20.55 h - oder "die erste Stunde vom Rest eines Lebens"

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PROLOG   

 

Tony wartete ungeduldig darauf, dass Ziva endlich von der Arbeit heimkam. Erst jetzt, wo er quasi zwangsweise außer Gefecht gesetzt war, war ihm bewusst geworden, wie zeitraubend der Job beim NCIS im Grunde war und wie viel man dort den Angestellten abverlangte. Kein Wunder, dass da das Privatleben oft auf der Strecke blieb und die Scheidungsrate bei Ermittlern aller Art nur so boomte. Schon häufiger hatte er sich in den letzten Wochen bei dem Gedanken ertappt, dass er sich wünschte, Ziva wäre eine „normale“ Büroangestellte mit geregelten Arbeitszeiten. Doch das war natürlich nur Wunschdenken. Wenn wenig zu tun war, ließ Gibbs seine Leute zwar auch schon einmal früher gehen, doch das kam selten genug vor, da die Behörde ja überregional zuständig war.

 

Vor 2 Wochen hatte Ziva zusammen mit Tim McGee sogar eine dreitägige Dienstreise nach Mexiko unternehmen müssen. Tony wusste aus Erzählungen, dass die Ermittlungen dort vor Ort kein Zuckerschlecken werden würden, und er hatte sich große Sorgen gemacht, dass alles gut gehen würde. Natürlich war letzten Endes alles gut gegangen, doch Tony war während der Abwesenheit seiner Verlobten schier wahnsinnig vor Sorge gewesen.

 

Wie gewohnt hatte er mit niemandem darüber gesprochen, denn er wollte die anderen nicht vor den Kopf stoßen. Tim wäre mit Sicherheit beleidigt gewesen und hätte ihm unterstellt, dass er ihm den Job nicht zutraute, was natürlich nicht der Fall war. Tony wusste sehr gut, dass aus McGee im Laufe der Zeit ein ausgezeichneter Agent geworden war und Ziva hätte ihn mit Sicherheit nur ausgelacht und in den Raum gestellt, was ihr schon passieren solle. Immerhin war sie eine vom Mossad ausgebildete Agentin und als solche besser als nur gut!

 

Tony ging zum Fenster und hielt Ausschau nach Ziva´s Wagen, während er kurz bitter auflachte. Ja, genau, was sollte schon passieren, dachte er ironisch. Vielleicht sollte seine Freundin sich vor Augen halten, was ihm vor einer Weile geschehen war, als Rebekka Rivkin ihn kurzerhand hatte entführen lassen und es durch grausame Folter geschafft hatte, ihm innerhalb von nur 2 Tagen nicht nur seine Gesundheit, sondern auch seinen Seelenfrieden zu rauben. Ein Blick auf seine schwarzbehandschuhte Hand genügte, um ihn wieder die unterschwellige Angst spüren zu lassen. Das Ganze war jetzt mehrere Wochen her – er quälte sich in der Reha, um so schnell wie möglich wieder fit genug für den Job zu werden und alle anderen machten weiter wie bisher. Neue Fälle kamen herein, neue Ermittlungen folgten, die zumeist auch erfolgreich abgeschlossen werden konnten. Daraufhin folgte der unvermeidliche Papierkrieg, den keiner gerne erledigte und mit dem man sich doch beschäftigen musste, bis eben wieder ein neuer Fall hereinkam. Es war ein unablässiger Kreislauf und alle darin befindlichen Personen funktionierten wie gut geölte Rädchen an einer Schweizer Armbanduhr. Alle – bis auf ihn, denn dieser Hexe war es tatsächlich gelungen, ihn, Anthony DiNozzo, kaltzustellen. Seit diesem verhängnisvollen Wochenende war für ihn nichts mehr wie früher, doch das allerschlimmste war, dass man Rebekkas Leiche, nachdem sie mit ihrem Fluchtwagen in den Potomac gestürzt war, nie gefunden hatte. Alle gingen davon aus, dass sie das nicht überlebt haben konnte, doch Tony wurde das Gefühl nicht los, dass sie noch da war. Er wusste, dass Gibbs, wann immer er Leute erübrigen konnte, in Sachen Rebekka Rivkin weiterermitteln ließ, aber im Moment sah alles danach aus, als ob ausgerechnet dieser Fall, sein Fall, einer der wenigen Fälle war, die nicht abschließend zu den Akten gelegt werden konnte.

 

Tony´s Blick war, während seine Gedanken abschweiften, in die Ferne gerückt, doch jetzt zog ein lautes Quietschen von Bremsen seine Aufmerksamkeit wieder auf den Parkplatz hinterm Haus. Ein flüchtiges Lächeln huschte über sein Gesicht, als er Ziva´s Kleinwagen erkannte. Seine Verlobte setzt ihren Mini gewohnt rasant in eine freie Parklücke, stieg aus und schulterte ihre große Umhängetasche, bevor sie kurz nach oben blickte und winkte. Tony konnte das Lächeln auf ihrem schönen Gesicht erkennen und hob ebenfalls kurz seine gesunde Hand zum Gruß. Dankbar registrierte er die Erleichterung, die alleine Ziva´s Anblick bei ihm auslöste. Sie war zurück. Bei ihm. Heil, gesund und schön wie immer. Was sonst, würde sie lachend fragen und ihn einen Dummkopf schelten, wenn er über seine schwermütigen Gedanken mit ihr spräche, also ließ er es besser gleich bleiben. Er freute sich einfach, dass sie nun da war und ihn ablenkte. Sie würden gemeinsam etwas leckeres Kochen und sich dann einen gemütlichen DVD-Abend vor dem Fernseher gönnen. Ziva hatte ein paar Mal versucht, ihn zum Ausgehen zu bewegen, doch so weit war er noch lange nicht. Er ging einfach nicht mehr gerne unter Leute und wenn er es tat, hielt er überall unterschwellig Ausschau nach Rebekka. Auch wenn Tony es nicht gerne zugab: Angst bestimmte sein Leben und damit hatte Rebekka ihr eigentliches Ziel erreicht. Sie hatte ihn aus fehlgeleiteten Rachegelüsten heraus zerstören wollen und genau das war ihr gelungen! Er war nicht mehr derselbe, wie noch vor ein paar Wochen und die Tatsache, dass man dieser Frau nicht hatte habhaft werden können, war eine zusätzliche, fortwährend grausame Folter, die ihn auf Dauer mehr zermürbte, als es alle körperlichen Folterungen, die er hatte ertragen müssen, hatten tun können.

 

Der Schlüssel drehte sich im Schloss und Tony schüttelte sich kurz, als könne er so alle trüben Gedankenvertreiben. Binnen Sekunden verwandelte er sich wieder in den Tony DiNozzo, den alle kannten, mochten und auch so manches Mal verfluchten. Mit schnellen Schritten ging er seiner Verlobten entgegen, packte sie mit seiner gesunden Hand um die Taille und drückte ihr einen schnellen Kuss auf die vollen Lippen, die er so liebte und mit der sie so wundervolle Dinge tun konnte.

 

„Hey, Schatz“, begrüßte er sie strahlend. „Schön, dass du wieder da bist.“ Er vergrub sein Gesicht in ihrer Halsbeuge und atmete tief Ziva´s ureigenen Duft ein. Dies hatte außerdem den Vorteil, dass sie sein Gesicht nicht sehen konnte, denn er war sich nicht sicher, ob er sich schon 100%ig unter Kontrolle hatte. „Ich hab´ dich vermisst, Süße“, nuschelte er undeutlich, während er die zarte, weiche Haut in ihrer Halsbeuge mit kleinen, schnellen Küssen bedeckte. „Du mich auch?“

 

„Natürlich.“ Ziva wand sich lächelnd aus Tony´s Umklammerung und schaute ihm prüfend ins Gesicht. „Alles in Ordnung?“

 

„Ja! Ja, sicher.“ DiNozzo erwiderte offen den Blick aus braunen Augen und betete dabei innerlich, dass Ziva nicht bemerkte, wie es wirklich in ihm aussah. Es war schon des Öfteren vorgekommen, dass sie mehr sah, als ihm lieb war, aber heute sollte es nicht soweit kommen. Heute wollte er nur einen schönen Abend und eine noch schönere Nacht mit seiner Verlobten verbringen und an nichts anderes denken. „Was sollte denn nicht in Ordnung sein?“, erkundigte er sich unschuldig. „Hey, warst du einkaufen? Ich hab´ Hunger, was kochen wir denn heute?“ Das war ein gutes Thema, lobte er sich still. Hunger und Essen passte zu ihm, wie Deckel auf Eimer. Das kaufte ihm jeder ab.

 

Ziva schaute ihn aus großen Augen an. „Sag´ nicht, dass du vergessen hast, dass wir heute Abend bei den neuen Nachbarn aus 4 d eingeladen sind. Das Willkommensessen. Oh Mann, Tony, du bist ja noch nicht einmal umgezogen“, setzte sie leicht vorwurfsvoll hinzu, als sie registrierte, dass er nur eine schlabberige Jogginghose und ein altes T-Shirt trug, dass definitiv auch schon bessere Zeiten gesehen hatte.

 

Tony verzog das Gesicht. Das hatte er tatsächlich vergessen und wenn er ehrlich war, hatte er auch gar keine Lust dazu, „Ach komm, Schatz“, schmeichelte er Ziva. „Lass uns das absagen. Ich habe mich so auf einen Abend zu zweit gefreut.“

 

„Nein, Tony, dieses Mal nicht“, sagte Ziva und zog sich von ihm zurück. „Ich hab´ mich so darauf gefreut, mal wieder unter Leute zu kommen. Wenn das so weitergeht, versauern wir hier noch. Außerdem habe ich Mr. Black heute Morgen beim Weggehen noch getroffen und ihm versichert, dass wir kommen würden. Seine Frau hat bestimmt schon alles vorbereitet. So kurzfristig können wir nicht absagen. Das wäre entsetzlich unhöflich.“

 

Mr. Black und seine Gattin waren vor einigen Wochen in das Appartementhaus eingezogen und hatten bereits mehrfach versucht, Kontakt herzustellen. Bislang war es Tony gelungen, alle Versuche bereits im Keim zu ersticken, doch so wie es aussah, kam er dieses Mal nicht darum herum. Trotzdem startete er einen letzten Versuch:

 

„Wir kennen diese Leute doch gar nicht“, maulte er wie ein trotziges Kleinkind. „Ziva, ich bitte dich, das macht doch gar keinen Sinn. Was sollen wir denn mit denen reden? Über unsere Arbeit? Das dürfen wir nicht.“ Und außerdem habe ich im Moment gar keine Arbeit, setzte er in Gedanken hinzu.

