"20.55 h" oder "die erste Stunde vom Rest eines Lebens" - Thread VII

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34. Kapitel

Der Fall Caulder – Die Schlinge zieht sich zu

 

Tony hatte inzwischen fieberhaft gearbeitet und alle gefundenen Indizien in einem ausführlichen Bericht aufgelistet. Normalerweise hasste er es zwar, Berichte zu schreiben, aber a) durfte er ja sowieso nicht in den Außendienst und b) war ihm durchaus bewusst, dass hier – in diesem speziellen Fall – alles passen musste. Er durfte sich da keine Nachlässigkeit oder gar einen Fehler erlauben. Abby hatte zwar Spuren von Caulder´s DNA an der Tasche gefunden, aber als Beweis war das nicht brauchbar, da es ja allgemein bekannt war, dass er das Beweisstück in die Asservatenkammer gebracht hatte. Doch das war nicht ausschlaggebend. Für Tony stand fest, dass die Beweise für Caulder´s Schuld ausreichen würden. Wer sonst hätte eine Gelegenheit gehabt, das Rauschgift verschwinden zu lassen? Niemand! Nein, Sam Caulder war der einzige gewesen, der mit der Tasche alleine gewesen war. Zuvor waren immer mehrere Mitarbeiter zusammen gewesen – bis zu dem Moment, als Caulder die Tasche weggebracht hatte. Es konnte nur Caulder gewesen sein. Tony drehte sich der Magen um, als er daran denken musste, wie dieser miese Schleimbeutel ihm noch vor einigen Tagen mit falscher Freundlichkeit zu seiner Rückkehr gratuliert hatte. `Tja, mein Lieber´, dachte er still bei sich – `da werde ichdir wohl bald zu deiner Verabschiedung winken. Mistkerl!´ Schnell überflog er noch einmal alles, was er zusammengetragen hatte…und beschloss, dass es an der Zeit war, sich Unterstützung zu sichern.

 

Vor einer viertel Stunde war das Team von einem Außeneinsatz zurückgekommen und Gibbs saß mit einem einigermaßen zufriedenen Ausdruck im Gesicht an seinem Schreibtisch. Die Gelegenheit schien günstig. Wenn man etwas von Gibbs wollte, war es immer besser, ihn in guter Stimmung abzupassen. Tony schnappte sich seinen Bericht und ging rüber zu seinem Chef. „Hey Boss, wie war euer Einsatz?“ fragte er zunächst und ließ sich lässig auf der Schreibtischkante nieder. Er hatte sich zwar vorher schon genau zurecht gelegt, was er sagen wollte, doch er wollte die Spannung noch etwas steigern, bevor er mit der Sprache rausrückte. Einfach noch ein wenig das Hochgefühl, dass er endlich wieder etwas Produktives geleistet hatte, auskosten.Daran war schließlich nichts Verwerfliches.

 

Gibbs sah über den Rand seiner Brille auf und entgegnete wie gewohnt mürrisch: „Wir haben unsere Arbeit gemacht.“ Dann wandte er sich schon wieder seinen Akten zu.

 

Doch so ohne weiteres ließ Tony sich nicht abwimmeln. Er fuhr einfach fort: „He, ich war auch nicht ganz untätig, Boss. Ich habe in den alten Akten rumgeforscht, wie du weißt, aber wem sage ich das, du hast mir diese Arbeit schließlich ´verordnet´, nicht wahr?“ Er setzte ein gewinnendes Lächeln auf und wartete auf Jethro´s Reaktion, doch dieser zog lediglich vielsagend die Augenbrauen hoch. Wie Tony sehr gut wusste, tat sein Boss das immer, wenn ihm etwas zunehmend auf die Nerven ging und er war gerade auf dem besten Weg dazu. Er musste auf den Punkt kommen – schnell! „Wie auch immer, ich denke, ich habe etwas entdeckt! Etwas sehr wichtiges!“ Gespannt wartete er nach dieser Eröffnung auf Jethro´s Reaktion.

 

Jetzt lehnte sich der Grauhaarige in seinem Stuhl zurück, verschränkte die Hände hinter dem Kopf und blickte DiNozzo fragend an. „Rückst du dann auch endlich mal mit der Sprache raus oder willst du mich noch länger von meiner Arbeit abhalten?“

 

„Nein – klar Boss – ich meine, sieh´ dir einfach meinen Bericht an. Du kennst doch Agent Caulder. Also, ich habe herausgefunden, dass er den NCIS beklaut hat!“

 

Damit hatte er nun endlich die ungeteilte Aufmerksamkeit seines Chefs. Zweifelnd griff Gibbs nach der Akte, die Tony ihm hinhielt und begann zu lesen…  

 

 

In Rebekka´s Wohnung – Tücken der Technik

 

Mit einem leicht verzweifelten Gesichtsausdruck saß Rebekka Rivkin auf ihrer alten, etwas abgewetzten Couch, die sie in einem Gebrauchtmöbelmarkt für kleines Geld erstanden hatte, und starrte auf das Gewirr von Kabeln und technischen Gerätschaften vor sich auf dem flachen Wohnzimmertisch. Sie war zwar nicht gerade ein Technikfreak, doch dass die bestellten Sachen sie so sehr überfordern würden, hatte sie nicht erwartet. Wie zum Teufel war es möglich, dass z.B. an einer Minikamera so viel einzustellen war, bevor diese endlich optimal funktionierte. Und auch die bestellten Hochfrequenzmikrofone waren durchaus nicht einfach sofort in Gebrauch zu nehmen. Jedem der Geräte hatte eine dicke Betriebsanleitung beigelegen und wenn sie daran dachte, dass sie all das Zeug noch durchlesen und sich verinnerlichen musste, wurde ihr ganz anders. Sie konnte sich nicht helfen, irgendwie hatte sie sich das alles leichter vorgestellt…

 

Am liebsten würde sie ihrer Wut freien Lauf lassen und all das Zeug mit einer wüsten Bewegung vom Tisch fegen, aber natürlich würde sie das nicht tun. Schließlich brauchte sie die ganzen Gerätschaften, wenn sie ihren Plan optimal durchführen wollte und dass sie das wollte, stand nach wie vor außer Frage.

