmen. Es war heiß in Miami, ganz im Gegenteil zu Washington, wo es jetzt im März noch Winter war und sich die Temperaturen noch beinahe täglich unter dem Gefrierpunkt bewegten.

 

Jetzt stand er also in Shorts am Rand des Pools und ging in die Knie, um die Temperatur des Wassers zu fühlen. Es war einfach nur einladend, nicht zu warm und nicht zu kalt. Er überlegte gerade, einfach hinein zu springen, benutzte dann aber doch die ins Wasser führenden Treppenstufen. Er stand schon bis zu den Hüften im Wasser, hatte aber sein T-Shirt noch an. Er hatte mit sich gerungen, es auszuziehen, hatte es aber nicht geschafft. Wenn er nur an die zahlreichen Narben auf seinem Rücken dachte, die er Rebekkas ungezügelten Peitschenhieben zu verdanken hatte, versteifte sich sein Körper gleich wieder komplett. Versonnen hob er seine Hand an und schaute sinnierend auf die OP-Narben, die immer noch frisch, leicht gerötet und wulstig dort zu sehen waren. Den Handschuh, den er sonst immer trug, hatte er an diesem Tag das erste Mal in seinem Zimmer gelassen. Hier hatte schließlich jeder sein Päckchen zu tragen, hatte er sich gesagt. Er war da keine Ausnahme, also brauchte er auch nicht krampfhaft zu versuchen, seine Probleme zu verstecken. Der fehlende Handschuh war in Ordnung, aber seinen malträtierten Rücken mochte er trotzdem nicht vor allen zur Schau stellen…noch nicht.

 

In diesem Moment bemerkte er das Mädchen, das im Schutze einiger Sträucher am hinteren Ende des Pools auf einer Liege lag und ihn durch eine dunkle Sonnenbrille zu beobachten schien. Seit zwei Tagen saß er nun schon zusammen mit Anna beim Abendessen an einem Tisch. Aber bisher hatte er noch nicht mit ihr gesprochen. Sie hatte lediglich mit Randy ein paar wenige Worte gewechselt, ansonsten sprach sie kaum einmal.

 

„Hi“

 

Überrascht registrierte Tony dieses kurze Wort, mit dem sich die junge Frau offenbar an ihn gewandt hatte. Vorsichtshalber blickte er sich suchend um, ob nicht vielleicht doch Randy irgendwo in der Nähe war, aber der Kamikazepilot mit seinem Elektrorollstuhl war nirgendwo zu sehen. Anna musste also tatsächlich ihn gemeint haben. „Hi“, grüßte er vorsichtig zurück, mehr wagte er nicht zu sagen.

 

„Warum gehst du eigentlich mit deinem Shirt ins Wasser?“, fragte sie ihn plötzlich geradeheraus.

 

Tony sah an sich herunter und ließ seinen Blick eine Weile auf der Wasseroberfläche verweilen, beobachtete in aller Ruhe wie sich die kleinen Wellen, die er dadurch, dass er ins Wasser gestiegen war, verursacht hatte, schaukelnd an seine Oberschenkel schmiegten, während er sich seine Antwort wohl überlegte. Schließlich hob er langsam den Kopf wieder an und ließ seinen Blick über die Bäume und Sträucher vor sich streifen, bevor er sich endlich wieder Anna zuwandte. Überraschend ehrlich antwortete er dann mit fester Stimme: „Unter dem Shirt verstecke ich die Narben der Vergangenheit“.

 

„Ja“, stimmte ihm das blonde Mädchen Kopf nickend zu, als sei das das selbstverständlichste von der Welt. „Das verstehe ich – manche verstecken ihre Narben unter T-Shirts, andere hinter dunklen Sonnenbrillen.“ Wieder nickte Anna bekräftigend, bevor sie ruhig feststellte: „Es ist nicht leicht, anderen seine Narben zu zeigen.“

 

„Ja, da hast du recht. Das ist nicht leicht.“ Langsam ließ sich Tony ins Wasser gleiten und setzte sich auf eine der Treppenstufen. „Es ist sogar alles andere als leicht“, murmelte er dabei leise vor sich hin, bevor er wieder verstummte. Ein paar Minuten saß er so da, als sich Anna plötzlich erhob und bekleidet mit einem weiten, bodenlangen Kleid zu ihm herüber an den Pool kam. Nach kurzem Zögern streifte sie ihre Leinenschuhe von den Füßen,  trat ins Wasser und setzte sich neben Tony auf die Treppenstufe. Der Stoff ihres Kleides bauschte sich rasch auf der Wasseroberfläche auf und breitete sich wie eine Art Fächer rund um sie aus, doch das schien die junge Frau nicht weiter zu stören. Erstaunt warf der Halbitaliener ihr einen Seitenblick zu, während ein kleines Lächeln über sein Gesicht huschte. Für einen Augenblick lang dachte er schon, er hätte Anna damit womöglich verschreckt, aber sie lächelte nur ohne ein Wort der Erklärung zurück und ließ immer wieder Wasser durch ihre Finger rieseln. Verstehend lächelte Tony zurück. Es bedurfte keiner weiteren Erklärung – es war, als herrschte plötzlich ein stillschweigendes Einverständnis zwischen den beiden geschundenen Seelen. Gedankenverloren tat er es Anna gleich und begann ebenfalls mit dem Wasser zu spielen.

 

                                                          **********

  

Vom Zimmer seines Büros aus sah Dr. Seltwick die beiden wortlos nebeneinander auf den Treppenstufen des Pools im Wasser sitzen. Zwei Menschen, die beide Grauenvolles erlebt hatten und die nun hier bei ihm wieder in ihr früheres Leben zurückfinden sollten. Vielleicht war dies der erste Schritt. Zumindest für Anna könnte dieser Augenblick einen echten Durchbruch bedeuten. Sie war schon seit Wochen bei ihm und hatte soeben zum ersten Mal seit ihrer Ankunft einen fremden Mann allein neben sich geduldet, bzw. sogar von sich aus dessen Nähe gesucht. Körperlichen Kontakt würde sie vermutlich noch lange nicht ertragen können, viel zu viele schreckliche Dinge hatten ihr diese drei Monster angetan, wie er der umfangreichen Krankenakte hatte entnehmen können, die ihm von den behandelnden Ärzten übermittelt worden war. Es widerstrebte dem routinierten Psychologen nach wie vor, die drei Männer Menschen zu nennen, die diese bildhübsche junge Frau vier Tage lang gequält und vergewaltigt hatten, bevor sie dann schließlich den Spaß daran verloren hatten und ihr Opfer nachts völlig verstört – an Körper und Seele schwer verletzt – einfach im unwegsamen und gefährlichen Gelände der Everglades wie Müll aus dem Wagen geworfen hatten.

 

Anna´s körperliche Verletzungen waren inzwischen verheilt, doch ihre Seele krankte immer noch sehr. Nach zwei Selbstmordversuchen hatte die Patientin den Menschen, die ihr helfen wollten, irgendwann jegliche Unterstützung versagt und sich völlig in ihre eigene Welt zurückgezogen. Dr. Seltwicks Klinik schien ihre letzte Chance zu sein – sollte die Behandlung hier ebenfalls erfolglos bleiben, blieb wohl nur noch die Einweisung in eine geschlossene Anstalt als letzter Ausweg, die Patientin vor sich selber zu schützen. Doch leider hatte sich auch der Beginn von Anna´s Behandlung in seiner Klinik sehr schwierig gestaltet – und obwohl sie jetzt schon fast zwei Monate hier war, hatte sie bislang lediglich einen vagen Kontakt zu Randy aufgebaut. Wahrscheinlich, weil dieser ihr in seinem Zustand ungefährlich erschien. Das, was Dr. Seltwick jetzt dort unten am Pool beobachten konnte, gab ihm allerdings neue Hoffnung, dass er auch Anna letzten Endes würde helfen können und sie irgendwann dazu imstande wäre, die Klinik wieder zu verlassen, um auf eigenen Füßen zu stehen und ihr Leben zu meistern.

 

Anthony DiNozzo, dieser abgrundtief verzweifelte Mann, an dem seinem Freund Ducky so viel lag, war sicherlich auch kein einfacher Fall, doch er wäre nicht so erfolgreich in seinem Beruf, wenn er einem Patienten keine Chance einräumen würde. Das, was Ducky ihm von dem Bundesagenten erzählt hatte, wie er vor diesen drei schrecklichen Tagen war, passte im Grunde nicht zu dem Verhalten, das er eben hatte beobachten können, aber Tony war sicherlich durch das erlebte Trauma auch ein anderer Mensch geworden – dies war nur etwas, das er bislang weder vor sich selber, noch vor seinen Freunden hatte zugeben wollen. Und aus seinem jahrelangen Erfahrungsschatz wusste Dr. Seltwick sehr gut, wie viel Kraft es einen Menschen kosten konnte, anderen immer etwas vorzuspielen. Daher hielt er Ducky´s Entscheidung, Tony in eine Umgebung zu bringen, in der ihn niemand kannte und in der niemand spezielle Verhaltensweisen von ihm erwartete oder gar voraussetzte, für sehr klug und richtig. Auch dieser Patient hatte eben dort unten im Garten einen ersten wichtigen Schritt in Richtung Heilung getan – zwar unwissentlich, aber das war letzten Endes egal – was zählte war schließlich nur das Ergebnis!

 

Es klopfte. Mit leisem Bedauern wandte Dr. Seltwick sich von der Szene im Garten ab und ging zurück an seinen Schreibtisch. „Herein?“

 

Dr. Mallard betrat den Raum, der zwar durchaus imposant, aber gleichzeitig auch einladend und gemütlich wirkte.

 

„Charles, ich komme, um mich zu verabschieden.“

 

„Setz dich doch, alter Freund.“ Dr. Seltwick dirigierte seinen Studienfreund in Richtung Sitzecke und zauberte eine alte Flasche Scotch aus einem Barfach, das gar nicht wie ein solches wirkte. Kurz darauf reichte er Ducky ein Glas, während er sich setzte. „Du weißt, wie schade ich es finde, dass du uns schon wieder verlassen willst. Wir hatten bislang kaum Zeit über alte Zeiten zu reden.“

 

„Ich weiß, ich weiß“, seufzte der Pathologe und nahm einen Schluck. Gleich darauf nickte er anerkennend. „Die Uhrzeit ist wahrlich unchristlich, aber das Gebräu ist sehr, sehr gut. Ich denke, da kann man durchaus eine Ausnahme machen.“ Er erwiderte das breite Lächeln seines Freundes. „Du hattest schon immer den besten Scotch – wo auch immer du ihn organisierst. Ich vermute mal, das wirst du mir auch heute nicht verraten.“

 

Dr. Seltwick gluckste amüsiert. „Ganz sicher nicht. Sonst hast du ja keinen Grund, mich wieder mal zu besuchen.“

 

„Oh, das nächste Mal bist du an der Reihe“, konterte Ducky und stellte sein Glas ab. „Im Ernst, Charles, so gerne ich noch bleiben würde – ich muss zurück. Ich werde in DC gebraucht und außerdem habe ich Tony versprochen, dass ich versuchen werde, etwas dafür zu tun, dass er seinen Job später wiederbekommt.“ Er machte eine kurze Pause, bevor er weiter redete. „Du hältst mich doch auf dem Laufenden?“

 

„Natürlich. Das werde ich. Er ist übrigens ein bemerkenswerter Mann, euer Tony“, setzte der Psychologe hinzu und musste an die vorangegangene Szene im Garten denken.