 

„Es gibt doch auch noch andere Themen“, antwortete seine Freundin prompt. „Tony, bitte. Du verkriechst dich hier. Das ist nicht gut für dich, das sagt dein Therapeut auch, das weißt du. Lass uns einfach mal was anderes machen. Etwas Normales.“

 

„Was weiß denn der schon!“, murmelte Tony vor sich hin. „Was ist los mit dir?“, floh er dann in seiner Verzweiflung in die Gegenoffensive. „Reichen dir Abby, Gibbs und die anderen etwa nicht mehr?“

 

„Ich frage mich, was mit dir los ist!“, schoss Ziva promptzurück. „Jetzt bitte ich dich einmal um etwas und du stellst dich an, wie…wie…wie eine bockige Leberwust“, beendete sie nach kurzem Zögern bewusst falsch den Satz, doch wie erwartet verbesserte ihr Verlobter sie nicht. Das tat er schon seit einigen Wochen nicht mehr, wie sie mit leichter Verbitterung registrierte.

 

„Gut, okay“, schnappte er stattdessen zurück. „Du sollst deinen Willen haben. Ich geh´ mich rasch umziehen. Dann können wir zu deinem Mr. Black gehen. Zufrieden? Eine dazugehörige Frau habe ich übrigens noch nie hier gesehen und ich habe – wie du weißt – viel Zeit, um aus dem Fenster zu sehen. Langsam frage ich mich, ob es diese Frau überhaupt gibt oder ob der Typ dich nur anbaggern will? Wer weiß, vielleicht würde es ihm ja gefallen, wenn du alleine kämst?“

 

Ziva verdrehte die Augen und wandte sich in Richtung Bad. „Ich springe kurz unter die Dusche. Wir hatten da heute so einen Einsatz, bei dem…“ Sie biss sich auf die Zunge und unterdrückte, was sie hatte sagen wollen. Auf Erzählungen aus dem Berufsalltag des Teams reagierte Tony zurzeit nicht so gut. „…du weißt schon“, murmelte sie leise und setzte ein kurzes „Tut mir leid“, hinzu. „Ich beeil mich, okay?“

 

„Sicher, Schatz“, meinte Tony und konnte es sich nicht verkneifen bissig hinzuzufügen: „Lass dich ruhig Zeit, ich bin ja derzeit auch nicht der Schnellste.“ Ohne ihre Erwiderung auf diese neueste Spitze abzuwarten verschwand er im Schlafzimmer und schloss die Tür hinter sich. Kaum hatte er dies getan, lehnte er sich matt von innen gegen die Tür. Draußen hörte er seine Verlobte schwer seufzen. Gott, was sollte er nur tun? Er wusste ja, dass Ziva sich alle Mühe mit ihm gab und dass er sich im Gegenzug zumeist nur unmöglich benahm. Seitdem er aus dem Krankenhaus entlassen worden war, war es sicher nicht einfach mit ihm – der ehemaligen Frohnatur – umzugehen. Es war offensichtlich, dass er sich sehr verändert hatte – auch wenn er zumeist darum bemüht war, sich dies nicht anmerken zu lassen.

 

Er hörte die Dusche rauschen und gab sich einen Ruck. Diesen kleinen Gefallen würde er Zivaheute tun müssen. Sie verlangte ja schließlich nichts Unmögliches von ihm. Das Abendessen mit den neuen Nachbarn würde er schon überstehen, ohne sich wie ein kompletter Idiot vorzukommen. Ziva zuliebe zog er sich um, was ihm noch immer Mühe bereitete, und eine Viertelstunde später waren beide ausgehfertig. Ziva griff nach den Wohnungsschlüsseln in der Schale auf der Kommode, dochTony hielt sie am Handgelenk zurück.

 

„Ziva?“

 

„Ja?“

 

„Ziva, ich…hör zu, es tut mir leid. Ich…“ Er stockte.

 

Sie legte sanft ihre Hand auf seine gesunde. „Lass gut sein. Das wird schon wieder. Können wir?“

 

Tony nickte und gemeinsam verließen sie die Wohnung. Kurz darauf klopften sie ein Stockwerk tiefer an sie Tür zu 4 d und warteten, dass man ihnen öffnete. Wie beiläufig streichelte Ziva kurz beruhigend über Tony´s Hand. Diese kleine Geste trieb ihm fast die Tränen in die Augen. Er wusste, dass sie ihm damit signalisieren wollte: `Wir schaffen das! Mach dir keine Sorgen!´, und er wünschte sich so sehr, die Zuversicht seiner Verlobten teilen zu können. Linkisch warf er ihr ein schiefes Lächeln zu, Gott, diese Frau war so schön! Und sie gehörte ihm! Er war so unendlich stolz auf Ziva und doch trat er in letzter Zeit ihre Gefühle immer wieder mit Füßen! Unerschütterlich hielt sie zu ihm und bewies ihm immer wieder ihren Glauben an ihn, ihre Fürsorge und ihre tiefe Liebe. Manchmal fragte er sich, womit er das verdient hatte. Mit dem Benehmen, dass er eben wieder an den Tag gelegt hatte, gewiss nicht.

 

Die Tür zu 4 d öffnete sich und Mr. Black erschien im Rahmen. Tony mochte den Mann nicht. Er stand nicht so auf den Typ `All-American-Dream-Boy´, doch er erwiderte das strahlende Jackett-Kronen-Lächeln des braungebrannten, blonden Typs freundlich und registrierte unwillkürlich, dass er nun doch gespannt auf dessen Frau war, die er tatsächlich noch nie zu Gesicht bekommen hatte.

 

„Mr. Black, tut mir leid, wir sind etwas zu spät“, sagte Ziva gerade und schüttelte dem neuen Nachbarn die Hand.

 

„Kein Problem“, erwiderte der immer noch strahlend und Tony ertappte sich bei dem Wunsch, dem Typen sein blödes Grinsen aus dem Gesicht zu schlagen. „Aber bitte, nennen Sie mich doch George. Schließlich sind wir Nachbarn. Gott, wo hab´ ich denn bloß meine Manieren? Da lasse ich Sie hier im Hausflur rum stehen. Kommen Sie rein, meine Frau ist schon sehr gespannt darauf, Sie kennenzulernen.“

 

Floskeln, nichts als Floskeln, dachte Tony, während er etwas missgelaunt, aber doch neugierig geworden, George und seiner Verlobten in den Wohnraum folgte, wo ein großer runder Esstisch so festlich gedeckt war, dass Tony sich automatisch fragte, ob das wirklich nur ein Willkommensessen sein sollte, oder ob ihnen da womöglich etwas entgangen war. Blumen, schoss es ihm durch den Kopf. Vielleicht hätten wir ja wenigstens Blumen für die Hausherrin mitbringen sollen? Oder Pralinen?

Mit einem kurzen Rundumblick, den er in jahrelanger Routine geschärft hatte, nahm er die moderne, fast etwas kühl wirkende Einrichtung des Raumes in sich auf. Ein großer an der Wand hängender Flatscreen-Fernseher nahm fast die komplette Rückwand ein, während eine weiße Sitzgruppe aus Leder und viel Chrom und Glas die wenigen sonstigen Einrichtungsgegenstände dominierten. Tony´s Augen weiteten sich kurz als sein Blick auf die große Kuckucksuhr aus schwerer Eiche fiel, die an der gegenüberliegenden Wand hing. Was war das denn? Dieses typisch deutsche Touristenmitbringsel passte ja nun überhaupt nicht in diesen Raum und er fragte sich unwillkürlich, was das wohl zu bedeuten hatte. Na ja, vielleicht ein Erbstück, sagte er sich im nächsten Moment und hatte Mühe ein missbilligendes Kopfschütteln zu unterdrücken, während sein Blick sich auf die Zeiger der Uhr richtete: 20.55 Uhr! Immerhin, sie waren nur knapp eine Stunde zu spät, tröstete er sich. Für seine Verhältnisse ging das ja noch, aber das konnte George natürlich nicht wissen.

 

„Setzen Sie sich“, sagte George Black derweil und rückte Ziva einen Stuhl zurecht. Lächelnd dankte sie ihm und setzte sich. Alles schien normal und doch überfiel Tony plötzlich fast panikartig eine seltsame Unruhe. Irgendetwas stimmte hier nicht! Ganz und gar nicht. Er hätte nur nicht sagen können, um was es sich handelte.

 

„Wo steckt denn nun Ihre Frau?“, fragte er und sah sich unverhohlen neugierig um, während er sich ebenfalls setzte. Noch während er sprach, öffnete sich ihm gegenüber eine Tür, die bis dahin verschlossen war. Wahrscheinlich der Durchgang zur Küche, dachte er sich und blicke automatisch in die Richtung, aus der das Geräusch kam.

 

„Da ist sie ja schon. Schön, dass du dich zu uns gesellst, Schatz“, hörte Tony George Black in unveränderter Tonlage sprechen, während ihm das Blut inden Adern gefror und ihm der Atem stockte.Wie gelähmt blickte er auf die Frau, die nun im offenen Türrahmen stand und ihn mit einem spöttischen Lächeln musterte. Sie trug eine andere Haarfarbe und eine andere Frisur, doch es gab keinen Zweifel. SIE war es! Rebekka! Er hatte sie auf den ersten Blick erkannt! Die großkalibrige Handfeuerwaffe mit Schalldämpfer, die sie auf ihn gerichtet hielt, war für den Erkennungsfaktor wirklich unnötig! Diese eiskalten dunklen Augen würde er nie, niemals vergessen! Er hatte es doch gewusst! Das Teufelsweib hatte überlebt und nun war sie zurückgekommen! Sie wollte es zu Ende bringen…

 

„Mr. DiNozzo“, gurrte sie leise und das spöttische Lächeln wurde zum diabolischen Grinsen, welches die Züge der im Grunde gut aussehenden Frau zu einer hässlichen Fratze verzerrte. „Ach was“, fuhr sie immer nochleise fort, doch die paar Worte schwollen in Tony´s Ohren zu einem nicht enden wollenden Kreischen an. „Lassen wir die förmliche Anrede. Wo wir doch so viel zusammen durchgemacht haben, nicht wahr, Tony?“

 

Aus den Augenwinkeln registrierte Tony, wie George Black offenbar etwasverwirrt von einem zum anderen blickte. „Ihr kennt euch? Wie schön!“

 

Die Waffe in der Hand seiner Frau schien den Mann merkwürdigerweise gar nicht zu stören. In Tony´s Kopf überschlugen sich die Gedanken. Ziva! Was war mit Ziva? Warum zum Teufel unternahm sie nichts? Aber was sollte sie schon tun? Sie war unbewaffnet! Sie beide waren unbewaffnet! Wie Kaninchen saßen sie in der Falle, einer Falle, in die sie mit offenen Augen hineingerannt waren! Er wollte den Kopf in Ziva´s Richtung drehen, doch es gelang ihm nicht, den Blick von Rebekka Rivkin zu lösen, so gerne er es auch gewollt hätte. Die Situation war absolut grotesk. Fragen über Fragen schwirrten durch Tony´s Hirn und er bekam kein Wort heraus.