 

„Scheiß Technik“, grummelte sie leise vor sich hin und griff nach einer der Anleitungen. Wieder einmal bedauerte sie den Tod ihres Bruders. Technik war noch nie ihr Ding gewesen, aber Michael hatte, was das anging, echt Ahnung gehabt. Und nicht nur in der Beziehung. Er war so verdammt klug gewesen! Und Charmant! Und gutaussehend! Gott, wie oft hatte er sie in ihrer Jugend aus Schwierigkeiten herausgeholt, in die sie sich selber gebracht hatte. Er hatte eine Art an sich gehabt, mit der er Menschen schnell für sich einnahm und genau damit hatte er sie so häufig aus der Patsche geholt. Dafür hatte sie ihn geliebt – ohne jeden Zweifel an seiner Person zu ihm aufgeblickt und nie etwas hinterfragt, was er gesagt oder getan hatte. Alles was sie damals erreichen wollte, war so zu werden wie Michael. Bis dann irgendwann diese David-Schlampe in sein Leben getreten war. Bei der Erinnerung daran verzog Rebekka schmerzlich das Gesicht. Ja, das hatte alles verändert – Michael hatte sich verändert. Sie hatte das Unheil kommen sehen, doch er hatte nicht auf sie hören wollen. Sicher, Ziva hatte ihren Bruder zwar nicht umgebracht, aber sie trug mit Sicherheit eine Mitschuld daran, dass dieser Gecko von DiNozzo ihn kaltblütig ermordet hatte. Deshalb hatte sie auch beschlossen, dass Ziva David ebenfalls sterben musste. In ihren Augen war das eine logische, eine gerechte Schlussfolgerung. Schließlich hatte sie ihren Bruder nie geliebt, sondern ihm immer nur etwas vorgemacht – wäre sie sonst jetzt mit diesem dämlichen Halbitaliener zusammen? Das eine schloss das andere doch aus! Nun ja, sie würde dafür büßen – sie würden beide dafür büßen! Bald schon – sehr bald! Ein diabolisches Lächeln schlich sich auf Rebekka´s Antlitz, während sie unbewusst die Betriebsanleitung in ihren Händen zu einem Knäuel zusammenquetschte.

 

Schließlich gab sie sich einen Ruck. Niemandem nützte es, wenn sie hier saß und alten Geschichten nachhing. Sie wäre nicht sie selber, wenn sie diese Probleme nicht in den Griff bekommen würde. Am besten wäre es natürlich, wenn ihr dabei jemand helfen könnte, aber zurzeit sah es nicht danach aus, als wäre da jemand in Sicht. Egal, sie arbeitete sowieso lieber alleine. Aus ihrem ersten vergeblichen Versuch, DiNozzo umzubringen, hatte sie ihre Lehren gezogen. Ihre damaligen Helfershelfer hatten sie den letzten Nerv gekostet und letzten Endes war es ihr egal gewesen, dass beide die Aktion nicht überlebt hatten – selbst wenn es sich bei dem einen um ihren 2. Bruder gehandelt hatte. Thomas war seit jeher ein Waschlappen gewesen. Kein Vergleich zu Michaels Kaliber. Michael, ja, der war ein echter Held gewesen. Ein Held, der einen völlig sinnlosen und grausamen Tod gestorben war.

 

Entschlossen stand sie auf. Sie war nicht dafür geschaffen, auf einem Sofa rumzusitzen und Anleitungen auswendig zu lernen. Sicher, sie würde es tun – sie musste es ja schließlich tun, aber nicht jetzt. Sie brauchte unbedingt etwas Bewegung und die würde sie sich jetzt auf der Stelle verschaffen, sonst würde sie noch verrückt werden. Sie griff sich die Autoschlüssel, eine Jacke und verließ die Wohnung, um zu der einsamen Stelle außerhalb von Washington zu fahren. Es war stockfinster, eiskalt und schon auf dem Weg zu ihrem Wagen fingen ihre Zähne an zu klappern. Doch die Vorfreude auf ihren Ausflug unterdrückte die augenblicklichen Unannehmlichkeiten. Beim Ausheben der Gräber würde ihr schon warm werden. Ja, die körperliche Betätigung würde ihr gewiss gut tun. Sie freute sich schon darauf und noch mehr freute sie sich darüber, dass ihre Rache langsam aber sicher endlich Form annahm. Sie war die Einzige, die es zu Ende bringen konnte – zu Ende bringen musste! Sie war jetzt die Letzte aus ihrer Familie und sie würde es tun. Für Michael! 100 %-tig. Dann, erst dann würde sie endlich ihren Frieden finden.

 

35. Kapitel

Bei Caulder

 

Er hatte es geschafft. Unbemerkt von diesem selbsternannten Superagenten  DiNozzo hatte Sam Caulder einen zweiten Laufzettel für die Heroin-Tasche angefertigt. Im Großen und Ganzen sah er genauso aus wie der Richtige, nur einige wesentliche Punkte hatte er verändert. Allerdings bewirkten diese klitzekleinen Korrekturen, dass sich die Sachlage in geradezu eklatanter Weise geändert hatte. Die Unterschriften der verschiedenen Agenten, die mit dem Fall befasst gewesen waren, hatte er sich erschlichen, nur bei Abby hatte er keinen Erfolg gehabt, sie war einfach zu aufmerksam gewesen. Aber er hatte stundenlang an ihrer Unterschrift geübt und beherrschte ihr Signum jetzt so perfekt, dass selbst Abby die Fälschung nicht erkennen würde. Auch der Akte hatte er einige wenige, aber durchaus bedeutsame Ergänzungen hinzugefügt. Wenn sie ihn nun auf DiNozzo´s Anschuldigung hin verhaften würden, müssten sie nach Überprüfung der Akten feststellen, dass sie ihm nichts mehr nachweisen konnten. Im Gegenteil, wenn sie genauer graben würden – und das würden sie, dessen war er sich sicher, denn DiNozzo´s Wort hatte nach wie vor durchaus Gewicht, da machte er sich nichts vor – dann würden sie schnell darauf kommen, dass jetzt die Unstimmigkeiten bei DiNozzo lagen.

 

Caulder hatte gut aufgepasst. Als DiNozzo die Tasche nach Abby´s Beweissicherung zurück in die Asservatenkammer gebracht hatte, war er einfach eine Stunde später bei Lenny aufgetaucht und unter dem Vorwand, nur schnell etwas nachprüfen zu müssen, in die Asservatenkammer hineingegangen. Unbemerkt von Lenny, der in seiner Ecke seine Mittagspause machte, hatte er dort den Laufzettel ausgetauscht und war dann mit ein paar freundlichen Worten für den alten Agent wieder verschwunden. Die Einweghandschuhe, die er bei seinem Vorhaben getragen hatte, wollte er ursprünglich nach Verlassen des Navy-Yards irgendwo in einem Park entsorgen. Doch im letzten Moment hatte er sich das dann doch noch anders überlegt. Er wusste ja nicht, wann sie zu ihm kommen würden und sie durften unter keinen Umständen etwas bei ihm finden, das auch nur den Hauch eines Verdachtes erregte. Gar nichts. Also hatte er die Handschuhe noch in der Kammer abgestreift und sie einfach in einen x-beliebigen Fallkarton gestopft. Mit ein bisschen Glück würden sie dort bis in alle Ewigkeit verrotten.