 

„Das ist er“, bekräftigte Ducky. „Er ist ein guter Mann, der es verdient, dass man ihm wieder auf die Beine hilft.“

 

Dr. Seltwick nickte verstehend. „Hast du dich schon von ihm verabschiedet?“

 

„Ja, heute Morgen nach dem Frühstück, bevor ich gepackt habe.“ Aus der Entfernung war ein Hupen zu hören und Ducky erhob sich schwerfällig aus den tiefen Polstern. „Das wird mein Taxi sein.“

 

Auch Dr. Seltwick stand nun auf. „Da ich dich ja doch nicht umstimmen kann, bleibt mir nichts anderes zu tun, als dich nach draußen zu begleiten.“ Bedauernd legte er einen Arm um die Schultern seines alten Freundes und gemeinsam verließen sie das Zimmer.

48. Kapitel

Zurück in Washington – Im HQ - Großraumbüro

 

Gibbs betrat das Großraumbüro, wo Ziva und McGee bereits seit einer geraumen Weile an ihren Schreibtischen saßen und arbeiteten. Wortlos passierte der Teamleiter seine Mitarbeiter und schwang sich auf seinen Stuhl, während er schon gleichzeitig nach dem Bericht griff, den Abby ihm vor einer Viertelstunde gebracht hatte. Dass er die Ergebnisse ihrer Recherchen dort vorfinden würde, hatte die junge Goth ihm bereits per Handy mitgeteilt, nachdem sie ihn nicht im Büro vorgefunden hatte. Daher wusste der Grauhaarige auch schon, dass die Überprüfung der Lebensläufe der bislang überprüften Mitarbeiter des Trauma Centers nichts zutage gebracht hatte. Trotzdem wollte er sich alles noch einmal genau durchlesen – man wusste ja nie. Natürlich war Abby bekanntermaßen besser als nur gut, aber sie war auch seit Tony´s plötzlichem Verschwinden und der Nachricht, dass Rebekka noch lebte, ziemlich durch den Wind. Da konnte man schon einmal etwas übersehen. Einerseits hoffte er natürlich darauf, dass die Mitarbeiter des Trauma Centers nicht irgendwie mit Rebekka Rivkin in Verbindung gebracht werden konnten, denn dies würde bedeuten, dass Tony in Miami nach wie vor in Sicherheit war, aber andererseits wartete er mittlerweile so dringend auf irgendeinen Hinweis, der sie auf die Spur dieser Terroristen brachte, dass er sogar eine Spur nach Miami in Kauf genommen hätte. Natürlich würde er in diesem Fall Himmel und Hölle in Bewegung setzen, seinen besten Agent zu schützen, aber dieser Frau musste endlich das Handwerk gelegt werden und das besser heute als morgen. McGee´s Stimme riss ihn unvermittelt aus seinen trüben Gedanken.

 

„Ähm, Boss?“

 

Ungeduldig blickte Gibbs auf. „Was ist? Habt ihr was für mich?“

 

„Nein, ähm…aber…Direktor Vance hat eben angerufen. Er erwartet dich in seinem Büro.“

 

„Später.“ Damit war für Gibbs die Sache erledigt und sein Kopf beugte sich schon wieder tief über Abby´s Bericht, während er gleichzeitig mit einer Hand nach seiner Lesebrille tastete.

 

„Vance sagte, dass er dich umgehend sehen will, wenn du dich hier blicken lässt.“ Es war Tim sichtlich unangenehm, seinen Chef so dirigieren zu müssen, aber der Direktor hatte ihm gegenüber in dem vorangegangenen Telefonat sehr deutlich gemacht, was er wünschte. Sein Ärger darüber, dass er Gibbs – wie so oft in den letzten Tagen – zu einer absolut üblichen Bürozeit mal wieder nicht persönlich erreicht hatte, war seiner Stimme mehr als deutlich anzuhören gewesen und der MIT-Absolvent hatte absolut keine Lust, womöglich auch noch als Prellbock für den Zorn des Direktors herzuhalten. Die derzeitig schlechte Stimmung war schon übel genug.

 

„Soooo, sagte er das?“ Gibbs schob seine Lesebrille, die gerade ihren Platz auf seiner Nase gefunden hatte, wieder nach oben und funkelte seinen Mitarbeiter unübersehbar wütend an, der jedoch nur schweigend mit den Schultern zuckte und ihm damit deutlich machte, dass er lediglich der Überbringer der Nachricht war, Schweigend starrten sich die Männer für einige Sekunden an, bis Gibbs schließlich förmlich von seinem Stuhl aufsprang und sich ohne weiteres Wort auf den Weg nach oben machte.

 

„Puh…“ McGee blies die Wangen auf und blickte Ziva vielsagend an. „Der hat ja wieder eine Laune.“

 

„Wundert dich das?“, kam prompt die Antwort der Israelin, die seinen Blick traurig erwiderte.

 

„Nein…nein, du hast ja recht“, antwortete ihr Kollege und hob resigniert entschuldigend eine Hand. „Tut mir leid. Du musst dich ja noch viel furchtbarer fühlen als wir anderen“, stellte er dann fest. „Hat er sich mittlerweile eigentlich mal bei dir gemeldet?“

 

„Nein, hat er n…“ Ziva brach ab und schüttelte nur stumm den Kopf. Seitdem sie wusste, wo Tony sich befand, lies sie ihr Telefon keine Sekunde mehr aus den Augen. In den wenigen Stunden Schlaf, die sie fand, lag das Handy stets eingeschaltet und griffbereit auf ihrem Nachttisch, doch es blieb stumm. Sie wusste einfach nicht, wie sie das werten sollte. Sie konnte nur hoffen und beten, dass es trotz allem ein gutes Zeichen war. Dass es Tony dort gut ging, wo er sich gerade befand und dass er sich endlich auf dem Weg der Besserung befand. Und dass er sie trotz aller Probleme, die sie in den letzten Wochen gehabt hatten, immer noch liebte und sie vermisste. Sie für ihren Teil vermisste ihren Partner auf jeden Fall mehr als sie es in Worte hätte fassen können. Selbst Abby – die in der letzten Nacht bei ihr übernachtet hatte – war nicht in der Lage gewesen, sie aus ihren trüben Gedanken zu holen. Wenn er sich doch wenigstens einmal gemeldet hätte. Nur kurz! Sie wollte doch nur einmal kurz seine Stimme hören – aus seinem eigenen Mund hören, dass es ihm gut ging und dass er bald wieder nach Hause käme. Zurück zu ihr. Nach wie vor verbot sie sich, zu starke Emotionen zuzulassen, doch das fiel ihr von Tag zu Tag schwerer. Sie wusste, sie musste stark bleiben, wenn sie Tony helfen wollte, aber…Ziva verlor sich in ihren Gedanken und strich sich müde ein paar Haarsträhnen hinter die Ohren. Ja, sie war müde, aber noch lange nicht am Ende. Solange diese Terroristin noch frei herumlief, würde sie alles in ihrer Macht stehende tun, dass sich das so schnell wie möglich änderte.

 

McGee´s mitfühlender Gesichtsausdruck wurde noch betroffener, als er bemerkte, was seine einfache Frage bei Ziva für ein innerliches Gefühlschaos ausgelöst hatte. „Sorry, Ziva, ich…ich bin so ein Trottel. Es tut mir leid, ehrlich, ich wollte nicht noch zusätzlich…“

 

„Schon gut, Tim, schon gut“, sagte Ziva, die sich schon wieder gefasst hatte. „Ich glaube, es ist nur alles ein bisschen viel im Moment.“

 

Die junge Israelin wirkte in dem Augenblick so deprimiert und verloren, dass Tim spontan aufstand, zu seiner Kollegin trat, ihr eine Hand auf die Schulter legte – etwas, das er sich früher sicher nie getraut hätte – und wie er hoffte, beruhigend leichten Druck mit der Hand ausübte. Aus müden, dunkel umschatteten Augen schaute sie zu ihm auf und lächelte schief und leicht gequält. „Danke, Tim. – Das meine ich ernst. Ich weiß sehr gut, dass auch du zurzeit sehr wenig schläfst. Glaub nicht, dass ich das nicht bemerke. Du bist ein sehr guter Freund…wirklich. Sowohl mir, als auch Tony. Ich wünschte nur, dass er…“ Wieder stoppte sie mitten im Satz und wieder drückte Tim instinktiv leicht ihre Schulter.

 

„Er wird wiederkommen, Ziva“, sagte er mit fester Stimme und fragte sich im gleichen Augenblick woher er in diesem Moment plötzlich seine Zuversicht nahm. „Er wird wiederkommen und er wird zu dir zurückkommen. Wir werden diese Hexe ein für alle Mal aus dem Verkehr ziehen und dann werdet ihr heiraten. Du wirst sehen: Alles wird gut!“ Überrascht stellte er fest, dass er tatsächlich daran glaubte, was er da gerade von sich gegeben hatte und er genoss dieses kurze positive Gefühl.

 

Jetzt kullerte tatsächlich eine Träne über Ziva´s Wange und gerührt griff sie nach der Hand des Freundes: „Ich möchte dir so gerne glauben, Tim, wirklich, du ahnst gar nicht, wie sehr ich mir das wünsche.“

 

 

Im Büro des Direktors

 

Wie üblich war Gibbs grußlos durch das Sekretariat gestürmt und ohne anzuklopfen in Vance´s Büro geplatzt. „Sie wollten mich sprechen?“, blaffte er kurz in Richtung des Schreibtisches seines Vorgesetzten, kaum dass er das Büro betreten hatte. Erst danach bemerkte er, dass sich sein Vorgesetzter nicht alleine in seinem Refugium befand. Vor seinem Schreibtisch saß in dem einen Besucherstuhl Ducky mit bequem übereinandergeschlagenen Beinen. Das freundliche Kopfnicken zur Begrüßung des neuen Gastes quittierte Gibbs nur mit einem kurzen erbosten Schnauben.