 

„Ich bin dafür, dass wir es zu Ende bringen“, säuselte Rebekka gerade und hob die Waffe in ihrer Hand leicht an, so dass die dunkle Höhle der Mündung nun direkt auf Tony´s Herz zielte. „Keine unnötigen Spielchen mehr. Die kosten nur wertvolle Zeit und es hat sich ja gezeigt, dass sie einen geplanten Spielverlauf drastisch verändern können, nicht wahr? Tony, nun sag du doch auch einmal etwas. Du scheinst überrascht? Freust du dich denn gar nicht, mich zu sehen?“

 

Es war zu Ende, das wurde Tony nun unwiderruflich klar! Er horchte in sich hinein und registrierte überrascht, dass es ihm gar nicht so viel ausmachte. Irgendwie verspürte er fast so etwas wie Erleichterung. Es war, als hätte er all die Wochen nur auf diesen Augenblick gewartet und jetzt wo er endlich gekommen war, war es ihm im Grunde egal, was mit ihm geschah – er hatte nur den einen Wunsch: Dass es schnell gehen sollte. Rebekka hatte sein Leben schon mit dem Tag seiner Entführung und der danach folgenden Folterarie zerstört – sie hatte sein Ich, sein Innerstes, seine Seele zerstört. Seit diesem verhängnisvollen Wochenende war er nicht mehr derselbe. Es schien ihm nur folgerichtig, dass sein Folterknecht es jetzt zu Ende bringen würde und sich auch noch seine weltliche Hülle holte. Rebekka hatte völlig recht: Es machte keinen Sinn, die Sache noch weiter hinauszuzögern. Lediglich wegen Ziva verspürte er echtes Bedauern! Sie hatte sich solche Mühe mit ihm gegeben und jetzt war doch alles umsonst! Aber Ziva war stark, sie würde mit der Zeit darüber hinwegkommen. Hauptsache, sie kam unbeschadet hier raus!

 

„Na los“, forderte er Rebekka auf, während er sich auf seinem Stuhl fast bequem zurücklehnte. „Bringen wir es hinter uns“, fuhr er daraufhin mit brüchiger Stimme, die gar nicht zu ihm zu gehören schien, fort.

 

„Genau das habe ich vor“, antwortete Rebekka   -  und schwenkte mit der Waffe von Tony zu Ziva, bevor sie ohne zu zögernkaltlächelnd abdrückte.

 

Kapitel 1

Ein dumpfes `Plopp´ ertönte.

 

Jetzt endlich kam wieder Leben in Tony. Er sprang so heftig auf, dass der Stuhl, auf dem er saß, mit einem lauten Krachen hintenüber fiel.

 

„NEIN!“, schrie er wie von Sinnen und wollte sich auf Rebekka stürzen, doch George Black hielt ihn zurück, indem er fest nach Tony´s so mühevoll operierter Hand griff und gnadenlos zudrückte. Unter diesem Griff zuckte Tony sofort zusammen und er klappte haltlos nach vorn. Was sollte das, fragte er sich. Zuerst hatte es so ausgesehen, als habe der Mann keine Ahnung, mit wem er da zusammen war, doch jetzt schien es so, als steckte er mit Rebekka unter einer Decke. Es kam ihn alles so surreal vor. Black zwang ihn mit Oberkörper und Kopf auf den Tisch, während er immer noch seine verletzte Hand zusammenpresste. Doch Schmerzen verspürte er komischerweise nicht. Das musste das Adrenalin sein, das gerade wie verrückt durch seine Adern schoss. Sein Blick fiel auf Ziva, die zusammengesunken auf ihrem Stuhl saß und deren Blut wie ein Wasserfall aus dem großen Loch floss, wo früher einmal ihre perfekten Brüste gewesen waren. NEIN! Oh Gott, das dufte nicht wahr sein! Nicht Ziva! Seine Ziva! Er konnte ihr direkt in die Augen sehen. Diese wundervollen braunen Augen, die ihn so oft zärtlich angesehen hatten. Über die sich ein Schleier legte, wenn sie sich geliebt hatten und Ziva vor Lust und Erregung leise gestöhnt hatte. Jetzt war alles Leben aus ihnen gewichen und Ziva´s Augen blickten ihn leer und irgendwie vorwurfsvoll an. Ein Schluchzen wie von einem verwundeten Tier entrang sich seiner Kehle.

 

„Warum tust du das?“, fragte er ohne wirklich eine Antwort zu erwarten. „Warum hast du sie getötet? In Wirklichkeit willst du doch nur mich!“

 

Ein leises kehliges Lachen kam aus Rebekkas Mund. „Ich dachte wirklich, das wäre klar“, antwortete sie kalt. „Du enttäuschst mich, du bist doch sonst so ein helles Kerlchen, Tony! Aber okay, du sollst deine Antwort haben: Ohne sie bist du so gut wie tot! Eine leere Hülle, nichts weiter. Ein Zombie. Indem ich dir Ziva genommen habe, leidest du mehr, als durch alle Schmerzen, die ich dir je zufügen könnte. Das habe ich durch das Wochenende, das wir zusammen verbracht haben, gelernt.“ Rebekka machte eine bedeutungsvolle Pause, bevor sie weiter sprach. „Und noch etwas habe ich gelernt. Es wird dir den Rest geben, wenn ich mit deiner sogenannten Familie genauso verfahre. Glaub mir, ich werde sie mir holen. Einen nach dem anderen werde ich auslöschen und du wirst dabei zuschauen! Am Ende wirst du ganz alleine dastehen, Anthony DiNozzo. Das ist ein Versprechen! Ganz alleine. Genau wie ich!“

 

****************

 

„NEIN!“ Schweißgebadet und nach Luft schnappend fuhr Tony auf. Im ersten Moment hatte er keine Ahnung, wo er sich befand. Schwer atmend saß er in dem Krankenhausbett und schaute sich um. Erst nach einigen peinvollen Sekunden registrierte er, dass alles nur ein böser Traum gewesen war und er sank kraftlos und matt zurück in die Kissen. Sein Herz hämmerte noch immer ein Stakkato in seiner Brust und mit seiner gesunden Hand wischte er die Tränen aus dem Gesicht. Ein Albtraum! Nur ein böser Albtraum, trichterte er sich dabei ein ums andere Mal ein. Nichts von dem eben vermeintlich erlebten war Realität. Ziva lebte! Alle anderen lebten! Nur Rebekka war tot! Doch war sie das wirklich? Bei den ersten beiden Punkten konnte Tony sich sicher sein. Doch beim letzten hatte er nach wie vor seine Zweifel. Vielleicht träumte er deswegen immer wieder solche grausamen Szenarien, die so lebendig wirkten, dass sie ihn förmlich zerrissen? Gott, wenn das nicht bald aufhörte, würde er ein Fall für die Klapse.

 

Die Tür zu seinem Zimmer öffnete sich und prompt fuhr Tony panisch zusammen. Doch es war nur eine Krankenschwester, die mit schnellen Schritten auf sein Bett zukam.

 

„Mr. DiNozzo, ist alles in Ordnung mit Ihnen?“

 

„Sicher!“ Tony zwang sich zur Ruhe. Gott sei Dank hatte die Schwester äußerlich so gar nichts von Rebekka an sich. „Alles in Ordnung.“

 

„Ich dachte, ich hätte Sie schreien hören.“

 

„Ernsthaft?“ Tony grinste sein jungenhaftes Lächeln, das bei Frauen jeglichen Alters bisher noch immer die gewünschte Wirkung erzielt hatte. So auch dieses Mal. „Es tut mir leid. Ich habe mich wohl im Schlaf über meine Hand gedreht und das tat ganz schön weh. Kann sein, dass ich deshalb kurz aufgeschrien habe.“ Er verzog schmerzhaft sein Gesicht und hob anscheinend unter erheblicher Anstrengung die operierte Hand an. „Wollen Sie mal nachsehen?“

 

Die Krankenschwester schenkte ihrem Patienten ein kurzes mitleidvolles Lächeln und schaute sich dann Tony´s Hand an. Mit ein paar routinierten Griffen prüfte sie, ob alles in Ordnung war. „Hmm, es scheint alles okay zu sein. Dass die Hand nach der komplizierten Operation noch schmerzt dürfte aber normal sein. Das sind lediglich Wundschmerzen, die letztendlich beweisen, dass die Heilung voran schreitet.“

 

„Oh, na dann.“ Tony versuchte sich an einem gekonnten Augenaufschlag. „Aber vielleicht könnte ich ja noch etwas gegen die Schmerzen bekommen? Ich fürchte, dass ich ansonsten keinen Schlaf mehr finden werde.“

 

Die Schwester griff nach seinem Krankenblatt und warf einen Blick hinein. „Ich weiß nicht“, antwortete sie dann zweifelnd. „Sie haben schon eine Menge Schmerzmittel in den letzten 48 Stunden bekommen. Ich müsste erst abklären, ob ich Ihnen noch etwas geben darf. Das kann ich nicht alleine entscheiden.“

 

MIST! Der Schuss war nach hinten losgegangen. Tony versuchte es anders herum: „Ach, kommen Sie. Ersparen wir uns doch dieses Mal den bürokratischen Weg. Ich bin müde und Sie haben bestimmt Besseres zu tun, als jetzt wegen einer dummen Schmerztablette den diensthabenden Arzt zu wecken. Ich bin Bundesagent – glauben Sie mir, ich weiß, was ich vertragen kann. Sie tragen es einfach nicht ein und ich werde Sie nicht verraten. So einfach ist das. Eine Tablette. Und es bleibt unser kleines Geheimnis. Versprochen. Geben Sie sich `nen Ruck.“

 

Die Krankenschwester geriet sichtlich in Zweifel, was sie tun sollte und Tony setzte sicherheitshalber noch einmal sein berühmtes Strahlen ein. Es gelang ihm das Kunststück, der Krankenschwester durch seinen Gesichtsausdruck nicht nur zu vermitteln, dass er sie mochte, sondern auch dass er hilfebedürftig war und Schmerzen litt, aber ihr wiederum nicht zu viel Arbeit machen wollte. Es funktionierte offenbar, denn die Frau lächelte ihm warm zu.

 

„Gut, so machen wir es. Aber nur eine Tablette und nur, weil heute auf Station tatsächlich so viel los ist. Dass das klar ist, okay?“

 

Der Patient atmete erleichtert auf und schenkte der Frau ein strahlendes Dankeslächeln.

 

„Gut, dann versuchen Sie doch inzwischen schon einmal, ihr T-Shirt auszuziehen.“ Mit diesen Worten ging sie zu Tony´s Wandschrank und holte flink ein frisches Shirt heraus, das sie ihm aufs Bett legte. „Sie sind ja total verschwitzt. Wenn Sie sich nicht gleich umziehen, holen Sie sich nachher noch wieder eine neue Lungenentzündung. – Moment, ich bin gleich wieder da.“ Damit verschwand sie aus dem Zimmer und ließ Tony zurück.