 

Mit zitternden Händen und klopfendem Herzen war er zurück ins Großraumbüro gegangen und hatte sich an seinen Platz gesetzt. Danach hatte er weiter an seinem aktuellen Fall gearbeitet, als ob nichts geschehen wäre. Er hatte sich lediglich hin und wieder verstohlen umgeblickt. Er war lange genug bei der Truppe, um zu spüren, dass etwas in der Luft lag.

 

*******

 

Caulder hatte mitbekommen, wie DiNozzo am frühen Nachmittag mit einer Akte in der Hand zu Gibbs gegangen war, die dieser, nach einem kurzen Geplänkel zwischen den beiden, interessiert zu lesen begonnen hatte. Nach wenigen Minuten war er dann gemeinsam mit DiNozzo die Treppe hinaufgestiegen und in Vance´ Büro verschwunden. Jetzt war es soweit, vermutlich würden sie bald bei ihm auftauchen, um ihn zu verhaften. Zum wiederholten Mal ließ er sich durch den Kopf gehen, wie er auf die Anschuldigungen reagieren würde: Er würde sich völlig überrascht geben und natürlich vehement seine Unschuld beteuern. Sie konnten ihm nichts, rein gar nichts nachweisen – er war sich sicher, dass er nichts übersehen hatte und er gestattete sich ein kleines, selbstsicheres Grinsen…

 

Oben öffnete sich eine Tür und Stimmen wurden laut. Unwillkürlich flog Caulders Blick nach oben zur Galerie. Dort standen tatsächlich Gibbs, DiNozzo und Vance und schienen noch eine kurze, aber heftige Diskussion zu führen. Eine Diskussion, die offenbar nicht im Sinne des Halbitalieners endete, denn der machte plötzlich nur eine unwillige Handbewegung und entfernte sich in Richtung Aufzug von den beiden, der Direktor und Tony´s Teamleiter nahmen den Weg über die Treppe  nach unten.

 

Während Caulder sein Interesse anscheinend wieder voll auf die Akte vor sich konzentrierte dachte er still bei sich: „Aha, aus welchen Gründen auch immer will Vance ihn anscheinend nicht dabei haben, wenn man mich mit den Anschuldigungen konfrontiert.“ Diese Tatsache verbuchte er als einen Vorteil für sich, während er aus den Augenwinkeln heraus registrierte, wie die beiden Männer auf seinen Schreibtisch zukamen. Gleich, gleich war es so weit. Jetzt kam es darauf an, dass er sich gut unter Kontrolle hatte und sein Programm sicher abspulte.

 

„Agent Caulder?“

 

„Direktor Vance?“, gab der Angesprochene jovial zur Antwort, während er aufblickte. Dabei registrierte er am Rande den ernsten Gesichtsausdruck von Vance und den – wie immer eigentlich – leicht grimmigen von Gibbs. `Wartet nur ab. – Euch werde ich´s schon zeigen´, dachte er still bei sich. Laut sagte er: „Ist etwas passiert, dass Sie gleich im Doppelpack zu mir kommen.“ Die Veränderung von Vance´s Mimik machte ihm gleich darauf deutlich, dass sein Gegenüber nicht zu Scherzen aufgelegt war und so ruderte er vorsichtshalber ein wenig zurück: „Schon gut, was kann ich für Sie tun, Gentleman?“

 

„Sie können uns in einen der Verhörräume begleiten“, antwortete Vance verkniffen.

 

„Selbstverständlich.“ Caulder erhob sich, als könne er kein Wässerchen trüben. „Darf ich fragen, wer dort auf uns wartet?“

 

„Niemand“, kam die kurze Antwort. „Aber es gibt einige Fragen zu klären und dazu benötigen wir Ihre Hilfe.“

 

„Meine Hilfe? Nun – natürlich. Ich helfe jederzeit gerne, wenn ich kann.“ Ein weiterer Punkt für ihn, dachte Caulder, während er Vance und Gibbs folgte. Sie hätten ihn immerhin auch gleich verhaften können…

 

36. Kapitel

Ein paar Tage später

 

NCIS-Hauptquartier – Tony´s Waterloo – Teil I

 

Tony saß an seinem Schreibtisch und versuchte, sich auf den neuen „alten“ Fall vor sich zu konzentrieren. Seine gesunde rechte Hand spielte fahrig mit einem Stift und er ertappte sich wiederholt dabei, dass er ohne Sinn und Verstand auf die Dokumente vor sich starrte, ohne den Inhalt, den er ja eigentlich lesen wollte, wirklich wahrzunehmen. Es machte ihn schier wahnsinnig, dass er – seitdem er Gibbs seine Erkenntnisse im Fall Sam Caulder präsentiert hatte – nichts mehr davon gehört hatte. Vom Verhör hatte man ihn ausgeschlossen, was ihn sehr erbost hatte, aber er hatte nichts dagegen machen können. Aber dass sein Boss sich seitdem komplett in Schweigen hüllte und alle seine Versuche, etwas über den Gesprächsverlauf zu erfahren, rigoros abblockte fand er nun doch ziemlich übertrieben. Es war schließlich sein Fall! Je länger Tony darüber nachdachte, desto wütender wurde er. Was zum Teufel sollte das? Das einzige, was er wusste, war, dass Sam Caulder nach dem Verhör nicht mehr an seinen Arbeitsplatz zurückgekehrt war. Das konnte allerdings mehrere Gründe haben: Verhaftung… das hoffte er. Vorläufige Suspendierung…war eher wahrscheinlich. Sam konnte Urlaub genommen haben…unwahrscheinlich. Tony konnte es drehen und wenden wie er wollte, er hatte keine Ahnung und seine Gedanken drehten sich nur im Kreis.

 

Gerade überlegte er, in den Waschraum zu gehen und eine Tablette zu schlucken. Danach würde es ihm sicher wieder besser gehen! Zumindest würde er ruhiger werden, denn er konnte das Zittern seiner Hände einmal mehr kaum verbergen. Just in dem Moment, als er sich auf den Weg machen wollte, läutete sein Telefon. Ärgerlich über die Störung hielt er inne und nahm den Hörer ab. „DiNozzo“ meldete er sich, als die Sekretärin des Directors ihm auch schon in kurzen Worten mitteilte, dass ihn Vance in seinem Büro erwartete.  

 

Tony vermutete, dass man ihn nun endlich zu dem Fall Caulder hinzuzog und er legte zufrieden vor sich hin nickend den Hörer wieder auf. Er griff nach seinem Jackett über der Stuhllehne und bemerkte Ziva´s fragenden Blick.