 

„Jethro, schön, dass du da bist“, sagte Ducky gänzlich unbeeindruckt. Schließlich kannte er den Chefermittler schon seit Jahren und so konnte er sich lebhaft vorstellen, was da gerade in seinem alten Freund vorging.

 

„Ducky“, antwortete Gibbs spitz. „Du hier? War dein Kurzurlaub wenigstens erholsam?“, setzte er dann mit vor Ironie triefender Stimme hinzu.

 

„Du weißt sehr gut, dass es kein Urlaub war“, antwortete der alte Schotte ruhig. „Es musste etwas geschehen und ich habe es in die Hand genommen. Das ist alles.“

 

„Und du hast mich und die anderen dabei schändlich hintergangen“, fauchte Gibbs unbeherrscht. „Du solltest bitte nicht vergessen, diese klitzekleine Kleinigkeit zu erwähnen.“

 

„Stopp“, mischte sich jetzt Vance ein. „Wir wollen uns doch hier nicht gegenseitig zerfleischen. Wir sollten vernünftig miteinander reden und versuchen, eine Lösung zu finden, die allen Beteiligten gerecht wird. Es geht hier schließlich um einen langjährigen Mitarbeiter, der offensichtlich…“

 

„Ohooo, einen langjährigen Mitarbeiter“, zischte Gibbs nun in die andere Richtung. „Genau! Gut, dass Sie das erwähnen, Direktor. Einen langjährigen Mitarbeiter, den Sie ohne zu zögern und ohne wirkliche Beweise zu haben, vom Dienst suspendiert haben und damit die ohnehin schon prekäre Situation noch verschlimmert haben. Hier hatten wir DiNozzo wenigstens unter Kontrolle und konnten ihn beschützen.“

 

„In Miami ist er sicher, Jethro“, sagte Ducky nun bestimmt.

 

„Glaubst du das oder hoffst du das?“

 

Ducky seufzte kurz auf, bevor er schließlich sagte: „ Es tut mir leid, dass ich das sagen muss, Jethro, aber du benimmst dich nicht gerade professionell, sondern eher wie ein beleidigtes Kind, das sich übergangen vorkommt.“

 

Gibbs schnappte nach Luft. So hatte noch niemand gewagt, mit ihm zu sprechen und wenn es nicht gerade Ducky gewesen wäre, wäre ihm wahrscheinlich in seiner derzeitigen Stimmung sogar die Faust ausgerutscht, aber so…hielt er einfach den Mund und blitzte seinen alten Freund nur wütend an.

 

„Können wir nun endlich reden?“, erkundigte sich Vance mit leichter Ungeduld in der Stimme.

 

„Von mir aus jederzeit“, antwortete der Pathologe.

 

Gibbs Nicken konnte knapper nicht ausfallen. Mit äußerster Willensanstrengung zwang er sich zur Ruhe und zog sich schließlich den zweiten Stuhl heran. „Offensichtlich wurde hier schon geredet – darf ich erfahren was, oder fällt das vielleicht auch unter die ärztliche Schweigepflicht?“, fragte er dann schnippisch.

 

„Gibbs!“ Langsam platzte dem Direktor der Kragen. Sein Gegenüber war ja schon immer schwierig gewesen, aber noch hatte er hier das Sagen.

 

„Schon gut, schon gut. Also, worum geht´s?“

 

„Dr. Mallard hat mich nach einigem Hin und Her davon überzeugen können, dass ich mit der Suspendierung von Agent DiNozzo vielleicht etwas voreilig gehandelt und einen Formfehler begangen habe.“

 

Gibbs Augenbrauen wanderten in ungeahnte Höhen. „Einen Formfehler?!? Was Sie nicht sagen! Und?“

 

Vance schluckte den wieder aufkommenden Ärger über Gibbs Verhalten hinunter. „Ihr Mann befand sich zum Zeitpunkt der Suspendierung noch in ständiger Behandlung bei Dr. Mallard. Er war somit eigentlich noch krankgeschrieben und nur bedingt einsatzfähig.“

 

„Dass er noch nicht wieder gesund war, haben wir ja schon vorher gewusst, nicht wahr?“ Gibbs Stimme klang scharf. „Ich meine, aufgrund seines physischen Zustandes durfte er ja auch schließlich noch nicht wieder in den Außendienst. Dass er zusätzlich noch „Geheimkonsultationen“ in Anspruch nahm, lassen wir jetzt mal dahingestellt, nicht wahr…“ Ein wütender Seitenblick streifte den kleinen Schotten neben ihm, der dies jedoch völlig ungerührt zur Kenntnis nahm.

 

„Sicher. Das wussten wir.“ Vance atmetet tief durch. Gibbs´ Konfrontationshaltung zerrte an seinem Geduldsfaden, trotzdem fuhr er so ruhig wie möglich fort: „Wenn wir die Sache nun aber so darlegen, dass DiNozzo quasi auf eigene Faust in den alten Fällen ermittelt hat, wobei er auf diese Ungereimtheiten gestoßen ist, dann…“

 

„Ungereimtheiten? Sie nennen mehrere Kilo verschwundenes Rauschgift tatsächlich Ungereimtheiten?“ Gibbs lachte kurz auf. „Ein guter Witz. Mein Agent ist da auf etwas ganz Großes gestoßen und er wurde verladen! Vom Allerfeinsten! Und dann sind wir ihm auch noch in den Rücken gefallen! Alle! Feine Kollegen sind wir!“

 

„Schön, dass Sie sich selber da nicht ausschließen“, schoss Vance zurück.

 

„Ganz sicher tue ich das nicht! Das ist etwas, womit ich leider von nun an leider leben muss.“

 

 „Gut, aber darum geht es hier nicht. Die Fakten lagen auf dem Tisch und somit blieb mir erst einmal keine andere Wahl, als Ermittlungen gegen beide Agents einzuleiten und bis zur endgültigen Klärung der Angelegenheit auch beide vorläufig zu suspendieren.“

 

„Sie glauben doch nicht wirklich, dass DiNozzo etwas mit dem verschwundenen Rauschgift zu tun hat?“, schnauzte Gibbs mit einer wegwerfenden Handbewegung. „In diesem Fall hätte er doch nie und nimmer ein Wort verlauten lassen und eher dafür gesorgt, dass die Akte auf Nimmerwiedersehen verschwindet. Caulder muss bemerkt haben, dass es brenzlig für ihn wird und da hat er die Gegeninitiative ergriffen.“

 

„Sie sollten mir genauer zuhören, Agent Gibbs. Verdammt noch mal: Ich versuche hier gerade, Ihrem Mann eine Brücke zu bauen! Ich habe nie gesagt, dass ich an die Schuld von Agent DiNozzo glaube…aber ich brauche Beweise. Bringen Sie mir aussagekräftige Beweise gegen Caulder, die für sich sprechen und alles ist gut. Aber nachdem, was Dr. Mallard mir eben erzählt hat, sehe ich eine Chance die Suspendierung ihres Mannes in eine krankheitsbedingte unbefristete Freistellung umzuwandeln. Die Ermittlungen werden natürlich deswegen nicht eingestellt werden, aber wenn ich mir vorstelle, was Ihr Agent alles durchgemacht hat, könnte ich in Erwägung ziehen…“

 

„Glauben Sie mir, Direktor, Sie haben keine Vorstellung davon, was Anthony DiNozzo seit seiner Befreiung aus diesem Keller alles durchgemacht hat“, warf Ducky ruhig ein. „Selbst ich habe die Sachlage verkannt, sonst hätte ich sicher nicht zugelassen, dass es zu diesem eklatanten Zusammenbruch gekommen wäre.“

 

Vance seufzte tief. „Gut, lassen wir das einmal vorläufig dahingestellt sein. Fakt ist, dass DiNozzo nach seiner vollständigen Genesung seinen Job hier wieder antreten kann, aber nur, wenn wirklich sicher ist, dass er wieder zu 100 % einsatzfähig ist. Sowohl physisch als auch psychisch – und natürlich vorausgesetzt, dass Sie mir bis dahin entsprechende Beweise für DiNozzo´s Unschuld gebracht haben.“

 

49. Kapitel

In Vance´ Büro

 

„Was passiert mit Sam Caulder?“, wollte Gibbs wissen.

 

„Das muss ich Ihnen doch nicht erklären, oder?“ Vance seufzte wiederum. „Nun gut, die Ermittlungen werden weitergeführt. Erst wenn alles abgeschlossen und seine Schuld eindeutig bewiesen ist, kann ich den Mann rauswerfen – aber bis dahin bleibt er natürlich suspendiert. Die Verdachtsmomente und Indizien rechtfertigen das auf jeden Fall!“

 

„Und Rebekka? Die wird nicht untätig sein, während wir hier Probleme wälzen, die eigentlich gar keine hätten sein sollen? Diese Frau wird längst bemerkt haben, dass Tony sich nicht mehr in DC befindet. Sie wird ihn suchen und Gott weiß, was passiert, wenn sie rausbekommen sollte, wo er ist.“

 

„Nun…dieser Fall liegt natürlich schwieriger“, gab Vance zu. „Wie viele Personen hier in DC außer uns wissen, wo DiNozzo ist?“

 

„Drei außer uns: Ziva, McGee und Abby, wie ich vermute, denn sie steht Ziva gerade sehr zur Seite.“

 

„Nun, dann übertrage ich Ihnen hiermit die Verantwortung, dass es dabei bleibt“, sagte Vance mit fester Stimme, die keinen Zweifel daran ließ, dass er meinte, was er sagte. „Es darf nichts nach draußen dringen – unter gar keinen Umständen. Ich befreie Sie und Ihr Team ab sofort von allen anderen Fällen. Suchen Sie nach dieser Frau und finden Sie sie.“

 

„Die Beweise für Tony´s Unschuld natürlich nicht zu vergessen“, warf Gibbs unüberhörbar zynisch ein.