 

„Genau, und das wollen wir doch nicht“, murmelte Tony vor sich hin, während er leise fluchend versuchte, sich von seinem klatschnassen Schlafshirt zu befreien, was gar nicht so einfach war, da bei einigen Bewegungen immer wieder üble Stiche durch seine operierte Hand jagten. Schließlich gab er seine Bemühungen auf und ließ sich matt zurück in die Kissen sinken. „Himmel, nun lass dich doch nicht so hängen“, schimpfte er vor sich hin. „Du bist schließlich kein Invalide.“ Noch nicht, setzte er in Gedanken hinzu und fragte sich zum x-ten Male, wann und vor allen Dingen ob er überhaupt nach all den Verletzungen, die Rebekka ihm zugefügt hatte, wieder einsatzfähig sein würde…

 

Kapitel 2

Ein paar Tage später - Glücksmomente und Albträume 

 

Tony´s Tage waren mittlerweile unterteilt in „die gute Taghälfte“ und „die schlechte Nachthälfte“, wie er es insgeheim für sich nannte. Tagsüber ging es langsam bergauf, seine Verletzungen verheilten relativ gut und dann war da Ziva! - Seine Ziva! Jede Minute, die sie bei ihm verbrachte, war Balsam auf seiner Seele. Er war förmlich süchtig danach, sie um sich zu haben, sie zu spüren und zu küssen. Kaum war sie an sein Bett getreten, zog er sie regelmäßig an sich, küsste sie wild und konnte kaum seine Finger von ihr lassen.

 

Lachend hatte sie sich aus seinem Arm gewunden. „Tony! Wenn jemand reinkommt!“, tadelte sie ihn leicht irritiert. Auch wenn er oft wirklich leidenschaftlich sein konnte, so „hungrig“ kannte sie ihn eigentlich nicht. Er hatte sie in den letzten Tagen schon das ein oder andere Mal in ziemlich peinliche Situationen gebracht und das musste sich ihrer Meinung nach nicht wiederholen. Tony benahm sich plötzlich wie ein Teenager, der seine Hormone noch nicht unter Kontrolle hatte. Grundsätzlich hatte sie ja nichts gegen seine Zärtlichkeiten einzuwenden, im Gegenteil, sie genoss sie sogar – aber ihre Zweisamkeit quasi auf dem Präsentierteller auszuleben…das war definitiv nicht ihr Ding. Sie hatte bereits mehrfach versucht, mit ihrem Freund darüber zu reden, doch bislang war sie damit bei ihm bloß auf taube Ohren gestoßen oder er ging mit einem charmanten Lächeln über ihre Worte hinweg. Da Ziva in seiner jetzigen Situation aber keinen Zwist heraufbeschwören wollte, hielt sie sich bislang noch zurück. Allerdings ging ihr sein pubertäres Verhalten mehr und mehr gegen den Strich und lange würde sie nicht mehr den Mund halten, soviel stand fest.

 

Tony machte sich unterdessen natürlich auch Gedanken und diese Gedanken gefielen ihm ganz und gar nicht. Doch noch hatte er sich nicht dazu durchringen können, mit irgendjemandem darüber zu reden. Irgendwie ahnte er, dass seine plötzliche übertriebene Sucht nach Leben eine Spätreaktion auf die beiden Tage in seiner persönlichen Hölle war, genauso wie die quälenden Träume in der „schlechten Nachthälfte“. In den ersten Tagen im Krankenhaus hatte er noch keine Albträume gehabt, aber nach und nach hatten sie sich in sein Unterbewusstsein geschlichen und jetzt wurde er jede Nacht von ihnen heimgesucht. Wenn er dann mit wild klopfendem Herzen nassgeschwitzt aufschreckte, fand er für den Rest der Nacht keinen Schlaf mehr und war auf der einen Seite sogar froh darüber, denn inzwischen fürchtete er sich regelrecht davor, einzuschlafen, weil er wusste, dass dann unweigerlich die Träume wiederkamen.

 

Mittlerweile hatte er dunkle Schatten unter den Augen und nach der heutigen Visite war Dr. Forster später nochmals in sein Zimmer gekommen und hatte ihn darauf angesprochen. „Agent DiNozzo, Schwester Morgan hat mir gesagt, dass sie letzte und auch vorletzte Nacht in ihr Zimmer gekommen ist, weil sie Geräusche  --- genauer gesagt einen Aufschrei --- gehört hat?“

 

Dass ihn der Arzt so direkt darauf ansprach, war Tony sichtlich unangenehm. Er suchte nach den richtigen Worten und begann nach einer Pause schließlich stockend, zu sprechen: „Ich … ich kann nicht gut schlafen, meine Hand tut weh und diese Krusten hier auch...sie spannen ganz entsetzlich.“ Tony deutete ansatzweise auf seinen Oberkörper. Das war zwar nicht die Wahrheit, aber er hatte Hemmungen, über seine Albträume zu sprechen. „Wenn ich mich im Schlaf bewege, dann gibt das schon mal einen Stich und ich werde wach. Wieder und wieder. Können Sie mir nicht etwas geben, damit ich besser schlafen kann? Sobald ich mal wieder ein paar Nächte durchgeschlafen habe, geht es mir bestimmt besser.“

 

Skeptisch blickte ihm der Arzt in die Augen, er ahnte sehr gut, dass das nicht die ganze Wahrheit war, die sein Patient ihm hier scheinbar ungerührt mitteilte, doch DiNozzo hielt dem prüfenden Blick mühelos stand. Nun gut, dachte er bei sich, dann muss ich eben deutlicher werden. Er verschränkte die Arme vor der Brust und verlieh seinem Blick eine gewisse Härte. Was der Bundesagent konnte, konnte er schon lange. „Was soll das, Agent DiNozzo? Spielen wir hier ein Spiel, oder was? Bitte halten sie mich nicht für einen Dummkopf! Ich weiß genau, dass es nicht die Schmerzen in ihrer Hand sind, die sie nicht schlafen lassen. – Bei der Gelegenheit: Sie haben Schwester Morgen übrigens in ziemliche Schwierigkeiten gebracht, indem sie sie dazu überredet haben, ihnen zusätzliche Schmerztabletten zu geben.“

 

Tony riss ertappt die Augen auf: „Ich … das wollte ich nicht … Bitte, machen sie nicht Schwester Morgen dafür verantwortlich. Sie hat es doch nur gut gemeint…“

 

„...und ihre Gutmütigkeit hätte sie ihren Job kosten können!“, entgegnete Dr. Froster sichtlich verärgert. „Aber Schwester Morgen ist eine gute Krankenschwester und nachdem ich ihr gehörig den Kopf gewaschen habe, hat sie mir versichert, dass so etwas nie wieder vorkommt. Ich hab´ die fehlenden Tabletten nachgetragen, und für heute Nacht werde ich ihnen noch einmal etwas verordnen, aber das ist das letzte Mal. Morgen schicke ich ihnen einen Kollegen vorbei. Er ist Psychologe und ich möchte, dass Sie mit ihm sprechen.“

 

„Wieso das?“ begehrte Tony sofort auf, „ich brauche keinen Seelenklempner! Ich brauche nur ausreichend Schlaf, dann ist wieder alles in Ordnung“.

 

„Agent DiNozzo – wir beide wissen, dass nicht alles in Ordnung ist! Aber Sie müssen sich klar machen, dass das ganz normal in Ihrer Situation ist. Sie helfen weder sich, noch meinen Mitarbeitern, wenn Sie weiter versuchen, sich und uns hier etwas vorzumachen. Nebenbei gesagt, finde ich es außerdem ziemlich egoistisch von Ihnen, dass Sie ohne Rücksicht auf Verluste Ihren Willen durchzusetzen versuchen.“ Dr. Forster machte eine Pause und beobachtete die Wirkung seiner Worte auf Tony. Der saß stumm in seinem Bett und blickte mit zusammengekniffenen Lippen aus dem Fenster, so als ginge ihn das gar nichts an. Dr. Forster seufzte tief. Dieser junge Patient  war eine harte Nuss, aber er hatte auch nichts anderes erwartet. Der Mann war schließlich Bundesagent und als solcher musste er Durchsetzungsvermögen haben, sonst wäre er nicht so weit gekommen. „Tony, bitte.“

 

Der Angesprochene wandte ihm wieder den Kopf zu: „Kommen Sie mir bloß nicht auf die freundliche Tour…Sie haben nicht die geringste Ahnung“, antwortete er leise. Die Situation erinnerte ihn irgendwie an ein Verhör – nur dass er normalerweise der Mann auf der anderen Seite war.

 

„Sie haben recht“, sprach der Arzt weiter. „Ich habe keine Ahnung, was Sie gerade durchmachen. Ich habe Gott sei Dank selber noch nie so etwas erleben müssen und ich bin auch nicht der Richtige dafür, Ihnen da jetzt raushelfen zu können. Ich kann Knochen richten, Organe wieder ans Funktionieren bringen oder sie, wenn nötig, auch entfernen. Aber um Ihr Problem kompetent behandeln zu können, fehlt mir die Fachausbildung. Sie haben ein Trauma erlitten, das genauso behandelt gehört wie ihr gebrochener Arm. Und dafür ist Dr. Randolph zuständig. Er wird sie morgen Nachmittag besuchen, 15.00 Uhr“, antwortete der Doc bestimmt. „Sehen Sie zu, dass Sie um diese Zeit im Zimmer sind und arbeiten Sie mit dem Mann zusammen – nicht gegen ihn, glauben Sie mir, das ist nur zu Ihrem Besten! - Wenn Sie dazu nicht bereit sind, muss ich das in meinen Krankenbericht aufnehmen und natürlich ihrer Behörde mitteilen“, fügte er noch schulterzuckend hinzu. „Machen Sie sich nichts vor, Agent DiNozzo, Sie wissen doch, wie es läuft.“

 

Genervt atmete Tony aus. Ein Bericht an Vance, dass er die Zusammenarbeit verweigerte, war das Letzte, was er in seiner Situation brauchen konnte. Wenn er in den Dienst zurück wollte, und das wollte er so schnell wie möglich, musste er wohl oder übel mitspielen. Also schluckte er seinen Ärger hinunter und antwortete gezwungenermaßen mit gepresster Stimme: „Wenn es unbedingt sein muss …!“

 

„Ich denke, es ist unumgänglich. Ich verlasse mich auf Sie“,  erklärte Dr. Forster mit einem letzten strengen Blick auf  Tony. Dann verließ er ohne ein weiteres Wort dessen Zimmer. Zurück blieb ein ziemlich frustrierter NCIS-Agent. 

 

 

NCIS-Hauptquartier

 

Gibbs und das Team waren vor einer Stunde von einem Tatort zurückgekehrt. Ausgerechnet in Quantico war in den frühen Morgenstunden die übel zugerichtete Leiche eines Navy-Mitglieds gefunden worden. Er war sozusagen gleich drei Mal ermordet worden. Erschlagen, erstochen und anscheinend vergiftet, worauf der weiße Schaum vor seinem Mund hätte hindeuten können. Allerdings wollte sich Ducky nicht festlegen und hatte Jethro wie üblich auf seinen genauen Befund nach der Autopsie verwiesen.

 

Jetzt saßen McGee und Ziva vor ihren Computern und versuchten, möglichst viel über den Toten herauszufinden.

 

„Was habt ihr“ fragte in diesem Augenblick Gibbs seine beiden Agents und blickte erwartungsvoll zu Ziva.