 

„Der Director will mich sprechen.“ Mehr sagte er nicht, bevor er seine Schultern straffte und sich auf den Weg machte.

 

Vance´s Sekretärin nickte ihm zu, als Zeichen, dass er direkt durchgehen konnte und er betrat Vance´s Büro mit der freudigen Erwartung, nun endlich für die Früchte seiner Arbeit gelobt zu werden. Doch ein Blick in das Gesicht seines obersten Bosses ließ ihn unsicher werden. Was war hier los? Hier stimmte doch etwas ganz und gar nicht! Er warf einen fragenden Seitenblick auf Gibbs, der mit vor der Brust verschränkten Armen etwas seitlich an der Wand lehnte und umgehend wurde Tony noch unruhiger, denn auch dessen Gesichtsausdruck verhieß nichts Gutes. Irgendetwas musste passiert sein. Hatte er evtl. etwas übersehen? Schnell ging Tony die Fakten noch einmal im Kopf durch. Nein! Er hatte alles zig Male überprüft. Caulder hatte Dreck am Stecken – und er hatte dies bewiesen. Trotzdem machte sich ein unangenehmes Gefühl in seinem Inneren breit und er beschloss auf der Hut zu sein.

 

Tony blieb vor dem Schreibtisch von Vance stehen und sagte nur: „Sir?“

 

„Agent DiNozzo, wie ich erfahren habe, gehen sie schon seit Weihnachten nicht mehr zu den Sitzungen bei Dr. Randolph. Ich würde gerne wissen, warum nicht!“ Vance bedachte ihn mit einem mehr als durchdringenden Blick.

 

Das kam für Tony nun wirklich überraschend – dass er ausgerechnet jetzt damit konfrontiert wurde, verunsicherte ihn noch mehr. „Ich … ich habe einfach keinen Draht zu ihm.“ Es war ihm sichtlich unangenehm, über seine Sitzungen bei dem Psychiater des NCIS zu sprechen. „Ich hatte zu keiner Zeit das Gefühl, dass er mir helfen könnte. Im Gegenteil – nach den Sitzungen bei ihm war ich …“ Er stockte kurz, bevor er weiter sprach. „…es ging mir danach meist schlechter als vorher. Das wollte ich mir nicht mehr antun.“ Dass er sich seit November regelmäßig mit Ducky traf und ihm diese Gespräche merklich gut taten, erwähnte er nicht. Das war im Augenblick noch seine Privatsache.

 

Der Direktor ließ sich jedoch nicht auf Tony´s Einwand ein. „Ich hätte befürwortet, dass Sie sich auf die Erfahrung eines renommierten Psychiaters mehr verlassen würden, als auf ihr Gefühl. – Nun – das zum einen!“ Es wurde deutlich klar, wie sehr dem Direktor Tony´s eigenmächtiges Verhalten missfiel und als er das verkniffene Gesicht seines Untergebenen bemerkte, setzte er noch hinzu: „Sie sollten sich nicht einbilden, dass das Thema damit vom Tisch ist. Was haben Sie erwartet? Dass ich das gutheiße?“

 

„Nein, aber ich dachte, dass es hier um das Ergebnis meiner Ermittlungen geht“, rutschte es Tony wütend heraus. „Ich halte das für weitaus wichtiger.“

 

 „Agent DiNozzo“, fiel Vance ihm ins Wort. „Sie haben recht. Das ist der zweite Punkt unserer Unterredung. Der Fall Sam Caulder. Agent Gibbs hat mir Ihren Bericht vorgelegt. Sie verdächtigen ihren Kollegen der Unterschlagung von Beweismaterial, genauer gesagt 6 kg Rauschgift? Ist das richtig?“

 

„Ja Sir, ich ... während meines Innendienstes sollte ich mich ja mit ungeklärten Fällen befassen und da sind mir Unstimmigkeiten aufgefallen. Also habe ich weiter nachgeforscht und konnte ihm letztlich den Diebstahl von 6 kg Heroin nachweisen“, antwortete Tony nicht ohne Stolz und blickte Gibbs und den Director abwechselnd an. Er verstand einfach nicht, warum das Klima hier im Raum so bedrohlich auf ihn wirkte. Er hatte doch gute Arbeit geleistet.

 

„Nun, wir haben Agent Caulder aufgrund Ihrer Anschuldigung zunächst verhört und vorläufig in Gewahrsam genommen…  –   aber mittlerweile ist er wieder auf freiem Fuß!“, ließ Vance endlich die Katze aus dem Sack und blickte Tony mit undefinierbarem Gesichtsausdruck an.

 

Tony glaubte im ersten Moment, nicht recht zu hören und sein schlechtes Gefühl verstärkte sich zusehends, während sein Chef fortfuhr: „Der Kollege hat sich einen Rechtsbeistand genommen und sein Anwalt hat ihn schlussendlich frei geboxt. Es ist nicht mal zu einer Anklage gekommen.“ Der Direktor des NCIS reichte Tony ein Dokument über den Tisch, das dieser etwas zögerlich in die Hand nahm und mit einem Riesenkloß im Hals zu lesen begann.

 

Sein Herz krampfte sich mehr und mehr schmerzhaft zusammen und als er auf eine beigefügte Kopie des Laufzettels starrte, glaubte er seinen Augen nicht trauen zu können. Dort, wo seine Unterschrift sein müsste, war  …   nichts! Aber – das konnte doch nicht sein! Fieberhaft überlegte er …  Er hatte doch alles herausgefunden! Es war alles hieb- und stichfest gewesen! Er hatte die Tasche mit dem Heroin zu Abby gebracht und später wieder dort abgeholt. Er hatte doch unterschrieben … Doch wieso stand dann dort auf dem Papier nichts? Abby hatte unterschrieben und damit war Schluss!

 

Verwirrt hob Tony den Kopf: „Aber … ich habe unterschrieben … das kann nicht sein …“ Immer wieder schüttelte er fassungslos den Kopf. Sollte er tatsächlich vergessen haben, zu unterschreiben? – Nein, das war doch unmöglich – oder spielte ihm seine Erinnerung da einen bösen Streich? War er womöglich unkonzentriert gewesen, weil die Wirkung seiner Tabletten nachgelassen hatte? Er erinnerte sich, dass er direkt aus Abby´s Labor in den Waschraum gestürmt war, weil er so fahrig gewesen war. Wann war das gewesen? Als er ihr die Tasche gebracht, oder als er sie abgeholt hatte? Verdammt! Er wusste gerade gar nichts mehr.