 

Vance schüttelte bedauernd den Kopf. „Ich würde Ihnen ja gerne mehr Leute zur Verfügung stellen, aber wie Sie wissen, verbietet sich das von selbst. Dafür garantiere ich Ihnen, dass Sie absolut freie Hand haben – was auch immer Sie unternehmen. Mehr kann ich nicht für Sie tun. Und jetzt gehen Sie schon und machen Sie sich an die Arbeit. Ich weiß, ich erwarte viel, aber finden Sie diese verdammte Israelin – und zwar schnell!“

 

 Gibbs stand auf, beugte sich vor und legte eine Hand flach auf den Schreibtisch, um seine Entschlossenheit damit noch zu unterstreichen, als er grimmig verkündete: „Nichts lieber als das!“

 

 

Der gleiche Morgen – Bei Rebekka & Caulder

 

Sam Caulder reckte und streckte sich ausgiebig, als er in dem fremden Bett erwachte. Träge blinzelte er durch halbgeschlossene Lider in das eher schmucklose Schlafzimmer seiner Eroberung. Maureen…wobei…sein Instinkt sagte ihm mittlerweile, dass Maureen wohl eher nicht Maureen war. Aber das war ihm relativ egal, denn das, was sich am gestrigen Abend in diesem Zimmer abgespielt hatte, stellte so ziemlich alles in den Schatten, was er bislang mit Frauen erlebt hatte. Wie auch immer Maureen tatsächlich hieß, sie war auf jeden Fall eine absolute Granate im Bett. Sehr einfallsreich und schier unersättlich hatte sie sich gezeigt und ihm beinahe alles abverlangt. Aber er hatte seinen Mann gestanden und so, wie sie gestöhnt und sich unter ihm gewunden hatte, hatte auch sie ihren Spaß gehabt. Noch besser hatte es ihm allerdings gefallen, als sie ihn völlig zügellos geritten hatte. Schon allein, als er daran zurückdachte, fühlte er, wie sich bei ihm schon wieder ein gewisser Körperteil in Position brachte. Wow, kaum zu glauben, aber er hatte tatsächlich schon wieder Lust auf diese Frau…

 

Genießerisch riskierte er einen Seitenblick, wo das Objekt seiner Begierde noch in tiefem Schlummer lag. Wie unschuldig sie doch wirkte, dachte er still bei sich. Niemand käme bei diesem Anblick auf die Idee, was diese zierliche Frau für ein Feuerwerk abbrennen konnte. Nun gut, er würde ihr noch ein wenig Zeit gönnen, aber wenn sie nachher wach würde, dann…Ja, dann war sie fällig, soviel stand mal fest. Caulders Gesicht zierte lüsterne Vorfreude, als er sich vorsichtig aus den Laken schälte und sich auf leisen Sohlen auf den Weg ins Badezimmer machte.

 

 

Im HQ – Ducky & Ziva

 

Als oben auf der Galerie laut und vernehmlich eine Tür ins Schloss fiel, flogen nicht nur McGee´s und Ziva´s Blick ruckartig nach oben. Die beiden, sowie auch alle anderen Anwesenden im Großraumbüro konnten dann beobachten, wie ein grimmig wirkender Leroy Jethro Gibbs aus dem Sekretariat des Direktors stürmte, mit langen Schritten die wenigen Meter zur Treppe überbrückte und kurz darauf wortlos an den Schreibtischen seiner Mitarbeitern vorbei ins Treppenhaus stürmte.

 

McGee hob fragend seine Augenbrauen und schaute zu seiner Kollegin, deren Gesicht ebenfalls ratlos wirkte, bevor sie durch ein Schulterzucken ihre tiefe Frustration zum Ausdruck brachte. Gott, wie sehr er sich wünschte, ihr irgendetwas Aufmunterndes sagen zu können, doch was sollte das sein? Er fühlte sich doch selber so hilflos wie schon seit langem nicht mehr.

 

Auf der Galerie klapperte erneut eine Tür – dieses Mal deutlich leiser – doch in der Stille des Großraumbüros klang das Geräusch trotzdem beinahe unnatürlich laut. Wieder blickten alle Augen nach oben und dieses Mal sprang Ziva wie von der Tarantel gestochen auf, als sie erkannte, wer da oben gerade auf die Galerie trat.

 

„Ducky!“ Schon hatte die junge Israelin die Stufen hinter sich gebracht und stand nur Sekunden später neben dem alten Pathologen. „Ducky…“, wiederholte sie dann etwas atemlos und blickte den alten Freund hilfesuchend an. Irgendetwas in ihr verbot ihr, ihn direkt nach Tony zu fragen, obwohl die Fragen gerade in ihrem Kopf wild durcheinander schossen. Wo war Tony? War auch er zurück in DC? Wie ging es ihm? Hatte Ducky eine Nachricht für sie? Wenn ja, wollte sie diese überhaupt hören? Dachte Tony überhaupt noch an sie? Oder hatte er womöglich nach der letzten Auseinandersetzung mit dem Kapitel Verlobung endgültig abgeschlossen? Es musste doch so sein, oder? Was konnte es sonst für einen Grund dafür geben, dass er sich nicht wenigstens einmal bei ihr gemeldet hatte? Ziva bemerkte, wie die Gefühle sie plötzlich übermannten und sie unvermittelt zu zittern begann. Mit beiden Händen griff sie nach dem Geländer, wie nach einem Rettungsanker, denn für einen Moment lang fürchtete sie, dass ihre Beine unter ihr nachgeben würden. „Ducky“, flüsterte sie wiederum, beinahe lautlos und registrierte dann dankbar, wie der kleine Schotte erst nach ihren Händen griff und sie dann gleich darauf an den Unterarmen helfend abstützte.

 

„Ziva, bitte. Beruhige dich. Es ist alles in Ordnung.“

 

Wie aus der Ferne kamen die Töne in Ziva´s Ohren an. Töne, die sich in ihrem Kopf zu Worten formten…Worte, deren Bedeutung sie kaum nachvollziehen konnte. Wie zum Teufel konnte das sein? Wie sollte plötzlich alles wieder in Ordnung sein? Das ging doch gar nicht…WAS war mit Tony?

 

Ducky, der selbstverständlich erkannt hatte, welch ein Sturm in der Brünetten gerade tobte, übte noch einmal beruhigend Druck auf ihre Unterarme aus, in der Hoffnung, dass sie spürte, dass er es ehrlich meinte. „Es geht ihm gut“, sprach er dann endlich die ersehnten Worte aus. „Komm, lass uns irgendwo hingehen, wo wir unter vier Augen sprechen können – wir stehen ja hier wie auf dem Präsentierteller. Einverstanden?“

 

Ziva hatte sich bereits wieder unter Kontrolle und nickte zustimmend. In diesem Augenblick wäre ihr alles recht gewesen und wenn Ducky von ihr verlangt hätte, dass sie sich vor den Kollegen nackt auszog und im Büro einen Veitstanz aufführte – wahrscheinlich hätte sie sogar dies getan – Hauptsache, sie erfuhr endlich etwas über Tony.

 

 

Etwa zeitgleich – Bei Rebekka & Caulder

 

Nachdem Sam Caulder sich im kleinen Badezimmer etwas frisch gemacht hatte, war er kurz ziellos durch die Wohnung geschlendert und hatte sich etwas umgehen. Viel gab es nicht zu sehen, das hatte er schon nach wenigen Minuten festgestellt. Die Wohnung war spärlich und fast ärmlich möbliert, aber was ihm am meisten auffiel war, dass sie sehr unpersönlich wirkte. Keine Bilder an der Wand, keine Nippes oder andere Kleinigkeiten, die irgendwo herumstanden und erst recht keine Fotos, die gerahmt im Regal standen. Das war schon merkwürdig, denn normalerweise legten Frauen doch Wert auf solche Dinge. Aber diese Frau nebenan im Schlafzimmer umgab sowieso eine Aura von Rätseln. Egal, wenn sie ihm weiterhin so grandiosen Sex anbot, würde er locker darüber hinwegsehen. Caulder beschloss, erst einmal Kaffee zu kochen und begab sich in die Küche auf die Suche nach demselben. Da er weder auf der Arbeitsfläche, noch im Wandregal eine Kaffeedose fand, machte er sich systematisch daran, die Hängeschränke zu öffnen. Schon bei der 2. Tür stutzte er und hielt inne. In diesem Schrank befand sich nicht nur kein Kaffee, sondern…jaaa, was zum Teufel war das eigentlich? Ein Karton, aus dem jede Menge Drähte und Schnüre herausragten, daneben lagen gleich mehrere Fernbedienungen und…instinktiv wollte Caulder nach der glänzenden kleinen Waffe greifen, die im untersten Fach des Hängeschrankes nebst einem Magazin und einer Schachtel mit weiterer Munition lag, als…

 

„Was zum Teufel suchst du da?“, erklang eiskalt und voller unterdrückter Wut plötzlich Maureen´s Stimme hinter ihm.

 

Erschrocken fuhr Caulder herum und als er in die zu Schlitzen verengten Augen und das vor lauter Zorn verzerrte Gesicht der neuen Bedienung aus Jims Bar blickte, manifestierte sich seine Vermutung, dass er es hier definitiv mit einer Frau zu tun hatte, die nichts mit einer harmlosen Kellnerin namens Maureen gemeinsam hatte. Einige Sekunden lang blickten sich beide schweigend an, dann hatte Caulder seinen ersten Schreck verdaut und lehnte sich betont lässig an die Arbeitsfläche. Instinktiv spürte er, dass er sich jetzt besser keine Blöße geben sollte, auch wenn er sich gerade nicht wirklich wohl in seiner Haut fühlte. „Wer zum Henker bist du?“, fragte er mit ruhiger Stimme, der man nicht anhörte, wie es in ihm aussah. Hier machte sich seine gute Ausbildung zum NCIS-Agent, wie auch das ständige psychologische Training bemerkbar. Es gelang ihm blendend, seine Unsicherheit zu verbergen, doch er war auf der Hut. „Und was für ein Spiel spielst du hier?“

 

„Das möchtest du wohl gerne wissen, was?“ Die Antwort kam fast einem Fauchen gleich.