 

„Es handelt sich bei dem Toten um Lieutenant Matthew North. 25 Jahre alt. Absolvent der United States Naval Academy in Anapolis. Er war bis vor zwei Wochen auf dem Flugzeugträger USS Ronald Reagen stationiert, wurde dann aber nach Quantico abkommandiert. Seine Akte ist sauber, nur einmal war er in einer Bar in eine Schlägerei verwickelt, kam aber lt. Bericht unschuldig unter die Räder.   -   Oh, sein Vater ist Admiral William North, ein hochdekorierter Mann und sein Bruder Captain James Randall North, Jahrgangsbester seiner Abschlussklasse und jüngster kommandierender Offizier einer Fregatte im Kriegseinsatz. Der jüngere Sohn sollte vermutlich in diese Fußstapfen treten.“ Ziva war zwischenzeitlich aufgestanden und hatte die Fotos der drei North´s auf den großen Bildschirm geladen. Nachdem sie ihren Bericht beendet hatte, fuhr McGee fort.

 

„Gestern Abend hat Matthew North mehrere Telefonate von seinem Handy aus geführt, das wir in der Nähe des Tatorts gefunden haben. Er hat drei Mal die gleiche Nummer angerufen. Sie gehört einem gewissen Harold Carmody...“ Tim rief eben ein Bild auf - ein dunkelhäutiger Mann in Marine-Uniform mit außergewöhnlich hellen Augen erschien auf dem Monitor – und fuhr dann mit seinem Bericht fort: „Und dieser Carmody ist anscheinend kein so unbeschriebenes Blatt. Er ist zwei Mal im Bau gesessen, wegen kleinerer Schlägereien und einmal wurde er sogar degradiert, weil er einen Befehl verweigert und seinen Vorgesetzten, der ihm den Befehl erteilt hatte, übel beschimpft hat. Er ist ein ziemlicher Quertreiber. Ein weiteres Mal wurde er verdächtigt, an einem Raub von Militäreigentum beteiligt gewesen zu sein, aber da konnte man ihm nichts nachweisen. So viel ich herausgefunden habe, war er mit North seit vier Monaten in der gleichen Einheit. Ich habe mit Carmody´s und North´s Vorgesetzten telefoniert, aber die können sich überhaupt nicht vorstellen, dass die beiden befreundet oder ähnliches gewesen sein könnten. Sie waren unterschiedlich wie Tag und Nacht, allein schon aufgrund der Verhältnisse, aus denen sie stammten. North kam aus einer reichen Familie aus dem Süden, Carmody aus ärmlichen Verhältnissen aus der Bronx. Wie es der zur Navy geschafft hat, ist mir ehrlich gesagt, ein Rätsel.  

 

„Sucht weiter! Irgendeine Verbindung muss es ja schließlich geben. Drogen, Glücksspiel, Frauen … Männer! So wie der Tote zugerichtet war, muss ziemliche Wut im Spiel gewesen sein! - Ich bin bei Ducky!“ Gibbs griff nach seinem Kaffeebecher und wollte sich schon auf den Weg in die Pathologie machen, als er nochmals inne hielt und einige Sekunden mit zusammengekniffenen Augen die schnell durchlaufenden Bilder auf seinem Computer-Bildschirm fixierte, die nach einem Lebenszeichen der Israelin suchten, nach einer Übereinstimmung mit den von ihr bekannten Bildern, nach irgend einer Kleinigkeit. 

 

Wie damals Ari war auch Rebekka nie ganz aus Gibbs´ Gedanken verschwunden. Jeden Abend, bevor er nach Hause ging, betrachtete er ihre Bilder auf seinem Computer. Mit langen dunklen Haaren, mit kurzen roten Haaren … und jedes Mal fragte er sich, ob sie wirklich tot war. Jeder, der mit dem Fall beschäftigt war, sagte, dass sie tot sein müsse, dass sie keine Chance gehabt hätte, zu überleben und unentdeckt zu entkommen. Aber sein Gefühl sagte etwas anderes.... 

 

Kapitel 3

Psychiater Dr. Randolph

 

Tony lag ziemlich erschöpft angezogen auf seinem Bett und starrte an die Decke. Er war vor einer viertel Stunde von der ersten Reha-Maßnahme an seiner Hand zurückgekehrt und obwohl er keinerlei körperliche Anstrengungen hatte unternehmen müssen, war ihm während der 1 ½ Stunden lang dauernden Therapie immer  wieder der kalte Schweiß ausgebrochen. Bislang hatte er es noch immer vermieden, seiner Hand überflüssige Bewegungen zuzumuten, denn schon die kleinsten Bewegungen waren zum Teil äußerst schmerzhaft. Daher hatte er dieser ersten Reha-Sitzung auch mit sehr gemischten Gefühlen entgegengesehen und es war genauso schlimm gekommen, wie er befürchtet hatte. Nach wie vor  konnte er seine Finger ja kaum bewegen und wenn er es tat, wurde ihm fast schlecht vor Schmerz. Selbst die leichten Massagen der jungen Therapeutin taten tierisch weh, doch vor der jungen Frau hatte er die Zähne zusammen gebissen und sich nichts anmerken lassen. Schließlich wollte er nicht, dass sie ihn zu allem Überfluss auch noch für ein Weichei hielt. Der mitleidige Blick, mit dem sie ihn mehrfach gemustert hatte, hatte ihm schon gereicht. Bitter lachte er auf: 'Zumindest habe ich noch Gefühl in den Fingern', stellte er sarkastisch fest, doch an manchen Tagen war sein Galgenhumor alles, was ihn noch aufrecht hielt. Er setzte alles daran, dass niemand von den anderen bemerkte, wie schlecht es ihm oft ging, doch dieses Schauspielerei kostete ihn von Tag zu Tag mehr Kraft.  Ziva hatte ihm vor wenigen Tagen erst vorgeworfen, dass er sich in die Rolle des Bemitleidenswerten hineinsteigerte, und dass sie glaubte, dass es ihm gefiel. Er hatte nichts darauf geantwortet, doch ihre Bemerkung hatte ihn zutiefst verletzt. Wenn Ziva wüsste, wie er sich manchmal fühlte…so völlig nutzlos!

 

In diesem Moment wurde die Tür zu seinem Zimmer schwungvoll aufgerissen und ein großgewachsener Mann undefinierbaren Alters trat mit dem typisch wehenden weißen Mantel der Götter in Weiß in den Raum. Wie so viele Ärzte wirkte er schon beim Betreten des Raumes so, als wäre er in Eile und müsste eigentlich schon ganz woanders sein.  Er hatte ein glattes Gesicht mit einer markanten, leicht hakenförmigen Nase und pechschwarze Haare, die mit reichlich Gel glatt zurück gekämmt waren. Um den Hals trug er eine schwarze Lesebrille an einer Kette und aus seiner Kitteltasche hing das unvermeidliche Stethoskop. Tony hatte den Mann noch nie gesehen, doch er wusste gleich, um wen es sich handelte. Unwillkürlich verzog sich unwillig sein Gesicht und er fragte sich, warum ein Psychologe wohl ein Stethoskop mit sich herumtrug.

 

„Hallo, ich bin Dr. Randolph“, stellte sich der Arzt mit einer relativ hellen Stimme vor, die so gar nicht zu dem übrigen Erscheinungsbild passen wollte. Er setzte ein schmallippiges Lächeln auf und nickte Tony kurz zu, der den Mann im Stillen sofort unter der Kategorie „unsympathisch“ ablegte.

 

„Hi“, antwortete er daher sehr zurückhaltend. Psychiater waren ihm sowieso suspekt und dieser Typ war wirklich ein Musterbeispiel dafür, warum dies so war.

 

Dr. Randolph zog sich einen Stuhl heran, setzte sich und schlug die Beine übereinander. Er legte ein Klemmbrett auf seine Knie, fischte einen Nobelkugelschreiber aus seiner Kitteltasche und blickte Tony schließlich forschend ins Gesicht.

 

„Und?“, wollte er schließlich von Tony wissen. „Haben Sie irgendwelche Fragen an mich?“

 

Sein Patient schüttelte wortlos den Kopf.

 

„Waren Sie schon einmal in psychologischer Behandlung?“

 

„Nein!“ Die Antwort kam sehr schnell, abrupt und klang so aufgebracht, dass Dr. Randolph wieder aufschaute.

 

„Sie müssen entschuldigen“, sagte er, aber es klang nicht so, als wolle er sich ehrlich für seine Frage entschuldigen. „Aber ich dachte, bei Ihrem Beruf…“ Er ließ das Ende des Satzes in der Luft hängen.

 

„Ich wüsste nicht, was mein Beruf damit zu tun hätte“, antwortete Tony kühl. „Ich habe ihn gelernt und ich übe ihn seit vielen Jahren erfolgreich aus. Ich bin hart im Nehmen und falle nicht gleich um.“

 

Dr. Randolph nickte bedächtig, setzte sich die Lesebrille auf und notierte etwas auf seinem Klemmbrett, welches Tony ihm am liebsten aus der Hand gerissen hätte. Eine gespannte Atmosphäre erfüllte den Raum. Nach einer Weile blickte der Arzt wieder auf und meinte lapidar:

 

„Nun denn, lassen Sie uns anfangen.“

 

 

*****************

 

Zwei Stunden später stand Tony in dem kleinen Badezimmer vor dem Waschbecken und spritzte sich mit seiner gesunden Hand Wasser ins Gesicht. Dann blickte er sich selbst im Spiegel fragend in die Augen. Das Gespräch mit Dr. Randolph hatte ihn stärker aufgewühlt, als er es sich hätte träumen lassen. Mit Sicherheit verstand der Mann etwas von seinem Job und Tony war während dieser Sitzung klar geworden, dass er schwerwiegende Probleme hatte, das Ganze zu verarbeiten. Trotzdem verspürte er eine elementare Abneigung gegen den Arzt und sein Gehabe. Der hatte ihm viele Fragen gestellt, sich Notizen gemacht und ihm mit einem undurchdringlichen Gesichtsausdruck zugehört. Tony fühlte sich denkbar unwohl in seiner Gegenwart, die ganze Art und das Auftreten des Psychiaters verursachten ihm einfach Unbehagen. Zudem war ihm jetzt richtig gehend übel. Davon, dass sein Gemütszustand nach einer Sitzung bei einem Seelenklempner ausgeglichener sein sollte, war absolut nichts zu spüren.

 

In drei Tagen sollte er zur nächsten Sitzung in das Behandlungszimmer, das Dr. Randolph im Krankenhaus unterhielt, kommen. Bevor Dr. Randolph ging, hatte ihm der Arzt noch kurz Datum und Uhrzeit mitgeteilt und war schließlich ohne ein Wort des Grußes, wieder mit wehendem Mantel, aus seinem Zimmer verschwunden. Schon beim bloßen Gedanken an den nächsten gemeinsamen Termin kochte in Tony schon wieder Wut und Abneigung hoch. Irgendwie hatte der Mann es geschafft, dass es sich noch mieser in seiner Haut fühlte – fast so, als trüge er eine Mitschuld an seiner Situation.

 

Doch eines war Tony mittlerweile klar geworden. Wenn er zurück in seinen Job wollte, würde ihm wohl oder übel nichts anderes übrig bleiben, als weiterhin zu den Sitzungen mit Dr. Randolph zu gehen. Aber im Grunde genommen graute ihm jetzt schon davor.    