 

„Es ist aber keine Unterschrift da!“, antwortete Vance knallhart. „Das Dokument wurde genauestens untersucht. Da  ist nichts wegretuschiert worden; es war nie eine Unterschrift da, Agent DiNozzo! Haben Sie vielleicht eine schlüssige Erklärung dafür?“

 

„Nein, aber ich…ich bin mir sicher, dass…“

 

„Das ist zu wenig und das wissen Sie sehr gut. Alle DNA-Beweise und die Fingerabdrücke, die Miss Sciuto sichern konnte, sind somit wertlos. Genau genommen, sind jetzt sogar Sie verdächtig, das Heroin unterschlagen zu haben. Es wird diesbezüglich eine Untersuchung geben. In diesem Zusammenhang habe ich angeordnet, dass Sie sich einem Drogentest unterziehen müssen. Den Termin hierfür wird man Ihnen kurzfristig  mitteilen.“

 

Ruckartig hob Tony seinen Kopf. ‚Drogentest‘, hämmerte es in ihm. `Nicht das auch noch!´ Woher konnte Vance wissen, dass …? Wenn er tatsächlich getestet wurde, war er geliefert! Wie durch einen Nebelschleier nahm er wahr, wie Vance weiter sprach.

 

„Agent DiNozzo. Es bleibt mir nichts anderes übrig. Sie sind mit sofortiger Wirkung vom Dienst suspendiert! Diese Angelegenheit muss zunächst geklärt werden. Geben Sie Agent Gibbs ihre Marke und ihre Waffe!“ Ohne eine erkennbare Gefühlsregung sprach der Direktor diese Worte aus.

 

Wie vor den Kopf geschlagen, blickte Tony hilfesuchend zu Gibbs. Warum sagte sein Boss nichts? Warum kam er ihm nicht zu Hilfe? Er verstand die Welt nicht mehr.

 

Gibbs stand immer noch, anscheinend ungerührt von den Geschehnissen, die gerade Tony´s Universum zusammenbrechen ließen, mit dem Rücken an die Wand von Vance´s Büro gelehnt und hüllte sich wie so oft in Schweigen. Selten hatte sich der Grauhaarige so schlecht gefühlt wie in diesem Augenblick, doch äußerlich merkte man ihm nichts davon an. Obwohl er mit Vance eine üble Diskussion geführt und alles in die Waagschale geworfen hatte, was er als Chefermittler und Tony´s Boss zu bieten hatte, hatte er schlussendlich die Suspendierung seines Schützlings nicht verhindern können. Das bedeutete jetzt eben auch, dass er ihn von nun an nicht mehr im Hauptquartier vor Rebekka schützen konnte. Es kam einfach alles zusammen. Jetzt musste er es ihm sagen, um ihn nicht völlig ahnungslos gehen zu lassen. Er konnte sich lebhaft vorstellen, wie Tony darauf reagieren würde, doch es nützte nichts. Langsam hob Gibbs den Kopf und blickte in die weit aufgerissenen, Hilfe suchenden Augen seinen langjährigen Agenten, der in diesem Augenblick sicher seine ganze Hoffnung auf Unterstützung in ihn setzte. Die Angst, Verwirrung und Hilflosigkeit, die er in diesem Blick lesen konnte, bereitete Jethro fast körperliche Schmerzen. 

 

„Tony“, begann er, nach den richtigen Worten suchend. „Wegen der Suspendierung kann ich dir nicht helfen … So wie es derzeit aussieht, hast du es verbockt. Falls nicht, wird sich das sicher später klären lassen – du kannst sicher sein, dass wir alle tun was wir können, um deine Unschuld zu beweisen.“ Damit wollte er seinem Ziehsohn wenigstens signalisieren, dass er ihm glaubte – auch wenn die Tatsachen derzeit auf etwas anderes hindeuteten. „Da…da ist noch etwas. Ich weiß nicht, wie ich es dir sagen soll…aber es lässt sich jetzt nicht mehr umgehen, dass du es erfährst… Es geht um Rebekka. Sie ist nicht tot! Sie ist wieder da, hier in DC und vermutlich ist sie bereits auf der Jagd nach dir. Bisher konnten wir dich hier im Headquarter schützen, aber jetzt…“ Gibbs ließ das Ende des Satzes offen – es war auch so klar geworden, was er meinte und er atmete einmal tief durch. Nun war es raus und er wartete nervös auf Tony´s Reaktion. Doch wenn er erwartet hatte, dass sein Agent nun zusammenbrechen würde, hatte er sich geirrt.

 

Der Schock der Suspendierung saß bei Tony so tief, dass diese zweite Hiobsbotschaft äußerlich scheinbar völlig an ihm abprallte. Wie paralysiert stand er vor dem Schreibtisch des Direktors und starrte seine beiden Vorgesetzten abwechselnd regungslos an, während die Gedanken in seinem Kopf Purzelbäume schlugen. Rebekka wieder da! Drogentest! Rebekka wieder da! Unter Verdacht! Rebekka wieder da!!! Schließlich fragte er tonlos in den Raum hinein: „Seit wann weißt du das?“

 

„Tony…ich…wir…nein, ich wollte es dir vorläufig lieber noch nicht sagen, weil du diese Tage, in denen du von ihr gefoltert wurdest, offensichtlich noch nicht verarbeitet hast. Ich dachte, dass …“

 

„Du dachtest WAS?“, schnitt Tony Gibbs rigoros das Wort ab. „Dass dieser Schwächling von DiNozzo nicht damit klarkommt, dass eine völlig durchgeknallte Psychopatin ihm wieder nach dem Leben trachtet!? Nicht wahr, dass ist es doch, was du dachtest?“ Seine Stimme war lauter und lauter geworden und er blitzte seinen Boss jetzt wütend an.

 

„Nein, aber ich…“

 

„Verflucht, Gibbs. Das ist MEIN Leben, verstehst du? MICH will sie umbringen! Meinst du nicht, da hätte ich ein Recht darauf gehabt, es zu wissen, dass dieses Weib nicht tot ist?!“

 

„Im Nachhinein betrachtet vielleicht schon, aber…“

 

„Im Nachhinein???“ Tony lachte bitter auf und unterdrückte nur mit Mühe den plötzlichen Impuls, sich etwas – egal was - vom Schreibtisch des Direktors zu greifen, um es an die Wand zu pfeffern. Außerdem ging ihm die Haltung von Vance, der sich in seinem Stuhl zurückgelehnt hatte, und der Diskussion mit stoischem Interesse folgte, mächtig gegen den Strich. Aber was hatte er schon von einem zu erwarten, der ihn gerade eben noch ohne mit der Wimper zu zucken, suspendiert hatte und damit all die Jahre harter Arbeit für diese Behörde Lügen strafte. Er fuhr sich mit beiden Händen durch die Haare und über das Gesicht und versuchte, sich zu beruhigen. Plötzlich jedoch kristallisierte sich ein Gedanke in seinem Gehirn heraus und seine Wut schwappte wieder hoch, während er Gibbs fixierte: „Du hast `Wir´ gesagt? Wusste Ziva davon? Und McGee?“

 

Diese Vorstellung war beinahe unerträglich für ihn. Doch der Blick, den Jethro ihm zuwarf, sagte ihm mehr als genug. Unendliche Bitterkeit stieg in ihm auf. Jetzt hatte er den endgültigen Beweis, dass sie ihn nicht mehr ernst nahmen. Für seine Freunde war er kein vollwertiges Mitglied des Teams mehr; eher eine Belastung, jemand, den man beschützen, verhätscheln musste, jemand der nur noch mehr Arbeit und Risiko bedeutete…Ja, für seine Freunde – für die Personen, die er in den letzten Jahren stets als seine wahre Familie betrachtet hatte – war er, Tony DiNozzo, lediglich zu einem „Fall“ mutiert.