 

„Allerdings“, grinste Caulder frech. „Und bitte…beleidige mich nicht, indem du versuchst, mir zu verkaufen, dass du Maureen aus weiß-der-kuckuck-woher bist…“ 

 

Ihr Sexpartner gab sich nach außen hin nach wie vor entspannt, doch Rebekka ließ sich davon nicht eine Sekunde lang täuschen. Nein, sie würde sicher nicht den Fehler begehen, diesen Mann zu unterschätzen. Außerdem hatte sie immer noch vor, ihn für ihre Zwecke zu benutzen und da wäre es ziemlich dämlich von ihr, sich von vorneherein dieser Chance zu berauben, indem sie ihm jetzt schon die Kehle mit dem Messer durchschnitt, dass sie hinter ihrem Rücken in der Hand hielt und das immer griffbereit unter ihrer Matratze liegen hatte. Immer vorbereitet sein, so lautete ihre Devise, doch wenn sie jetzt übereilt handelte, konnte sie das womöglich einer guten Möglichkeit berauben, herauszufinden, wo DiNozzo sich gerade befand. Obwohl, es reizte sie schon…besonders, wenn sie an das Hochgefühl zurückdachte, dass sie empfunden hatte, als sie sich förmlich in einen Blutrausch hineingesteigert und ihren ihr treu ergebenen Helfer, der sie verletzt und frierend aus dem Abbruchhaus gerettet hatte, kaltblütig abgeschlachtet hatte. Jaaaa, das hatte schon Spaß gemacht…

 

Spielerisch bewegte Rebekka gekonnt das Messer hinter ihrem Rücken hin und her. Fast kam es ihr dabei so vor, als würde das scharfkantige Instrument sie darum bitten, endlich wieder in Aktion treten zu dürfen. Wahrlich eine verlockende Option…sehr verlockend. Kurz gestattete sie sich die Vorstellung, wie sich die Augen dieses dämlichen Agents vor ihr angstvoll weiten würden, während sie mit dem Messer langsam und genüsslich seine Eingeweide filetierte. Wie das Leben langsam und unaufhaltsam aus ihm wich und wie das Begreifen des Unausweichlichen im Moment seines Todes ihr wahrscheinlich einen weitaus besseren Orgasmus bescheren würde, als sie es ihm in der letzten Nacht vorgespielt hatte. Nach dem ganzen Theater hätte sie sich einen richtigen im Grunde jetzt mehr als verdient…

 

„Was ist nun?“, hakte Caulder nach, dem der leicht veränderte, fast verträumt wirkende Gesichtsausdruck seiner Gespielin durchaus aufgefallen war. Auch dass sich der wohlgeformte Busen plötzlich heftig hob und senkte trug nicht dazu bei, dass er sich gerade besonders sicher fühlt. Zudem er gänzlich unbewaffnet war. Woran auch immer diese Frau gerade dachte, er spürte, dass er sie besser aus diesen Gedanken zurück in die Gegenwart holen sollte.

 

Ruhig wog Rebekka noch einmal kurz das Für und Wider ab, während sie Caulder nicht aus den Augen ließ. Sie betrachtete es als eine glückliche Fügung, dass ausgerechnet dieser Mann ihr unter so vielen anderen in Jim´s Bar aufgefallen war. Noch besser für sie war natürlich, dass der Typ so absolut schwanzgesteuert war. Dadurch hatte sie ein mehr als leichtes Spiel gehabt. Die einzige Frage, die sie sich noch stellte war, inwieweit Sam Caulder noch tief in seinem Inneren ein Agent war? Der Mann hasste DiNozzo, das war mehr als deutlich zutage getreten, doch wie weit würde er tatsächlich gehen, um den so verhassten Ex-Kollegen zu vernichten? Besaß er noch einen Rest von Skrupel, oder würde er einfach alles tun, um DiNozzo am Boden zu sehen? Nun, sie würde es gleich herausfinden! In diesem Augenblick traf die Israelin ihre endgültige Entscheidung. Die Chance, die sich ihr hier bot, durfte sie einfach nicht ungenutzt verstreichen lassen. Dafür war sie sogar dazu bereit, die Mordgelüste, die gerade in ihr tobten, vorläufig zurückzustellen. Sie wollte sich den tiefen Hass des Mannes vor ihr unbedingt zunutze machen. Dafür war sie im Gegenzug bereit, alles auf eine Karte zu setzen. Wenn es schiefging, konnte sie den Idioten immer noch kaltmachen. Eine ihrer leichtesten Übungen!

 

Dass Caulder sich ihr evtl. widersetzen könnte, daran verschwendete die Israelin keinen Gedanken, als sie ihm nun mit einem leichten Lächeln auf den Lippen mitteilte: „Also gut, wenn du es unbedingt wissen willst. Mein Name ist Rebekka. Rebekka Rivkin. Ich nehme an, das sagt dir was.“

 

Für einen kurzen Moment lang veränderte sich der Blick ihres Gegenübers. Rebekka las erst ungläubiges Staunen darin, gefolgt von Fassungslosigkeit und gleich danach auch Entsetzen – allerdings nur ganz kurz. Letztlich drückte Caulders Mienenspiel fast so etwas wie Hochachtung aus, als er mit einem breiten Grinsen im Gesicht antwortete. „Wow, das ist ja ein Ding. Ich muss schon sagen…nachdem ich schon so viel von dir gehört habe, bin ich wirklich sehr erfreut, dich mal persönlich kennenzulernen.“

 

50. Kapitel

Miami Trauma Center

 

Die Sonne stand bereits hoch am Himmel als Tony am Morgen nach Ducky´s Abreise erwachte. Er beobachtete behäbig und noch halb schlafend, wie sich die Vorhänge vor den Fenstern im 3. Stock des Hauptgebäudes des Trauma Centers immer wieder leicht im stetigen Windhauch, der durch die gekippten Fenster fiel, bauschten und er lauschte dem Zwitschern der Vögel, die in den Bäumen eine erregte Diskussion zu führen schienen. Ständig wechselnde Licht- und Schattenspiele an der Decke und auf den Möbeln seines Zimmers vervollständigten das friedliche Bild und verstärkten Tony´s Wohlgefühl, welches er beim Aufwachen verspürte. Irgendwo draußen im weitläufigen Garten des Geländes kanzelte gerade einer der Gärtner offenbar sehr unzufrieden einen seiner Mitarbeiter ab, was der sich aber anscheinend nicht widerspruchslos gefallen ließ.

 

Tony reckte und streckte sich noch einmal ausgiebig, während sich unwillkürlich ein Lächeln auf seinem Gesicht breitmachte. Alles schien so herrlich normal und er genoss dieses tiefe innere Gefühl der Zufriedenheit noch einige Sekunden, bevor er seine Beine endlich aus dem Bett schwang und sich auf den Weg ins Bad machte. Während er sich die Zähne putzte und danach kurz unter die Dusche sprang überlegte er, wie lange es her sein mochte, dass er das letzte Mal mit einem Lächeln auf den Lippen wachgeworden war. Wahnsinn, er konnte sich tatsächlich nicht mehr daran erinnern – genauso wenig wie er sich daran erinnern konnte, wann er das letzte Mal eine Nacht ohne seine kleinen Helferlein so tief und fest durchgeschlafen hatte. Die Begründung hierfür lag klar auf der Hand: Er fühlte sich hier sicher und gut aufgehoben. Hinzu kam, dass er seit dem Vortag das befriedigende Gefühl hatte, dass er hier etwas bewegen konnte. Zu erkennen, dass er trotz seiner eigenen Probleme noch dazu imstande war, anderen zu helfen und er somit nicht nur ein Opfer war, das selber Hilfe benötigte, hatte ein solches Hochgefühl in ihm ausgelöst, das mit Worten kaum zu beschreiben war. Aber es war tatsächlich so: Er hatte Anna dabei geholfen, einen weiteren Schritt aus ihrer selbst gewählten Isolation zu wagen. Dr. Seltwick hatte sie beide offensichtlich am Pool beobachtet und er hatte Tony später für seine umsichtige Reaktion der jungen Frau gegenüber gelobt. Mit Freuden erinnerte sich Tony daran, wie stolz er in diesem Moment gewesen war – auch wenn er das Lob eher ruhig und gefasst zur Kenntnis genommen hatte.

 

Eigentlich hatte er ja damit gerechnet, dass er nach Ducky´s Abreise in ein Loch fallen würde, doch zu seiner Überraschung war dies nicht der Fall. Randy und die anderen hatten ihn mit offenen Armen in ihrer Gruppe willkommen geheißen und er fühlte sich bereits nach den wenigen Tagen, die er erst in Miami war, voll integriert. So war ihm der Abschied seines alten Freundes sogar verhältnismäßig leicht gefallen. Außerdem wollte Ducky sich in DC darum kümmern, dass er seinen Job vielleicht doch wiederbekam und dazu musste er schließlich vor Ort sein. Was das anging vertraute er dem kleinen Schotten voll und ganz. Genauso wie er wusste, dass Gibbs und die anderen alles daran setzen würden, die Gefahr, die mit Sicherheit nach wie vor von Rebekka ausging, auszumerzen. Ein leiser Seufzer entrang sich Tony´s Kehle. Jetzt galt es nur noch, das überfällige Telefonat mit Ziva zu führen. Nur zu gut erinnerte er sich an Ducky´s Mahnung, das nicht mehr so lange vor sich her zu schieben. Sein Freund hatte ja gewiss Recht, aber wenn das mal immer so einfach wäre…

 

Aber es war schon so: Ziva verdiente es nicht nur, dass er sich endlich bei ihr meldete – sie hatte sogar ein Recht darauf. Und er wollte nicht länger feige sein. Natürlich saß der Stachel über die ihm widerfahrene Ungerechtigkeit noch immer tief, doch dafür war ja schließlich hauptsächlich Gibbs verantwortlich gewesen. Entschlossen verließ Tony das kleine Badezimmer und griff bereits zum Telefon, als sein Blick auf die Uhr fiel. Verdammt! Schon so spät – das Frühstück konnte er schon vergessen und das Telefonat mit Ziva musste nun leider auch noch etwas warten. Aber aufgeschoben war ja nicht aufgehoben, sagte Tony sich und drängte den leisen Anflug eines schlechten Gewissens beiseite. In zehn Minuten begann seine Gruppentherapiestunde und er wollte die anderen auf keinen Fall warten lassen. Zu seinem neuen Leben sollte schließlich auch Zuverlässigkeit gehören, das hatte er sich fest vorgenommen. Oh ja, wenn er erst wieder zurück wäre, dann würde Gibbs Augen machen, da war er sich sicher. Mit einem Grinsen im Gesicht sprang er schnell in seine Kleidung und machte sich auf den Weg. Noch vor wenigen Wochen – ach was, Tagen – hätte er jeden für verrückt erklärt, der ihm prophezeit hätte, dass er sich geradezu eifrig in eine Therapiesitzung stürzen würde – und dafür sogar auf sein Frühstück verzichten würde…

 

 

Zeitgleich in DC – Im HQ – In einem der Besprechungsräume

 

Nachdem sich Dr. Donald Mallard zusammen mit Ziva in einen der Besprechungsräume zurückgezogen hatte, hatte der alte, erfahrene Pathologe die junge Israelin erst einmal auf einen Stuhl verfrachtet. Auf dem kurzen Weg hin zu ihrem Ziel hatte er einen Moment tatsächlich die Befürchtung gehabt, dass die junge Frau, die sich an seiner Seite unerwartet ziemlich krampfhaft an seinen Unterarm geklammert hatte, womöglich zusammenklappen würde, doch glücklicherweise hatten sie es ohne Zwischenfälle bis in den Raum geschafft und nun warf der kleine Schotte der ehemaligen Mossad-Agentin, die sich im Laufe der Jahre in Amerika so sehr verändert hatte, einen Blick zu, der sowohl Mitleid ausdrückte, als auch gleichzeitig Gewissensbisse verriet. Während er seinen schmerzenden Unterarm rieb, bemerkte er, dass Ziva immer noch vor Anspannung zitterte und es offensichtlich nicht wagte, das Gespräch zu beginnen. Der erfahrene Pathologe und Psychologe erkannte, dass es ihr im Augenblick gerade alles abverlangte, ihre Beherrschung, die ihr immer so immens wichtig war, zu bewahren. Er erkannte jedoch die Angst und die vielen unausgesprochenen Befürchtungen, die sich in Ziva´s Augen spiegelten, als sie seine Blicke schweigend erwiderte und einfach nur stumm abwartete. Wie schwer musste ihr das fallen, fragte er sich unwillkürlich und er schloss die junge Israelin in diesem Augenblick noch mehr ins Herz, als er es ohnehin schon vor einer ganzen Weile getan hatte.