 

 

Endlich nach Hause       

 

Ziva war im Laufschritt unterwegs. Sie hastete durch die Gänge des Krankenhauses und hoffte, dass Tony ihr die Verspätung nicht übel nehmen würde. Sicher, normalerweise war er es immer, der andere warten ließ, aber sie konnte natürlich gut verstehen, dass er endlich aus der Klinik raus wollte.  Sie war so spät dran, weil sich zusätzlich neben dem Fall des toten Lieutenants,  an dem sie immer noch arbeiteten, nun auch noch ein lebensmüder Marine vom Dach eines Hochhauses gestürzt hatte. Gibbs hatte darauf bestanden, dass zuerst der Tatort abgesucht, Beweise eingesammelt und Fotos gemacht wurden. Ausgerechnet heute, wo sie doch früher Feierabend hatte machen wollen, aber sie konnte Gibbs Anweisung auch verstehen. Je länger Beweise an einem Tatort herumlagen – selbst wenn sich im Nachhinein herausstellte, dass es sich gar nicht um einen Tatort handelte – desto weniger aussagekräftig wurden sie und außerdem bestand die Gefahr, dass sie sogar verfälscht wurden. Gibbs hatte niemand anderen zur Verfügung gehabt, denn Tim hatte an diesem Tag in Quantico zu tun und so hatte sie in den sauren Apfel beißen müssen. Tony fehlte dem Team halt an allen Ecken und Enden.

Nachdem die Arbeiten erledigt waren und alles ordnungsgemäß bei Abby im Labor abgegeben war, hatte ihr Boss sie endlich mit einem knappen Kopfnicken entlassen und sie war daraufhin wie eine Irre durch DC´s Straßen geprescht, damit sie sich nicht noch mehr verspätete.

 

Als sie das Krankenzimmer betrat, saß ihr Verlobter schon fertig angezogen, mit der gepackten Tasche neben sich auf seinem Bett und sah zum Fenster hinaus. Er hatte geahnt, dass seine Freundin nicht abkömmlich gewesen war und trotzdem hatte er seine Ungeduld kaum zügeln können. Er brannte förmlich darauf, das Krankenhaus zu verlassen und alle 2 Minuten hatte er sein Handy kontrolliert, ob nicht doch eine Nachricht für ihn gekommen war.  „Ziva, endlich!“ stieß er hervor. Seit zwei Stunden wartete er schon auf sie. Er war schon drauf und dran gewesen, sich ein Taxi rufen zu lassen.

 

„Tut mir leid, tut mir leid“, stieß Ziva hervor, während sie ihren Freund kurz umarmte und ihm einen schnellen Kuss auf die Lippen drückte. „Ein Selbsttöter ist uns dazwischen gekommen. Tim ist nicht da  und so mussten Gibbs und ich erst …...“ Sie unterbrach ihren Satz und blickte Tony verwirrt an, der sie mit einem breiten Grinsen im Gesicht kopfschüttelnd ansah.

 

„Was?“, fragte sie ein wenig ärgerlich, „Warum lachst du mich aus?“

 

Tony stand auf und zog Ziva in seinen Arm. Liebevoll, aber trotzdem amüsiert sah er die Dunkelhaarige an. „Meine kleine Ninja-Prinzessin. Du magst 35 Arten kennen, einen Menschen mit einer Büroklammer zu töten  ---  aber amerikanische Redewendungen wirst du vermutlich nie fehlerlos beherrschen, aber gerade das finde ich so unglaublich süß ...“

 

„Süß?“ Ziva zog ihre Augenbrauen so hoch, dass Tony schon dachte, sie würden in Kontakt mit ihrem Haaransatz treten. „Ich will nicht süß sein!  … Und was war jetzt schon wieder falsch?“, entrüstete sie sich und stemmte ihre Hände in die Taille.

 

„Es heißt Selbstmörder, mein Schatz, nicht Selbsttöter“, erklärte Tony in dem leicht selbstgefälligen Ton, den er immer anschlug, wenn er Ziva verbesserte. Er wusste zwar sehr gut, wie sehr sie das ärgerte, doch er konnte es sich einfach nicht abgewöhnen.

 

Ziva rollte mit den Augen und schlug ihm mit einer Hand ganz leicht gegen die Brust. Früher hätte sie ihm einen kräftigen Stoß verabreicht, doch seit den letzten Geschehnissen wollte sie auf jeden Fall vermeiden, Tony weh zu tun und hielt sich sehr zurück. Manchmal behandelte sie ihren Freund fast wie ein rohes Ei und Tony hatte sich diesbezüglich auch schon beschwert, aber sie konnte einfach nicht anders. Sie hätte ihn fast verloren und irgendwie hatte sie immer noch Angst, dass es noch nicht ausgestanden war. Auf der einen Seite war sie froh, dass er endlich nach Hause entlassen wurde; auf der anderen Seite hingegen wünschte sie sich fast, dass man ihn noch in der Klinik unter Beobachtung hielt. Sie konnte sich schließlich nicht 24 Stunden am Tag um ihn kümmern. Und auch ihr bereitete es immer noch große Sorgen, dass man Rebekkas Leiche bis jetzt nicht gefunden hatte. Derlei Gedanken behielt sie jedoch natürlich für sich. „Es geht dir ja anscheinend schon wieder ganz gut, wenn du bereits solche Scherze machen kannst“, murrte sie und wand sich geschickt aus seiner Umarmung heraus. Dann drehte sie den Kopf noch mal zu Tony und drohte ihm kokett mit erhobenem Zeigefinger: „Aber warte nur, wenn es dir wieder besser geht, bekommst du schon noch deine angemessene Strafe dafür. Ich habe ein gutes Gedächtnis!“

 

„Was ist denn deiner Meinung nach angemessen dafür?“, fragte Tony lächelnd.

 

„Das wüsstest du wohl gerne. Lass dich überraschen.“ Auch Ziva lächelte nun breit. Sie liebte diese kleinen Neckereien, die es immer noch zwischen ihnen gab und um nichts auf der Welt hätte sie darauf verzichten wollen. Sie griff nach der fertig gepackten Reisetasche und wollte in Richtung Tür, doch Tony stellte sich ihr schnell in den Weg, zog sie erneut an sich und raunte mit dunkler Stimme an ihrem Ohr: „Ich freu´ mich schon drauf.“

 

„Ist das so?“, neckte Ziva ihn weiter.

 

„Und wie!“, bekräftigte Tony, bevor sich  ihre Lippen zu einem derart intensiven Kuss fanden, dass sie alles um sich herum vergaßen. Tony vergrub seine gesunde Hand in ihrem vollen Haar und Ziva ließ die Reisetasche mit einem vernehmlichen Plumpsen auf den Boden fallen, damit sie beide Arme um den Körper ihres Freundes schlingen konnte. Unbewusst rieb sie ihre Hüften an seinem Unterleib und registrierte mit tiefer Befriedigung die Wirkung, die diese Bewegungen auf Tony hatten. Ein kehliges Knurren drängte sich aus den Tiefen seiner Kehle an die Oberfläche und er drückte sich fest an seine Verlobte, fast so, als suche er Halt. So standen sie einige Minuten lang und küssten und liebkosten sich völlig losgelöst, so als ob sie beide ihre Umwelt einfach ausgeblendet hätten. Wer weiß, was noch passiert wäre, wenn nicht…

 

Die Tür öffnete sich und eine Krankenschwester eilte ins Zimmer. Als sie bemerkte, was sich da direkt vor ihren Augen abspielte, blieb die junge Frau abrupt stehen und musterte das Geschehen mit einem geradezu erschrockenen Blick.

 

„Ich … äh, ich wollte nicht stören“, entschuldigte sie sich schließlich mit geröteten Wangen, und Ziva und Tony fuhren ertappt auseinander. Tony setzte ein verlegenes Lächeln auf und registrierte am Rande, dass Ziva tatsächlich hochrot anlief. Offenbar war seiner Verlobten die Situation mehr als peinlich. Möglichst unauffällig trat sie zur Seite und versuchte unbemerkt, ihre Bluse wieder in den Hosenbund zu stopfen. „Entschuldigen Sie“, unterbrach schließlich die Schwester als Erste das entstandene peinliche Schweigen. „Ich dachte, Sie wären bereits weg.

 

DiNozzo gab sich einen Ruck. „Nein, Sie müssen entschuldigen“, antwortete er und nahm seiner Freundin die Tasche ab, die diese gerade wieder aufheben wollte.  „Wir sind sofort verschwunden“, fuhr er fort und erstickte Ziva´s Protest gegen sein Tun bereits im Keim, indem er ihr unmissverständlich seinen Standpunkt klarmachte: „Hey, mein linker Arm ist demoliert, aber ansonsten bin ich durchaus dazu in der Lage, eine Tasche zu tragen. Es ist okay, Ziva, wirklich. Ich bin kein Invalide!“

 

„Na gut“, erwiderte Ziva und drückte sich schnell an der Krankenschwester vorbei. „Dann lass´ uns gehen. Ich habe Hunger.“

 

Die Zweideutigkeit ihrer letzten Worte – besonders, wenn man bedachte, was gerade vorgefallen war – war Ziva anscheinend gar nicht bewusst und Tony vermied es tunlichst, seine Freundin noch mehr in Verlegenheit zu bringen. Er nickte der Krankenschwester kurz verabschiedend zu und folgte seiner Freundin zum Aufzug. Beide waren froh, endlich die Klinik verlassen zu können und jeder für sich hoffte, dass sie jetzt dazu imstande wären, wieder zu einem normalen Alltag zurückfinden zu können. Sicher, vor Tony lag noch ein langer Weg der Rehabilitation, aber mit seiner Entlassung aus dem Krankenhaus war ein großer Schritt in Richtung einer sorgenfreien Zukunft getan. An diesen Gedanken klammerten sie sich unabhängig voneinander, während sie Hand in Hand auf Ziva´s Wagen zugingen.

 

Kapitel 4

Einige Wochen zuvor außerhalb Washingtons´s

 

In einer Kleinstadt nördlich von Washington DC entfernt stand eine junge Frau vor einem großen Wandspiegel und betrachtete ihren nackten Körper kritisch mit zusammengekniffenen Augen. Ihr…Unfall war jetzt bereits ein paar Wochen her und noch immer waren die Spuren unübersehbar: Von oben bis unten war sie mit blauen Flecken übersät. Und noch immer tat ihr jeder einzelne Knochen im Leib weh. Zum Teufel, wann wurde das endlich besser? Sie konnte, nein, sie wollte sich nicht länger hier verkriechen, doch bevor sie nicht wieder völlig auf dem Damm war, blieb ihr wohl nichts anderes übrig, so ärgerlich sie das auch fand. Dafür würde er büßen, das schwor sie sich! Sie war so wütend, so entsetzlich wütend und wenn sie nicht bald ein Ventil für diese unterdrückte Wut fand, würde sie…Ihr Spiegelbild veränderte sich – zeigte etwas Neues. Intensiv betrachtete die junge Frau den Blutstropfen, der sich langsam seinen Weg von ihrer Lippe hinunter zum Kinn bahnte, bevor sie ihn schließlich wild entschlossen mit dem Handrücken wegwischte. Sie hatte nicht einmal bemerkt, dass sie sich ihre Lippe blutig gebissen hatte und das focht ihren Ärger nur noch mehr an. Wie ein Flächenbrand breitete sich der Zorn in ihrem Inneren aus und sie kannte sich gut genug, um zu wissen, dass sie sich nicht mehr lange unter Kontrolle würde halten können. Nur mit Mühe gelang es ihr, das unbändige Zittern, das sie plötzlich heimsuchte, zu unterdrücken. Bald, sagte sie sich. Bald würde es soweit sein!