 

Todernst sah er seinem Boss, seinem Mentor in die Augen: „Gut, dass wenigstens das jetzt geklärt ist.  Ich …ach, vergiss es!“ Verzweifelt brach er ab, dann drehte er sich wie betäubt um und verließ das Büro des Direktors. An seinem Schreibtisch angekommen, riss er die Schublade auf, nahm seine Waffe und seine Dienstmarke heraus, lief die wenigen Schritte hinüber zu Gibbs´ Schreibtisch und warf die die beiden Gegenstände nach einem kurzen Zögern einfach hin. Die Marke kullerte über die Unterlage und fiel schließlich klirrend zu Boden, was Tony ein Geräusch entlockte, dass sowohl ein Lachen, als auch ein Schluchzen sein konnte. Als er sich brüsk umwandte, stand Gibbs wie aus dem Boden gewachsen vor ihm und er duckte sich instinktiv, als erwartete er wie so oft eine Kopfnuss für seine Ungehörigkeit. Doch der Moment war sofort wieder vorbei. Er richtete sich auf und stand seinem ehemaligen Boss nun wieder kerzengerade gegenüber.

 

 „DiNozzo...bitte…hör mir zu“ setzte Jethro an, aber Tony hob abwehrend beide Hände, schüttelte nur stumm den Kopf und sah ihn mit feucht glänzenden Augen an. Dann drückte er sich schnell an ihm vorbei und verließ fast fluchtartig das Großraumbüro.

 

37. Kapitel

NCIS-Hauptquartier – Tony´s Waterloo – Teil II

 

Ziva, die verständnislos dieser kurzen Szene zugesehen hatte, war aufgesprungen und ihrem Freund in Richtung Aufzug gefolgt. Sie kam gerade noch rechtzeitig, um zu sehen, wie Tony sich im Inneren der Kabine mit seiner gesunden Hand abstützte und frustriert den Kopf an die Wand lehnte. Als er Ziva bemerkte, die offensichtlich zu ihm wollte, drückte er schnell von innen den Knopf, der die Türen dazu veranlasste, sich direkt zu schließen – unmittelbar, bevor sie eine Chance dazu hatte, ihm in die Kabine zu folgen. Er wollte in diesem Moment nur allein sein. Die Israelin fuhr herum und rannte förmlich zurück zu den Schreibtischen, wo sie sich wie ein Racheengel vor dem Chefermittler aufbaute. „Gibbs – was ist los?“, verlangte sie erregt zu wissen. „Was ist da oben passiert?“ 

 

„Tony ist  -  suspendiert worden, er hat  … anscheinend hat er Mist gebaut.“ Langsam griff er nach Tony´s Waffe, hob die Dienstmarke vom Boden auf und legte beides schweren Herzens in seine Schublade.

 

Ziva starrte den Chefermittler mit großen Augen an: „Aber wieso …?“, brachte sie nur hervor, als Gibbs sie schon im Ansatz unterbrach: „Geh´ ihm nach, er braucht jetzt deine Hilfe.“

 

Nachdem sie ihren Chef noch einige Sekunden lang angesehen hatte, nickte Ziva und hetzte in Richtung Treppenhaus um Tony nachzulaufen. Auf den Aufzug wollte sie sich jetzt lieber nicht verlassen.

 

McGee hatte wortlos mit offenem Mund zugehört und im ersten Moment gehofft, er hätte sich verhört, aber der beinahe tödliche Gesichtsausdruck von Gibbs beraubte ihn sofort dieser Hoffnung und erschüttert wandte er sich wieder seiner Arbeit am Computer zu, doch konzentrieren konnte er sich nicht. Zu gerne hätte er mehr erfahren, doch zu diesem Zeitpunkt wagte er es nicht, seinen Boss um weitere Aufklärung zu bitten.

 

*********

 

Kaum hatten sich die Türen des Aufzugs geöffnet, hetzte Tony auch schon mit langen Schritten durch die Tiefgarage zu seinem Auto. Doch anstatt direkt einzusteigen lehnte er sich dagegen und schloss für einen Moment verzweifelt die Augen. Er war suspendiert, sein Job, den er so liebte – einfach weg! Was sollte er jetzt tun? Er war mit Leib und Seele dabei gewesen… Gewesen! Genau, denn das war jetzt vorbei! Mit einem wütenden Aufschrei hieb er unbeherrscht seine Faust auf das Dach seines Wagens und es war ihm in diesem Moment sogar egal, wenn er eine Beule hineingeschlagen hätte.

 

In dem Moment stürmte Ziva in die Tiefgarage und lief auf Tony zu. Sie blieb neben ihm stehen und legte zaghaft ihre Hand auf seinen Arm. „Was ist passiert?“, fragte sie leise und behutsam, doch Tony reagierte aufbrausend und schüttelte ihre Hand brüsk ab. Er fühlte sich von ihr genauso hintergangen wie von Gibbs und allen anderen und das zeigte er seiner Verlobten jetzt auch.

 

„Was passiert ist!? Ich bin draußen – das ist passiert!“ Ruckartig drehte er sich um und trat unbeherrscht gegen eine Betonsäule. Den Schmerz, der daraufhin seinen Fuß durchzuckte, ignorierte er gekonnt. „Ich hab´ Mist gebaut, okay? Offensichtlich hab´ ich vergessen, zu unterschreiben, als ich die Beweise von Abby geholt habe – na ja, und jetzt ist unser sauberer Herr Kollege, den ich, wie du ja weißt, überführt hatte, wieder freigekommen!“

 

Entsetzt hatte Ziva diese Worte vernommen, verdammt, wenn das wirklich stimmte, dann saß Tony ganz schön in der Tinte. Aber ihr fiel nichts anderes ein, als zu sagen: „Das wird schon wieder; abwarten und Kaffee trinken“.