 

„Nun, Ziva. Ich kann mir vorstellen, dass du eine Menge Fragen an mich hast – und vielleicht auch Vorwürfe“, stellte der Schotte schließlich fest. Einer musste ja letztendlich beginnen. „Aber zunächst möchte ich dir sagen, dass es Tony gut geht – wirklich. Er ist gut aufgehoben, dort wo er jetzt ist, und auch die Therapie zeigt bereits erste Erfolge.“

 

„Ja?“ Eine einzige Silbe, fast zögernd hervorgebracht und doch drückte sie so viel aus: Glaube, Hoffnung und gleichzeitig auch Zuversicht.

 

Ein leises, wissendes Lächeln umspielte die Lippen des Pathologen. „Ja. Und er vermisst dich fürchterlich – genauso wie du ihn.“ Er machte eine Pause. „Richtig?“, setzte er dann hinzu.

 

„Oh, ja“, brach es da impulsiv aus Ziva hervor. „Ich vermisse ihn so sehr. Ich meine, eigentlich hat er sich ja von mir getrennt und ich…ich…“

 

„Du weißt jetzt nicht, ob er das ernst gemeint hat“, beendete Ducky den Satz, als Ziva stockte.

 

Dankbar ruhten die braunen Augen der Israelin, aus denen die qualvolle Angst jetzt etwas gewichen war, auf Ducky. Hier war jemand, der sie verstand. Jemand, der wusste, was in ihr vorging. Seitdem Tony die gemeinsame Wohnung verlassen hatte, war das das erste Mal, dass sie sich wieder aufgehoben vorkam und dieses Gefühl erfüllte Ziva mit großer Dankbarkeit.

 

„Das hat er natürlich nicht – es war eine Extremsituation und Tony hat wider besseres Wissen das getan, was er in diesem Moment glaubte tun zu müssen. Es ging ihm schlecht, sehr schlecht und dann ist alles über ihm zusammengebrochen. Daher hat er Fehler gemacht – dumme Fehler – aber sicher nicht den, der ihn seine Stelle gekostet hat. Aber als das geschehen ist, verlor er seine letzte Perspektive und das hat ihm schließlich den Rest gegeben. Ich muss gestehen, dass auch ich Fehler gemacht habe, denn ich wusste als Einziger, wie schlecht es um ihn stand. Immerhin hat er sich mir anvertraut. Trotzdem habe ich die Katastrophe nicht kommen sehen oder verhindern können. Gott sei Dank kam er dann noch einmal zu mir und ich konnte ihn davon überzeugen, dass wir die Reißleine ziehen mussten. Er brauchte dringend Abstand und dazu gehörte auch eine komplett andere Umgebung.“

 

„Danke. Ich danke dir, dass du dich so um ihn gekümmert hast – und dass du bei ihm geblieben bist…Gibbs ist deswegen ziemlich sauer auf dich, weißt du?“

 

Wieder lächelte Ducky. „Oh, ja, das weiß ich und selbst wenn ich es nicht gewusst hätte…er hat es mir eben sehr deutlich zu verstehen gegeben. Aber das tut hier nichts zur Sache. Ich hatte mich um das Wohl eines Patienten zu kümmern…da haben verletzte Eitelkeiten von Leithengsten keinen Platz“, stellte er ungerührt fest und freute sich diebisch über das erste kleine Lächeln von Ziva, das seine Worte hervorrief. „Was möchtest du noch von mir wissen?“

 

„Erzähl mir einfach etwas von ihm?“, bat Ziva und genau das tat Ducky dann auch. Er erzählte Einzelheiten von Tony´s aktuellem Tagesablauf. Von der Physio- und Psychotherapie, von Randy, Anna und den anderen, aber auch davon, dass es Tony durchaus noch nicht immer leicht fiel, gänzlich auf die Tabletten zu verzichten, er sich aber große Mühe gab. „Er ist dort einer unter vielen – alle haben dort Probleme und für ihn ist das gut, denn er kommt sich nicht mehr so Unzulänglich vor, wie hier, wo wir alle nur immer ungeduldig darauf gewartet haben, dass er schnell wieder der Alte wird. Wir haben ihn mit unseren hochgeschraubten Erwartungen zusätzlich massiv unter Druck gesetzt und es war im Grunde nur eine logische Schlussfolgerung, dass er diesem Druck irgendwann nicht mehr würde standhalten können. Dort, wo er jetzt ist, dort helfen sie sich gegenseitig – auch losgelöst von den eigentlichen Sitzungen. Sie pushen einander und bauen sich auf. Tony muss sich nur um sich selber kümmern und lediglich seine eigenen Erwartungen an sich erfüllen – und das tut er. Jeden Tag ein Stückchen mehr. Gib´ ihm einfach noch ein paar Tage – ich bin davon überzeugt, dass er sich schon sehr bald bei dir melden wird.“

 

„Das wäre schön“, flüsterte Ziva beinahe andächtig. „Wenn es so ist, wie du sagst, dann gebe ich ihm nur zu gerne alle Zeit der Welt. Wenn er nur zu mir zurückkommt, Ducky…wenn er nur wiederkommt.“

 

„Das wird er, Ziva. – Ganz bestimmt!“

 

„Du weißt von Rebekka?“, wechselte die Israelin dann plötzlich das Thema.

 

„Natürlich.“ Ducky nickte ernst. „Aber das ist euer Problem – darum müsst ihr euch kümmern.“

 

Ziva nickte entschlossen. „Ja, wir sind dabei. Noch haben wir leider keine Spur, aber ich werde alles daran setzen, dass sich das ändert – und wenn es das letzte ist, was ich tue.“

 

„Na, na“, rügte ihr Gegenüber sanft. „Pass auf dich auf. Tony braucht dich, wenn er zurückkommt. – Möchtest du mir nicht noch etwas für ihn sagen – ich bin davon überzeugt, dass er sich freuen würde.“

 

Ziva zögerte kurz. Gab sie nicht zu viel von sich preis, wenn sie sich jetzt so sehr öffnete. Was, wenn sie doch wieder enttäuscht wurde? Aber nein, das würde nicht passieren. Sie glaubte Ducky; der kleine Schotte war kein Mann, der einem wider besseres Wissen etwas erzählte, nur damit man Ruhe gab. „Ja“, sagte sie schließlich sehr leise, aber mit fester Stimme. „Sag ihm bitte, dass ich auf ihn warten werde – egal wie lange es dauern wird.“

 

 

Bei Rebekka und Caulder

 

Nach Caulders Ansage auf ihre Vorstellung hin, schlich sich ein unheimliches Lächeln Rebekkas Lippen. Sie ließ die Arme nun seitlich fallen und als der blonde Agent das Jagdmesser sah, dass sie zuvor hinter ihrem Rücken verborgen gehalten hatte, weiteten sich lediglich kurz seine Augen und seine Brauen gingen fragend in die Höhe, doch er bewegte sich keinen Millimeter zur Seite, was Rebekka dazu brachte, sich zu fragen, ob der Mann vor ihr vielleicht doch mehr Eier in der Hose hatte, als sie bislang vermutet hatte. Wie auch immer…

 

Mit einem leichten Kopfschütteln bedeutete sie ihm, dass er sich sicher fühlen konnte und bewegte sich gleichzeitig geschmeidig wie eine Tigerin auf ihr Opfer auf ihn zu. Die Hand mit dem Messer legte sie in seinen Nacken, während sie die andere fest auf seinen Schritt legte und dort sanft aber nachdrücklich zu massieren begann. Dabei hielt sie die ganze Zeit über Augenkontakt. In gewisser Weise fand sie es durchaus reizvoll und imponierend, dass Caulder zwar kurz nach Luft schnappte, ihr aber nach wie vor eher entgegenkam, als dass er ihr auswich. Es dauerte nur Sekunden, bis sein Geschlecht bretthart in ihrer Hand lag. Sein Kopf neigte sich zu ihr herunter und er küsste sie hart und fordernd, während er sich fest an ihre Hand presste. Es gelang Rebekka, ihre Hand wegzuziehen und flugs schlang sie beide Beine um seine Hüften. Als sie sich kurz in Position rückte, spürte sie, wie sein erigierter Penis ihre nackten Pobacken streichelte und es machte sie zusätzlich unheimlich an, dass sie bei dieser Aktion immer noch das Messer in ihrer Hand hielt. Sie legte ihre bislang freie Hand um seinen Nacken und biss ihren Gespielen sanft in die Unterlippe, damit er ihren Mund freigab. Vorsichtig aber spürbar streifte sie dann mit der Längsseite des Messers über seine Wange, wobei man das Kratzen der Klinge über seine Morgenstoppeln deutlich hören konnte. Ein untrügliches Zittern durchlief ihren Körper als sie spürte, wie Caulder unwillkürlich nun doch die Luft anhielt.

 

„Was meinst du?“, raunte sie dicht an seinem Ohr. „Ich denke, zusammen könnten wir beide Großes erreichen.“ Kaum hatte sie ausgesprochen steckte sie ihre Zunge spielerisch in sein Ohr, als wollte sie damit ihre Vermutung noch unterstreichen.