 

Sie trocknete sich fertig ab und schlüpfte in den weiten, legeren Jogginganzug, der – wie sie inzwischen wusste – einmal einer anderen Frau gehört hatte und den sie nunmehr seit einer Woche trug, weil es ihr immer noch Mühe bereitete in normale Kleidung zu steigen. Danach versuchte sie schwerfällig, mit der linken Hand ihr Haar zu bürsten – auch das funktionierte immer noch nicht so, wie sie es sich wünschte. Vielleicht sollte sie es abschneiden, womöglich fiel ihr dann ja das Kämmen leichter. Andererseits beraubte sie sich dann einer Möglichkeit, abzuschätzen inwieweit ihre Genesung Fortschritte machte. Anhand verschiedener Kleinigkeiten, die sie vor dem Unfall tagtäglich wie selbstverständlich erledigt hatte, kontrollierte sie nun mehrmals täglich wie besessen, ob womöglich wieder eine leichte Besserung eingetreten war. Insgeheim nannte sie diese Folter, die sie sich selber antat, ihre selbstständigen Reha-Maßnahmen, denn natürlich verbot es sich von selbst, dass sie sich von professioneller Seite helfen ließ. Gott, wie sie es hasste, wenn ihr Körper nicht so funktionierte, wie sie es von ihm erwartete! Gut, ihr Gegner war auch schwer angeschlagen; das wusste sie, weil sie seinen Zustand ja letztendlich zu verantworten hatte, aber er war eindeutig in der Überzahl und sie machte sich nichts vor: Solange sie nicht tot und beerdigt war, würde die Gegenseite von nun an sehr, sehr vorsichtig agieren. Mit Sicherheit würde sie nicht mehr so leicht an ihr Opfer herankommen, wie ihr das schon einmal gelungen war. Diese Tatsache verlangte, dass sie abwarten musste. Sie musste ihrem Körper Zeit geben, wieder in einen Zustand zu kommen, der es ihr erlaubte, sich – wenn nötig – zur Wehr zu setzen. Die Gegenseite hatte vielleicht eine Schlacht gewonnen, aber das letzte Gefecht – den Krieg – den würde sie gewinnen!

 

Zuletzt griff sie nach der Armschlinge, die sie vor dem Duschen auf einem Stuhl bereitgelegt hatte, legte sie sich vorsichtig um und sortierte behutsam ihren Arm hinein. Damit wurden die Schmerzen wenigstens einigermaßen erträglich, doch nach wie vor kam es für sie nicht in Frage, die Schmerzen mit Medikamenten zu betäuben. Sie wollte den Schmerz nicht unterdrücken, denn sie musste unbedingt wissen, wann es besser wurde. Und es war ja auch bereits besser geworden – nur leider noch nicht so gut, dass sie endlich hier weg konnte. Noch steckte sie hier fest und das machte sie langsam aber sicher wahnsinnig. Sie kam sich vor, wie ein Vollblüter vor dem Start; unruhig, nervös…voller Vorfreude auf den Startschuss. Humpelnd bewegte sie sich zum Fenster und blickte versonnen in die Ferne als ein Klopfen an der Tür ihre Gedanken unterbrach. Unwillig verzog die Frau ihr hübsches Gesicht.

 

„Herein?“

 

Ein etwa 35-jähriger Mann betrat das Zimmer und ging mit federnden Schritten auf die Frau zu.

 

„Kommst du? Das Essen ist fertig.“

 

„Ja, gleich“, antwortete die Frau, ohne ihren Blick abzuwenden.

 

„Machst du dir immer noch Gedanken darüber, wer du bist?“ Der Mann legte sanft eine Hand an die Taille der Frau und registrierte, wie diese bei der leichten Berührung zusammenzuckte. So ging das nun schon seit Wochen. Sie musste Furchtbares durchgemacht haben, und er war froh, dass er sie gefunden hatte und nicht jemand anderes. Froh und dankbar, denn mittlerweile hegte er durchaus Hoffnungen, dass sie mit der Zeit etwas zugänglicher werden würde. „Denk einfach nicht mehr drüber nach, dann fällt es dir vielleicht eher ein. Oder…vielleicht sollten wir doch zur Polizei gehen.“

 

„Nein, keine Polizei!“ Die Frau fuhr erschrocken herum und sofort rächte sich die hastige Bewegung durch schmerzhafte Stiche in ihrer Körpermitte. Doch sie spielte ihre Rolle meisterhaft und riss gleichzeitig angstvoll die braunen Augen auf: „Bitte, ich erinnere mich zwar nicht an viel, aber…Nein, du weißt, ich fürchte, dass ich illegal hier bin und dann…Gott, ich habe keine Ahnung wer ich bin, aber ich habe solche Angst vor der Polizei. Das muss doch einen Grund haben.“ Sie klang zutiefst verzweifelt und das war sie in diesem Augenblick auch tatsächlich. Immer wieder fing ihr Retter davon an und das ging ihr zunehmend auf die Nerven. Sie konnte nur hoffen, dass er sich nicht wohlmeinend und heimlich über ihren Wunsch hinwegsetzte. Das wäre eine Katastrophe, denn sie war fest davon überzeugt, dass jedes Polizeirevier in Washington und Umgebung im Besitz von Fotos von ihr war.

 

„Schon gut, mach dir keine Sorgen, es wird dir schon wieder einfallen, da bin ich sicher und dann sehen wir einfach weiter. Ich warte unten auf dich, okay?“

 

„Ja, ist gut, ich komme gleich nach.“

 

„In Ordnung, aber tu mir einen Gefallen und überleg dir endlich einen Namen – irgendwie muss ich dich ja schließlich ansprechen. Okay?“

 

„Kate, du kannst mich Kate nennen.“

 

„Kate? Ist das eine Erinnerung, oder wie kommst du so plötzlich darauf?“

 

„Nein, keine Erinnerung. Der Name gefällt mir einfach. Gestern, während du arbeiten warst, habe ich ferngesehen. In einer dieser Nachmittagsshows war eine Kate. Sie sah mir irgendwie ähnlich, dunkelhaarig, schlank…na ja, ich weiß auch nicht.“

 

Ihr Gegenüber lächelte leicht: „Schon gut, du musst es nicht begründen. Kate also, hm? Schöner Name. Bis gleich dann, Kate.“

 

Die Frau nickte und registrierte noch, wie der Mann das Zimmer wieder verließ. Ein Stoßseufzer entrang sich ihrer Kehle. Es wurde immer schwieriger. Wieder blickte sie nachdenklich aus dem Fenster. Kurz darauf gab sie sich einen Ruck. Mit einem rätselhaften Lächeln auf den Lippen wandte sie sich um und humpelte aus dem Zimmer…

 

Kapitel 5

Gegenwart – Alltag kehrt ein????

 

Seit Tony vor einer Woche aus dem Krankenhaus entlassen worden war, hatte sich sein Gesundheitszustand weiter verbessert. Rein äußerlich sah er schon wieder ganz annehmbar aus: Seine Lungenentzündung war ausgeheilt, was bedeutete, dass auch der ständige, schmerzhafte Husten sich gelegt hatte. Der Bluterguss in seinem Gesicht war verschwunden und die Narbe an seiner Schläfe fiel kaum mehr auf. Mit der Zeit würde sie sicher so gut wie unsichtbar werden. Die Striemen, die sich – verursacht durch Rebekkas wahnsinnige Peitschenhiebe, tief in seinen Oberkörper eingegraben hatten, würde man zwar wahrscheinlich noch monatelang sehen, aber er lief ja normalerweise nicht ohne Hemd herum. Wenigstens verursachten sie ihm im Liegen keine Schmerzen mehr. Nach seiner Einlieferung ins Krankenhaus hatte er tage-, ja wochenlang nicht gewusst, auf welcher Körperseite er liegen sollte, denn egal wie er sich drehte; Rebekkas Tortur blieb durch die brennenden Wunden für ihn allgegenwärtig.

 

All dies war mit der Zeit nun endlich besser geworden und so konnte er immerhin wieder fast schmerzlos einschlafen. Außer natürlich er drehte sich im Schlaf über seine Hand hinweg. Geschah das, fuhr er jedes Mal wie von einer Tarantel gestochen hoch und lag danach lange Zeit wach. Im Grunde genommen schlief er eigentlich sowieso nur noch, wenn sein Körper es ihm unbedingt abverlangte, denn die schrecklichen Albträume, die ihn nach wie vor immer noch heimsuchten, machten ihm sehr zu schaffen und so bedeutete der Schlaf für ihn keinerlei Erholung, sondern war eine ständige Quelle der Angst. Sofern das überhaupt möglich war, wütete Rebekka in seinen Träumen noch viel schlimmer, als sie es während des verhängnisvollen Wochenendes im Keller getan hatte. So hatte sie Ziva vor seinen Augen erschossen, Tim gefesselt in einem Bassin voller Wasser jämmerlich ertrinken lassen, die arme Abby in einem Sarg voller hungriger Ratten lebendig beerdigt, Ducky mit einem Medikament so betäubt, dass er quasi bei lebendigem Leib seiner eigenen Obduktion beiwohnen musste und Gibbs, seinen väterlichen Freund, in dessen Haus im Keller an einem Holzbalken aufgehängt und genüsslich von einem Stuhl aus zugesehen, wie die Luft langsam aus seinen Lungen wich, seine blauen Augen angstvoll hervortraten, die Beine hilflos in der Luft zappelten, bis letztlich seine Zunge aus dem Mund quoll und alles Leben aus dem durch jahrelanges Training gestählten Körper wich. Im wachen Zustand wusste er natürlich, dass manches, was in seinen Träumen passierte, Rebekka schon rein physikalisch wahrscheinlich gar nicht möglich wäre. Kaum vorstellbar, dass ausgerechnet Gibbs sich in seinem Keller von Rebekka Rivkin übertölpeln und ohne Gegenwehr aufknüpfen ließ, aber die Macht seiner Gedanken spielte ihm immer wieder solche makabren Streiche und er hatte nichts, was er dem entgegen setzen konnte.

 

Außerdem hatte er nach wie vor Schwierigkeiten damit, wenn Ziva ihn mit nacktem Oberkörper sah, er konnte den Anblick seiner Narben einfach selbst kaum ertragen.