 

Doch diese, eigentlich gut gemeinte, Aussage, brachte bei Tony das Fass zum überlaufen. „WAS!!? – Was sagst du da??? Abwarten und  … KAFFEE trinken?“ Er unterließ es, sie auf den falschen Ausdruck hinzuweisen, dieses Wort 'abwarten' löste bei ihm einen weiteren Wutanfall aus. „Ich bin SUSPENDIERT! Was daran hast du nicht verstanden? Ich bin meine Marke los! Vielleicht freundest du dich ja schon mal damit an, zukünftig einen Nachtwächter als Mann zu haben. Falls  ich überhaupt noch mal einen Job finde. Aber ich nicht! Ich kann und ich werde mich nicht damit anfreunden!“ Die letzten Worte hatte er geschrien. Die Verzweiflung ließ ihn langsam durchdrehen. „Selbst wenn es Vance und Gibbs ein Fest war, mich auf diese Art und Weise loszuwerden“, schickte er nicht ganz wahrheitsgetreu hinterher.

 

Nach und nach verlor auch Ziva die Beherrschung. „Wenn du nicht so viel trinken und nicht andauernd diese Tabletten schlucken würdest, dann könntest du dich vielleicht besser konzentrieren. Dann wäre das alles vielleicht gar nicht erst passiert! Reiß´ dich endlich zusammen, verdammt noch mal!“

 

Der Vorwurf, den Ziva das erst Mal laut ausgesprochen hatte, traf Tony in seiner derzeitigen Situation wie ein Schlag ins Gesicht. Was hatte er eigentlich erwartet?  - Wohl dass seine Freundin  rückhaltlos zu ihm stand! War das denn zu viel verlangt? Bestimmt aber hatte er nicht erwartet, dass sie ihm zusätzlich auch noch Vorwürfe machen würde. Verstand sie denn nicht, wie es ihm wirklich ging? Wie es in ihm aussah? Er hatte gerade alles verloren! Da ging es nicht mehr darum, sich zusammenzureißen! Bei Gott, er hatte doch versucht, sich zusammenzureißen, aber diese zwei Tage in der Gewalt von Rebekka ließen ihn einfach nicht mehr los, egal was er auch anstellte. Und jetzt war dieses Monster wieder da…anscheinend sogar schon länger. Und niemand hatte es für nötig befunden, ihn zu informieren. Alle hielten sie ihn für zu schwach und vielleicht war er das ja auch. Es sah ganz danach aus, nicht wahr? Immerhin hatte er zum ersten Mal in seinem Leben beruflich so sehr versagt, dass ein Verbrecher auf freiem Fuß bleiben konnte. Aber das war alleine sein Problem! Er musste damit fertig werden. Niemand hatte das Recht, so über seinen Kopf hinweg zu bestimmen. Die mühsam erarbeitete Vertrautheit, die Ziva und er nach ihrem letzten Streit vor Weihnachten so vorsichtig und sorgsam wieder aufgebaut hatten… Alles zerbrach in diesem Moment wie ein Kartenhaus. Sein Leben war ein Trümmerhaufen, aber er wollte wenigstens darauf bestehen, dass es SEIN Trümmerhaufen war.

 

„Woher weißt du von den Tabletten?“, fragte er dennoch. Die Tatsache, dass Ziva davon wusste, war ihm nicht bewusst gewesen – wie anscheinend so vieles in der letzten Zeit.

 

„Das ist doch jetzt egal“, kam die Antwort seiner Freundin. „Tony, wir müssen…“

 

„WIR müssen gar nichts mehr, Ziva. Es gibt kein „WIR“ mehr, das hat mir dieser heutige Tag ganz deutlich gezeigt.  Ich werde dir auf jeden Fall mit meinen Unzulänglichkeiten nicht mehr länger auf die Nerven gehen. Ich zieh´ in ein Hotel!“ Nach den lautstarken Worten im Vorfeld hatte er diese Aussage fast geflüstert. 

 

„Jetzt führ´ dich doch nicht auf wie ein bockiges Kind!“, schrie Ziva, der bei seinen Worten Angst und Bange geworden war,  ihn an. „Du bist ein erwachsener Mann! Stell´ dich endlich den Tatsachen und mach´ das Beste daraus.“

 

Tony lachte freudlos auf: „Das Beste daraus machen? – Wahrscheinlich könntest du mir auch auf der Stelle verraten, wie DU die Probleme angehen würdest, Miss Patentlösung! Aber weißt du was – ich verzichte darauf! -  Ich habe gedacht, wenigstens du würdest zu mir stehen, aber anscheinend habe ich mich in dir getäuscht. Genauso wie in Gibbs. Von ihm hätte ich auch erwartet, dass er mir hilft, aber was denkst du, was er getan hat, als Vance mir kaltlächelnd ins Gesicht gesagt hat, dass er mich rausschmeißt? NA?“ Schwer atmend stand Tony vor Ziva und schleuderte ihr seine Frage ins Gesicht. Eine Chance zum Antworten gab er ihr gar nicht erst. „Ich werde es dir sagen: Nichts!!! Er hat absolut Nichts getan!“ Tony hatte sich in Rage geredet und in hilfloser Wut die Fäuste geballt. Zornig funkelte er Ziva an. „Aber stell dir vor: Vielleicht macht es mir ja gar nichts mehr aus. Ich war schließlich fast mein ganzes Leben lang allein, dann werde ich diesen Mist hier eben auch allein durchstehen.“ Er riss die Tür zu seinem Auto so heftig auf, dass Ziva beiseite springen musste, hechtete hinein und knallte schwungvoll die Tür hinter sich zu.

 

Wie vor den Kopf gestoßen, stand Ziva neben dem Wagen, als Tony den Wagen startete. Sie versuchte, die Fahrertür zu öffnen, als ihr Freund auch schon mit quietschenden Reifen zurücksetzte und ihr auf diese Art den Türgriff förmlich aus der Hand riss. „TONY!“ schrie sie laut „Sei doch vernünftig, so lass mich doch...“ Weiter kam sie nicht, denn mit aufheulendem Motor fuhr DiNozzo in diesem Moment davon, während sie durch die Windschutzscheibe einen letzten Blick auf sein Gesicht werfen konnte, als er an ihr vorbeirauschte. Sein Ausdruck traf sie bis ins Mark. Soviel Verachtung und Verzweiflung war darin zu lesen und dass er sie im Moment des Vorbeifahrens nicht einmal eines Blickes würdigte, gab ihr den Rest.

 

Mit hängenden Schultern und Tränen in den Augen sah Ziva dem Wagen nach, bevor sie sich deprimiert zurück auf den Weg ins Büro machte. Das war alles andere als gut gelaufen. Jetzt musste sie unbedingt mit Gibbs reden. Wer wusste schon, was Tony in seiner derzeitigen Verfassung wieder anstellen würde. Und wenn er seine Drohung tatsächlich wahr machte und ins Hotel zog…wie um alles in der Welt sollte sie Tony denn jetzt noch weiter beschützen...?