 

Ein kehliges Stöhnen antwortete ihr. Caulders Körper wurde von einem plötzlichen Zittern erfasst und gleich darauf spürte Rebekka zu ihrem aufrichtigen Bedauern, wie es feucht an ihren Pobacken wurde. Du lieber Himmel, dachte sie bei sich. Jetzt schon? Das war ja einfach gewesen. Irgendwie waren sie doch alle gleich – so entsetzlich berechenbar…

51. Kapitel

Ein paar Tage später – Im HQ

 

Das Verhältnis zwischen Ducky und Gibbs war zwar immer noch leicht gespannt, aber nach und nach hatte es sich wieder einigermaßen normalisiert. An Ducky prallten Gibbs zynische Spitzen, die er hin und wieder immer noch losließ, nach wie vor wirkungslos ab und Gibbs war professionell genug, dass er einsah, dass er es besser sein lassen sollte, wenn er nicht noch mehr Unfrieden in den eigenen Reihen schüren wollte. Nachdem Ziva ein langes Gespräch unter vier Augen mit Ducky geführt hatte, war sie sehr offensichtlich auf der Seite des kleinen Pathologen und Abby…? Nun, Abby war sowieso ein harter Brocken. Noch immer dachte Jethro mit Unbehagen an den Moment, als ihm die quirlige Goth voller Wut den Becher Caf-Pow vor die Füße geklatscht hatte. Seitdem ließ sie ihn immer noch spüren, dass sich ihr sonst so freundschaftliches, fast familiäres Verhältnis deutlich abgekühlt hatte. Die so emotionale junge Frau, die für ihn fast so etwas wie eine Tochter war, kontaktierte ihn nur noch, wenn es sich absolut nicht vermeiden ließ und das tat dem erfahrenen Chefermittler mehr weh, als er jemals vermutet hätte. Der einzige, der noch freiwillig mit ihm sprach, war McGee, doch das hatte wohl mehr etwas mit Respekt und Professionalität zu tun.

 

Verdammt noch mal, er wusste inzwischen selber, dass es ein Fehler gewesen war, DiNozzo so lange zu verschweigen, dass Rebekka noch lebte, aber dass ihn jetzt alle wie einen Sündenbock behandelten, ging ihm dann doch ein wenig zu weit. Im Moment wusste er nur eins: Sie mussten diese Frau finden, und das am besten so schnell wie möglich – erst, wenn Rebekka Rivkin Geschichte war, bestand überhaupt eine kleine Chance darauf, dass sein Team wieder zu dem wurde, was es vor dem Auftauchen dieser Mörderin einmal gewesen war. Eine Einheit, eine Familie, die zusammen durch dick und dünn ging und in der nie einer den anderen in Frage stellte. Nichts wünschte er sich mehr und dafür war er bereit, alles zu tun, was nötig war.

 

Gestern Abend hatte er einen ersten großen Schritt gewagt. Da er Ducky nicht nach Tony´s  Nummer fragen wollte, hatte er sich selber an den PC gesetzt, diese Klink und Dr. Seltwick gegoogelt und nach einer für ihn nervenaufreibenden Zeitspanne war er tatsächlich an die Nummer der Zentrale gelangt. Er hatte früh Feierabend gemacht und Tony schließlich von zu Hause aus angerufen. D.h. zunächst war er auf neue zusätzliche Probleme gestoßen, doch er wäre nicht Gibbs, wenn es ihm nicht auch auf die Entfernung gelungen wäre, sich durchzusetzen. Allerdings erst, nachdem die Telefonistin erst umständlich das Einverständnis ihres Chefs eingeholt hatte. Dr. Seltwick hatte einige Augenblicke überlegt, ob Tony schon Anrufe aus seiner alten Umgebung erhalten sollte, an die er so schmerzliche Erinnerungen hatte. Aber letztendlich hielt er seinen neuen Patienten für so gefestigt, dass dieser das bewältigen würde. Schließlich wusste er ja, dass der Agent schon seit einigen Tagen mit seiner Freundin telefonierte, denn er hatte es ihm freimütig erzählt. Also hatte man Gibbs nach einer für ihn nervenaufreibenden Warterei endlich zu seinem Ziehsohn durchgestellt und fast hätte ihn tatsächlich die Rührung übermannt, als er endlich dessen Stimme am Telefon gehört hatte – so klar und deutlich, dass man hätte meinen können, der Halbitaliener säße ihm direkt gegenüber.

 

„Hey, du bist aber heute früh dran!“ Tony´s Stimme hatte erwartungsvoll geklungen – fast fröhlich. Gibbs war verblüfft gewesen. Das klang ja fast so, als hätte Tony seinen Anruf erwartet. Bevor er jedoch etwas hatte erwidern können, hatte DiNozzo schon weitergesprochen. „Schatz? Hey, Ziva? Bist du noch dran? Nun sag doch endlich was.“

 

Da hatte er die Erklärung gehabt! Und gleichzeitig auch die Erklärung dafür, warum Ziva seit ein paar Tagen völlig verändert wirkte – so als sei eine schwere Last von ihren Schultern genommen worden. Und er Idiot hatte das auf das Ergebnis ihres Gesprächs mit Ducky geschoben. Tja, so konnte man sich irren. Verdammt noch mal, er wusste anscheinend noch nicht mal mehr, was in seinem eigenen Team vorging. So konnte, nein, so durfte es nicht weitergehen. Er war über seinen eigenen Schatten gesprungen, hatte das Gefühl der Enttäuschung hinuntergeschluckt und hatte sich danach kurz geräuspert, um den Frosch loszuwerden, der sich plötzlich in seinem Hals breitgemacht hatte.

 

„Boss?“ Da hatte die vertraute Stimme ungläubig geklungen. „Gibbs? Bist du das?“

 

„Ja, ähm…ich bin´s. – Wie…wie geht´s dir?“ Etwas Blöderes war ihm erst einmal nicht eingefallen. Am liebsten hätte er sich selber eine Kopfnuss verpasst.

 

„Ganz gut soweit.“ An dieser Stelle hat Tony sich eindeutig amüsiert angehört. „Ducky würde wahrscheinlich sagen, „den Umständen entsprechend“.

 

„Ja, das würde er wahrscheinlich sagen…“ Komm endlich auf den Punkt, Gibbs, hatte er sich selber angetrieben und plötzlich war es ganz leicht gewesen. „Es tut mir leid, Tony.“

 

„Ich weiß – mach´ dir keine Gedanken“, war die Antwort wie aus der Pistole geschossen gekommen. Äußerst dankbar hatte er registriert, dass Tony es ihm offenbar leicht machen wollte und von diesem Augenblick an war es tatsächlich ganz einfach gewesen. Sie hatten noch einige Minuten geplaudert und die anfängliche Verkrampfung war nach und nach von  ihm abgefallen. Er hatte erfahren, dass Tony und Ziva schon seit ein paar Tagen telefonisch Kontakt hatten und dass sie sich in einem langen ersten Gespräch ausgesprochen hatten. Tony hatte von seinen Fortschritten erzählt und von seinen neuen Freunden in Miami. Für Gibbs wiederum hatte es nicht viel zu erzählen gegeben, da sein Ziehsohn durch Ziva ja längst auf dem neuesten Stand der Dinge in DC war.

 

„Ich freue mich für dich, dass du und Ziva…dass zwischen euch alles wieder in Ordnung ist“, hatte Gibbs schließlich zum Abschied gesagt. „Und glaub mir, wir tun hier, was wir können.“

 

„Das weiß ich doch. Und wegen Ziva…was glaubst du, wie froh ich erst bin? Ich hab´ immerhin `ne Menge Scheiße gebaut in der letzten Zeit.“

 

„Ja“, hatte der Chefermittler mit einem Seufzer geantwortet. „Es ist viel falsch gelaufen – es ist an der Zeit, dass wir das abstellen.“

 

„Ich bin dabei, Boss, ich bin dabei.“

 

                                                       ***********

 

Den anderen hatte Gibbs nichts von dem Telefonat gesagt, obwohl er zu Recht vermutete, dass zumindest Ziva davon erfahren würde, aber das war ihm egal. Wichtig war, dass er mit Tony gesprochen hatte. Seitdem fühlte er sich viel besser und hatte nun zumindest diese Baustelle aus dem Kopf. Manchmal fragte er sich, warum er es sich selber immer so schwer machen musste, aber das zu ändern war eben nicht so einfach. Niemand konnte schließlich von jetzt auf gleich aus seiner Haut heraus. Wie auch immer: Jetzt galt es Rebekka Rivkin zu finden und unschädlich zu machen.

 

Leider oder Gott sei Dank – je nachdem wie man es sah – hatte die Überprüfung der Klinikangestellten in Miami bislang nichts ergeben. Also hatte er kurzerhand befohlen, den Dunstkreis um das Klinikpersonal  und deren Lieferanten zu erweitern und auch noch die Angehörigen, Freunde und wenn es sein musste auch noch deren Freunde zu überprüfen. Tim war seitdem vollauf beschäftigt und Ziva kümmerte sich um DC, obwohl … wenn man es genau nahm, liefen auch hier alle Anhaltspunkte ins Leere. Die Israelin war zusammen mit Fornell noch einmal zum Tatort des letzten bekannten Mordes gefahren. Stundenlang hatten sie sich mit dem Pensionsbesitzer aus Baltimore unterhalten, bei dem Rebekka nachweislich gewohnt hatte. Die beiden hatten den Mann regelrecht ins Kreuzverhör genommen, doch wie erwartet war nichts Neues dabei herausgekommen. Nachdem die Rifkin die Zugfahrkarte nach DC gelöst hatte, verlor sich die Spur der Mörderin im Nirgendwo. Tony´s Verlobte hatte sich die Hacken abgelaufen und war inzwischen sicher in jeder zwielichtigen Spelunke und jeder halbseidenen Pension in DC aufgeschlagen. Überall hatte sie das Phantombild von Rebekka herumgezeigt, doch niemand konnte oder wollte sich an die Frau erinnern. Es war wirklich zum Verzweifeln! Sie konnte sich doch unmöglich in Luft aufgelöst haben…

 

Gibbs Telefon klingelte und noch völlig in seinen Gedanken versunken, hob er den Hörer ab: „Gibbs?“

 

„Special Agent Gibbs? Hier spricht das Labor“, erklang sehr reserviert Abby´s Stimme und der Grauhaarige verdrehte ergeben die Augen. Auf dieser Baustelle gab es offenbar auch noch etwas für ihn zu tun. „Könnten Sie wohl bitte mal zu mir herunterkommen? Ich glaube, ich habe da was für Sie, das Tony entlasten könnte.“

 

Wie von der Tarantel gestochen kehrte Gibbs in die Gegenwart zurück, warf den Hörer zurück auf die Station und machte sich unverzüglich auf den Weg ins Labor.

 

52. Kapitel

DC – Bei Rebekka und Caulder

 

„Wie sollen wir bloß herausbekommen, wo sich dieser Arsch von DiNozzo hin verkrochen hat?“, stellte Rebekka zum wiederholten Male in den Raum und tigerte nervös und aufgebracht durch das kleine Wohnzimmer. „Ehrlich, das macht mich langsam wahnsinnig“, fauchte sie in Caulders Richtung. „Und ich dachte, du könntest mir helfen, ihn zu finden.“

 

„Nur die Ruhe“, antwortete Caulder, der auf dem abgewetzten Sofa saß und mit der Verkabelung der Technik beschäftigt war. „Das werde ich schon noch – gib´ mir nur ein wenig Zeit – ich kann schließlich nicht auf drei Hochzeiten gleichzeitig tanzen.“ Er ließ sich mit einem Seufzer nach hinten gegen die Lehne plumpsen. „Puh, endlich. Es funktioniert! Ich habe es endlich hinbekommen. Wenn es jetzt darauf ankommt, wären deine Särge genauso einsatzfähig, wie du es dir vorgestellt hast.“

 

„Ach, scheiß doch drauf“, herrschte Rebekka ihren Gespielen unbeherrscht an.