 

Als sie, nachdem er endlich das Krankenhaus verlassen konnte, ihre eigene Wohnung betreten hatten, hatten sie sofort dort weitergemacht, wo sie im Krankenhaus aufgehört hatten. Tony hatte einfach die Tasche auf den Boden fallen lassen und Ziva gegen die Tür gepresst, die sie eben hinter sich geschlossen hatte. Ziva fühlte seine Erregung und schlang ihre Arme um seinen Hals. Einige Sekunden lang sahen sie sich tief in die Augen, dann war Tony nicht mehr zu halten. Er küsste sie mit einer intensiven Leidenschaft, dass Ziva fast der Atem wegblieb. Fordernd ließ er seine gesunde Hand über ihre Brust gleiten und als es ihm nicht gleich gelang, die Knöpfe ihrer Bluse zu öffnen, riss er diese kurzerhand mit einem schnellen Ruck auf. Völlig überrascht von dieser ungestümen Begierde riss die Dunkelhaarige die Augen auf, dann aber stahl sich ein lustvolles Lächeln auf ihr Gesicht und mit lasziven Bewegungen schälte sie sich aus der zerrissenen Bluse. Anschließend griff sie nach hinten, um ihren BH zu öffnen, den sollte Tony nicht auch noch zerstören, immerhin war es ein Lieblingsstück von ihr von Victoria Secret. Als sie diesen langsam zu Boden gleiten ließ, sog Tony scharf die Luft ein, als er den Blick über ihren nackten Oberkörper wandern ließ. Behutsam ließ er seine Finger über Ihre Brustspitzen gleiten, dann nahm sie unverhofft an der Hand und zog sie mit schnellen Schritten zum Schlafzimmer. Wenige Augenblicke später lag sie auf dem Bett und Tony kniete über ihr und dann … 

 

Seither hatten sie jede Nacht Sex – leidenschaftlich bis zur Ekstase – jedoch hatte er immer sein Shirt anbehalten.  – Selbst Ziva´s scherzhaft gemeinte Bemerkung, dass Mel Gibson in Lethal Weapon schließlich auch seine Narben stolz präsentiert hatte, hatte ihm kaum mehr als ein müdes Lächeln entlocken können. Er wusste, seine Freundin meinte es gut und wollte ihn verzweifelt aus seiner trüben Gedankenwelt locken, aber er hatte nicht darüber lachen können, sondern sie statt dessen angefaucht, dass es sich hier ja nur um einen Film gehandelt habe und der Maskenbildner eben ganze Arbeit geleistet hatte. Vor drei Tagen war sie dann aufs Ganze gegangen und hatte ihn mit sanfter Gewalt aufs Bett gedrückt und seine Brust mit unzähligen zärtlichen Küssen bedeckt. Zunächst hatte er wie erstarrt dagelegen, doch Ziva hatte nicht aufgegeben und schließlich hatte er sich langsam entspannt und war mit ihr im Rausch einer nicht enden wollenden Liebesnacht versunken. In dieser Nacht hatte er erstmals keinen Albtraum gehabt und die Hoffnung, dass diese verfluchten Träume endlich verschwinden würden, hatte sich wieder in ihm geregt. Doch schon in der darauffolgenden Nacht war er wieder schweißgebadet aufgeschreckt und hatte bis zum Morgengrauen stoisch nur die Bilder an der Wand angestarrt, ohne sie wirklich anzusehen. Es war zum verrückt werden. Wahrscheinlich sollte er mit Dr. Randolph darüber sprechen, doch dazu konnte er sich einfach nicht überwinden. Er schaffte es ja noch nicht einmal mit Ziva über all das, was er nachts in seiner Gedankenwelt erlebte, zu reden. Sicher, sie bekam mit, dass er an Albträumen litt, aber er verlor kein Wort darüber, was in diesen Träumen geschah. Damit musste er alleine fertig werden. Zeit war hier das Schlüsselwort. Er brauchte einfach nur Zeit, dies redete er sich wider besseres Wissen immer wieder ein. Er musste sich lediglich noch ein wenig Zeit geben, dann würde sich alles von selber finden.

 

Auch an diesem Tag war er schon mit Ziva gegen 5.30 Uhr aufgestanden und hatte Kaffee aufgesetzt, während seine Freundin noch unter der Dusche war. Eben kam sie mit nassen Haaren, nur in ein kurzes Handtuch gewickelt in die Küche und sah Tony mit besorgtem Gesichtsausdruck zu, wie er mit einer Hand das Frühstück vorbereitete. „Warum bist du eigentlich schon so früh auf, du bist doch sonst so ein Langschläfer?“, fragte sie ihn und rubbelte gleichzeitig ihre Haare trocken.

 

Tony streckte den Rücken durch und setzte seine Maske auf, wie er es insgeheim nannte, bevor er sich so selbstverständlich wie möglich zu seiner Verlobten umdrehte: „Ich tu´ doch den ganzen Tag nichts und nachmittags schlafe ich auch meistens noch ein oder zwei Stündchen, da bin ich eben nicht mehr müde und außerdem macht es mir Freude, wenigstens die Zeit beim Frühstück mit dir zu verbringen, wo ich dich doch sowieso den ganzen Tag nicht sehe.“ Dass er nachmittags schlief war eine Lüge, die er unter dem Punkt „Notlüge“ für gerechtfertigt hielt, denn er wollte nicht, dass Ziva sich noch mehr um ihn sorgte, als sie es ohnehin schon tat.

 

Ziva trat nahe an Tony heran, legte ihre Hände auf seine Schultern, wobei es sie nicht im Geringsten störte, dass dabei ihr Badetuch zu Boden rutschte, und blickte ihm prüfend ins Gesicht: „Du siehst aber müde aus, Schatz, und dünner bist du auch geworden. Geht’s dir wirklich gut?“ Zärtlich strich sie ihm eine verirrte Haarsträhne aus der Stirn, wobei sie seine Narbe an der Schläfe streifte. Sie registrierte sehr wohl, dass sein Körper sich bei der sanften Berührung an dieser Stelle wieder versteifte, doch sie tat so, als würde sie es nicht bemerken. Ihre Hand wanderte weiter und blieb schließlich auf seiner Wange liegen.

                                                                                                              

Tony schloss für einen Moment die Augen, zwang sich zu entspannen und schmiegte sich Halt suchend an warmen Finger seiner Freundin. So verharrte er einen Moment lang bewegungslos. Als er seine Augen wieder öffnete, gelang es ihm, sie strahlend anzusehen. „Wenn du da bist, geht’s mir gut“, murmelte er leise, legte seinen rechten Arm um ihren Körper, zog sie fest an sich und atmete tief durch. Minutenlang standen sie einfach so da und in diesem Moment war es wirklich wahr. Er spürte, dass dies keine Notlüge gewesen war und er hoffte inständig, dass auch Ziva spürte, dass er die Wahrheit gesagt hatte. Es ging ihm tatsächlich besser, wenn Ziva bei ihm war. Nur leider war das eben nicht immer möglich…

 

****************

 

Gegen sechs Uhr am frühen Abend stand er wieder in der Küche, diesmal aber allein, denn Ziva war noch nicht wieder zu Hause. Sie kam selten vor sieben Uhr abends heim, auch wenn Gibbs sie so oft es möglich war, früher gehen ließ.  Heute hatte er keine Reha-Maßnahmen gehabt und auch keinen Termin bei Dr. Randolph. Wobei er sowieso jedes Mal überlegte, ob er überhaupt weiterhin diese Sitzungen besuchen sollte. Er fühlte sich jedes Mal denkbar unwohl, wenn er diesem arroganten Halbgott in Weiß gegenüber saß, und das Gefühl, dass dieser ihm helfen könnte, hatte er nach wie vor in keinster Weise. Der Arzt stellte Fragen und Tony beantwortete sie ihm mit sorgfältig ausgewählten allgemeinen Phrasen, wobei ihm seine Filmkenntnisse hier durchaus zu Gute kamen. Ob der Gute wohl wusste, dass Tony ihm so manches Mal Filmzitate als Antworten servierte? Immerhin, er sprach mit dem Mann und das war es doch, was man von ihm verlangt hatte. Aber sein Innerstes würde er garantiert nicht vor diesem Mann ausbreiten!

 

Jedenfalls hatte er heute beschlossen, einkaufen zu gehen, um Ziva bei ihrer Heimkehr mit einem selbstgekochten Abendessen zu überraschen. Er hatte zwei Steaks besorgt, die brauchte er nur zu braten, das war einfach. Aber eigentlich hatte er sich vorgenommen, Kartoffeln dazu zu machen und diese zuvor mit Zwiebeln anzubraten. Jetzt stand er in der Küche und mühte sich vergeblich mit den Zwiebeln ab, denn es gelang ihm nicht, diese mit einer Hand zu schälen, geschweige denn die Kartoffeln. `Das hättest du dir auch früher überlegen können, du Idiot`, dachte er genervt, während er weiterhin vergeblich versuchte, die Zwiebel von ihrer Schale zu befreien. Urplötzlich war seine Geduld am Ende und er schleuderte wutentbrannt die Zwiebel in eine Ecke der Küche. Anschließend fegte er das Schneidbrett samt Messer von der Anrichte und schaute zu, wie die Sachen scheppernd zu Boden fielen. Diese Hilflosigkeit machte ihn fertig. Er konnte sich ja kaum selbst anziehen mit der Armschiene und seinen kaputten Fingern, mit denen er nichts ordentlich greifen konnte und über die er immer einen schwarzen Handschuh streifte. Wie hatte er sich da bloß einbilden können, dass er ein einfaches Abendessen zustande brachte? 

 

Zitternd vor Wut und völlig aufgewühlt verließ er die Küche und stapfte ins Wohnzimmer. Ohne zu zögern holte er die Whisky-Flasche und ein Glas aus dem Barfach, klemmte sich die Flasche zwischen die Beine, öffnete den Verschluss mit seiner gesunden Hand  und füllte schließlich aufatmend das Glas fast bis zum Rand. Mit zitternden Fingern setzte er es an die Lippen und schüttete die goldene Flüssigkeit in einem Zug seine Kehle hinunter.

 

Nur 10 Minuten später hatte er das Glas bereits zum dritten Mal vollgeschenkt. Dieses Mal ließ er sich langsam auf das Sofa sinken und hob das Glas vor sein Gesicht. Nachdenklich starrte er einen Moment lang auf den im Glas leicht hin und her schwappenden Inhalt, bevor er letztendlich auch dieses Glas in wenigen Schlucken leerte. Schwermütig und deprimiert lehnte er sich anschließend zurück und stierte an die Zimmerdecke.

 

Als er sich das nächste Mal rührte, streifte sein leicht benebelter Blick die Digitalanzeige der Uhr an der Stereoanlage. Sie zeigte 20.55 h an. Wahnsinn, schoss es ihm durch den Kopf. Wie lange saß er jetzt schon wieder nutzlos hier im Dunkeln rum? Ziva war immer noch nicht zu Hause, aber sie würde mit Sicherheit nicht begeistert von dem Chaos sein, dass er wieder angerichtet hatte. Vielleicht schaffte er es ja noch, aufzuräumen, bevor seine Freundin nach Hause kam. Moment mal…Ziva…War sie nicht in seinem Traum um genau 20.55 h erschossen worden? Angestrengt dachte er nach und schüttelte schließlich entnervt mit dem Kopf. Das musste der Alkohol sein – oder er wurde langsam paranoid!

 

To be continued - im nächsten Thread...