 

„He, sei nicht so undankbar“, reagierte Caulder leicht verschnupft. Sie waren zwar erst ein paar Tage zusammen, aber er hasste es, wenn seine neue Freundin sich so gehenließ. „Immerhin hast du es nicht hinbekommen und ich war jetzt tagelang mit der Durchführung deiner Pläne beschäftigt.“ Zunächst war er ja doch ziemlich erschrocken gewesen, als Rebekka ihn in ihre Pläne eingeweiht hatte, aber dann hatte er doch mehr und mehr Gefallen daran gefunden. Mittlerweile sah er das Ganze als einen höchst eleganten Weg an, nicht nur diesen dämlichen DiNozzo, sondern auch Ziva David ein für allemal los zu werden und die Schuld dann – wenn nötig – jemand anderen in die Schuhe zu schieben. Was Rebekka nämlich nicht wusste – und er würde sich hüten, sie in seine höchst persönlichen Pläne einzuweihen – war, dass er definitiv vor hatte, in seinen Job zurückzukehren, der ihm immerhin eine gesicherte Altersvorsorge versprach. Die paar Jahre, die das noch dauerte, würde er mit Leichtigkeit rumkriegen, sowie sich das Problem mit seiner Suspendierung erledigt hatte. Und dann – ja dann würde er endlich das Leben führen, von dem er träumte – mit dem Geld, das er mit seinen Drogenverkäufen verdient hatte. Daran traute er sich derzeit nicht heran und von irgendetwas musste er ja schließlich in naher Zukunft leben, eigentlich wollte er seinen Job nur deshalb wiederhaben.

 

„Ist doch wahr! Wer weiß schon, ob wir das überhaupt noch durchführen können wie geplant“, schnauzte Rebekka wieder. „DU hast schließlich gesagt, dass sie wissen, dass ich noch lebe – wahrscheinlich haben sie diesen Schwächling sogar deshalb aus der Schusslinie geschafft. Schon mal drüber nachgedacht?“

 

„Ja, allerdings!“ Langsam reichte es Caulder. Hielt sie ihn für blöde, oder was? „Aber das heißt noch gar nichts. Er kann trotzdem noch in DC sein.“ Er wechselte das Thema. „Wie sieht´s aus? Hast du noch Bares? Ich habe Hunger und in deinem Kühlschrank herrscht gähnende Leere“

 

Rebekka blieb auf der Stelle stehen und blitzte ihren Kumpan aus zusammengekniffenen Augen an. Das durfte ja wohl alles nicht wahr sein! Was hatte sie sich da bloß angetan? Sollte sie diesen Mann jetzt vielleicht auch noch mit durchfüttern? Mit einem wütenden Grunzlaut auf den Lippen griff sie nach Caulders Bierflasche, die er neben der komplizierten Kabelkonstruktion auf dem Tisch abgestellt hatte und schleuderte sie unbeherrscht gegen die Wand, wo sie schließlich scheppernd zerbrach und in vielen Einzelteilen zu Boden fiel. Caulder zuckte nach ihrem neuerlichen Ausbruch lediglich mit den Schultern.

 

„Wenn´s denn hilft“, meinte er lakonisch und packte die empfindliche Technik vorsichtshalber in den Karton zurück. Nicht auszudenken, wenn diese Wahnsinnige binnen Sekunden seine Arbeit von Tagen vernichtete. Er hatte inzwischen schon gelernt, dass mit Rebekka – wenn sie sich in einer solchen Stimmung befand – nicht gut Kirschen essen war. Aber das war ja nicht mehr für lange, tröstete er sich. Sobald das leidige Thema DiNozzo und David vom Tisch war, d.h. sobald er Rebekka dabei geholfen hatte, ihre Pläne in die Tat umzusetzen, würde er diese Terroristin ausliefern. Auch, wenn er den Sex mit ihr vermissen würde, auf die Gesichter von Vance und Gibbs, wenn er ihnen Rebekka quasi auf dem Silbertablett servierte, freute er sich schon sehr. Er stünde als Held da und Vance würde gar nicht anders können, als ihm seinen Job wiederzugeben. Gibbs würde schäumen vor Wut, aber er könnte nichts dagegen ausrichten. Eine wunderbare Vorstellung…

 

Bis dahin galt es nur noch, ein klitzekleines Problem zu lösen: DiNozzo´s Aufenthaltsort. Noch hatte Caulder keine Ahnung, wie er an diese Information kommen sollte, aber – so tröstete er sich – das würde sich schon finden. Da baute er auf den großen, aber entscheidenden Unterschied zwischen ihm und Rebekka. Er war geduldig und konnte warten – wer ungeduldig wurde machte Fehler. Es lag also an ihm, zu vermeiden, dass Rebekka in ihrer Ungeduld womöglich einen Fehler machte, der seine Zukunftspläne vernichtete.

 

Trotzdem hatte er sich natürlich immer wieder darüber Gedanken gemacht, aber bisher war ihm einfach noch nichts Vernünftiges eingefallen. Gerade stellte er den Karton mit der Elektronik in den Schrank, als er urplötzlich innehielt. Völlig unvermittelt war ihm ein Gedanke eingeschossen. Ein leichtes Grinsen flog über sein Gesicht. Man musste eben nur Geduld haben. Nachdenklich wog Caulder noch einmal kurz das Für und Wider seines Einfalls ab, bevor er schließlich sein Telefon aus der Tasche holte und eine Nummer aus dem Speicher wählte. Vielleicht war es ein Risiko, aber er entschloss sich, es einzugehen. Nach einigen Sekunden Warten hörte er auch schon eine bekannte Stimme am Telefon.

 

„Schwartz!“

 

„Hey Paul, ich bin´s, Sam Caulder!“

 

Einige Augenblicke herrschte Stille, dann kam es ein wenig zögerlich: „Sam … wie geht´s dir?“

 

„Nun – wie du dir sicher denken kannst, nicht so besonders. Ich bin suspendiert, mein Ruf ist im Arsch – und das alles, obwohl ich unschuldig bin!“ Caulder verstand es ziemlich gut, das arme Opfer zu spielen. Paul Schwartz war seit vielen Jahren ein Kollege – man konnte ihr sogar einen Freund nennen.

 

„Ja, klar hab´ ich´s gehört. Du bist echt nicht zu beneiden.“

 

„Wem sagst du das? – Aber ich bin nicht bereit, kampflos aufzugeben, nur weil mein Gegner das Lieblingskind von unserem Überagenten Gibbs ist. Dieser DiNozzo hat mich haltlos verdächtigt. Es hat sich herausgestellt, dass bei seiner Beweisführung was nicht gestimmt hat und er sogar selbst verdächtig ist – aber trotzdem wurde ich auch suspendiert – obwohl man keinerlei Beweise hat. Und jetzt soll ich mit den Händen im Schoß abwarten, was das „A-Team“ unserer Behörde an Beweisen fabriziert, bis dieser DiNozzo unschuldig und ich schuldig dastehe. Aber da mache ich nicht mit! Das verstehst du doch?“ An Caulder war ein Schauspieler verloren gegangen. Es gelang ihm tatsächlich so etwas wie aufrichtige Entrüstung gemischt mit einem Hauch von Verzweiflung in seine Stimme zu legen und seine Bemühungen schienen auf fruchtbaren Boden zu fallen, wie ihm gleich darauf die Antwort seines alten Kollegen zeigte.

 

„Sicher, Sam. Ich würde mich auch nicht kampflos ergeben. Du willst also um deine Karriere kämpfen? Find´ ich gut.“

 

Mittlerweile war Rebekka neben den Ex-NCIS-Agenten getreten und hörte mit wachsendem Interesse zu, während dieser weitersprach: „Ja, das habe ich vor. Das ist auch der Grund, warum ich dich anrufe, Paul. Ich brauche deine Hilfe. DiNozzo ist verschwunden. Ich bin mir sicher, es hat mit der Beweisführung zu tun. Unter Garantie versucht er wieder, irgendetwas zu manipulieren, damit er seinen Fehler vertuschen kann. Ich will ihm auf den Fersen bleiben, um evtl. entlastendes Material für mich zu finden. Aber ich habe natürlich keine Möglichkeit, ihn zu finden. Doch ich dachte mir, er wird doch sicher mal mit seiner Freundin, dieser Ziva, oder seinem Boss telefonieren. Du hast doch die Möglichkeit, unauffällig die Gesprächsnachweise der beiden zu kontrollieren. So könnte ich rausfinden, von wo aus er anruft. Ich will doch nur wissen, wo er ist und was er tut. Mehr nicht. Bitte Paul – es geht um meine Zukunft. Ich war 20 Jahre ein guter Agent und habe mir nie was zuschulden kommen lassen. Und was ist der Dank? Dank dieser miesen Intrige von diesem verfluchten Ittacker wollen sie mich jetzt so mir nichts dir nichts rausschmeißen und ich kriege womöglich noch nicht mal eine Pension, während der sich von dieser Israelin den Bauch kraulen lässt. Das habe ich nicht verdient.“

 

Gespannt brach er seine Tirade – die er gekonnt mit einem leichten Zittern in der Stimme beendet hatte – ab und wartete Schwartz´ Reaktion ab, während er Rebekka verschwörerisch zublinzelte. Hoffentlich hatte er nicht zu dick aufgetragen.

 

Nach einigem Zögern, sprach sein alter Mitstreiter wieder ins Telefon. „Okay, du weißt, dass ich das eigentlich nicht darf – aber in Anbetracht unserer alten Freundschaft… Es finde es auch nicht in Ordnung, wie sie dich behandeln. Also gut – ich werde die nächsten Tage Augen und Ohren offenhalten und ein wenig nachforschen. Wenn ich was raus finden sollte, melde ich mich bei dir.“

 

„Wunderbar – tausend Dank noch mal. – Meine Handy-Nr. hast du ja. Du bist echt ein Freund“. Damit legte Caulder auf und blickte selbstzufrieden zu Rebekka. Jetzt mussten sie nur noch abwarten. Er baute darauf, dass sie schon sehr bald einen großen Schritt weiter wären und ein selbstzufriedenes Grinsen breitete sich auf seinem Gesicht aus.

 

To be continued - allerdings muss mal wieder ein neuer Thread dafür eröffnet werden...

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