 

38. Kapitel

Schmerzhafter Entschluss

 

Wie ein Verrückter war Tony nach seinem großen persönlichen Fiasko zu der gemeinsamen Wohnung gerast. Mehr als einmal hatte er dabei unterwegs großes Glück gehabt, dass er keinen Unfall gebaut hatte. Das hätte gerade noch gefehlt, denn im Grunde durfte er mit seiner verletzten Hand ja immer noch nicht selber fahren. Doch in seinem Zustand war ihm das alles völlig egal gewesen.

 

Jetzt saß er daheim auf der Couch, hatte seine Ellbogen auf die Knie abgestützt und sein Gesicht in die Hände vergraben. Er hatte seinen Job verloren und so wie es aussah, auch noch Ziva. Sein ganzes Leben ging den Bach runter. Rebekka tauchte wieder vor seinem inneren Auge auf, wie so oft in letzter Zeit. Es kam ihm so vor, als hätte er unbewusst die ganze Zeit über gewusst, dass sie nicht tot war. Sie lächelte ihn eiskalt an und machte ihm klar, dass sie es also doch noch geschafft hatte, sein Leben zu zerstören, selbst wenn sie dieses Mal nicht seiner Gesundheit geschadet hatte. Noch nicht!

 

„Verflucht!“ schrie er auf und schleuderte die Glasschale, die vor ihm auf dem Tisch stand, mit solch zerstörerischer Wucht an die Wand, dass sich die Scherben und ihre Fragmente im ganzen Wohnzimmer wie ein feiner Regen verteilten. Die in der Schale befindlichen Äpfel kullerten in alle Himmelsrichtungen davon. Alleine die Vorstellung, dass Ziva ihm womöglich hinterherkam und ihn wieder – wie die ganzen letzten Wochen – wie ein kleines, unmündiges Kind behandelte, brachte ihn erneut zur Raserei. Er stürzte ins Schlafzimmer, riss einen Koffer aus dem Schrank und stopfte ihn mit so viel Kleidung voll, wie gerade eben hineinpasste. Er wollte ihn schon schließen, als sein Blick auf das Foto von Ziva und ihm fiel, das in einem hübschen Bilderrahmen auf seinem Nachttisch stand. Langsam griff er danach und betrachtete es wehmütig, bis das Bild vor seinen Augen verschwamm. Genervt wischte er sich mit der Hand übers Gesicht. Es war vorbei! Da führte kein Weg dran vorbei. Trotzdem…er konnte nicht anders und legte den Rahmen sorgsam zwischen seine Kleidung, bevor er den Koffer endgültig schloss. Beinahe unnatürlich ruhig ging er danach zurück ins Wohnzimmer, holte aus dem Schreibtisch noch seine Papiere und etwas Bargeld, dann trat er zur Tür. Er blickte sich noch einmal kurz um, als wollte er dieses Bild mit der Erinnerung an glücklichere Zeiten ein für alle Mal in sein Gedächtnis einbrennen. Zweifel machten sich plötzlich wieder in seinem Inneren breit. Wollte er das wirklich alles aufgeben? Andererseits…würde er jemals wieder in einen Spiegel blicken können, wenn er das jetzt nicht durchzog? Nein, es musste sein – er musste diesen Schritt jetzt gehen, selbst wenn er nicht wusste, wohin ihn sein Entschluss führte. Tony griff nach seinem Koffer, schloss die Tür hinter sich und ging weg.

 

 

Alles vorbei?    

 

Sofort nachdem Ziva im Büro kurz mit Gibbs gesprochen hatte, war sie nach Hause gefahren, in der Hoffnung, dass sie Tony in ihrer Wohnung vorfinden würde. Es wäre ihr in dem Moment auch egal gewesen, wenn er inzwischen die Flasche Whisky geleert hätte, die im Barfach stand. Aber es war totenstill, als sie das Wohnzimmer betrat. Zögernd und zutiefst enttäuscht bewegte sie sich langsam vorwärts in den Raum hinein. Etwas zerbrach leise knirschend unter ihrer Schuhsohle und verwundert blickte sie zu Boden. Glasscherben und Äpfel waren auf dem ganzen Boden verteilt, doch Tony war nirgends zu sehen. Da aber die Obstschale am Morgen noch völlig intakt gewesen war, konnte sie sich wohl sicher sein, dass Tony daheim gewesen war. Doch es schien, als wäre er bereits wieder weg. Vorsichtig ging Ziva weiter bis zur Küche und danach ins Schlafzimmer. Dort  bemerkte sie sofort die geöffneten Schranktüren. Der Koffer, der immer in der Ecke gestanden hatte, fehlte ebenso, wie ein Teil seiner Kleidung. Es war unverkennbar: Sie war zu spät gekommen! Eine schwere Last schien sich zentnerschwer auf ihre Brust zu legen. Langsam ließ sich die junge Frau auf ihr Bett sinken und betrachtete niedergeschlagen die leeren Kleiderbügel in Schrank. Er hatte seine Drohung also tatsächlich wahr gemacht und war gegangen. Einfach so! Wo war ihr Glück geblieben, von dem sie noch vor wenigen Wochen geglaubt hatte, es würde ewig währen? Tony war fort und sie blieb allein zurück. Wieder einmal. Ihr Herz tat ihr so entsetzlich weh. Voller Schmerz ließ sie sich nach hinten auf die Matratze fallen und ließ ihren Tränen freien Lauf. 

 

 

In Abby´s Labor - „Warum hast du ihm nicht geholfen“

 

Währenddessen war Tim mit einem flauen Gefühl im Magen zu Abby ins Labor gegangen, um ihr die neuesten üblen Nachrichten mitzuteilen. Sie war gerade damit beschäftigt, ein paar Proben aus ihrem Massenspektrometer zu nehmen, als McGee langsam neben sie trat. Wirkliche Lust hatte er nicht auf die Unterredung, die er gleich führen musste, aber einer musste es ja tun. Nicht auszudenken, wenn Abby die News womöglich von Dritten erfuhr…

 

„Hi, Timmy, was führt dich zu mir?“, erkundigte sich die Laborgoth leichthin, mit einem kurzen Seitenblick auf McGee, aber sowie sie seinen leicht verkniffenen Gesichtsausdruck wahrgenommen hatte, konzentrierte sie umgehend ihre volle Aufmerksamkeit auf den Freund und blickte ihm angstvoll in die Augen: „Was ist passiert?“

 

McGee trat auf der Suche nach den passenden Worten nervös von einem Bein auf das andere, bis Abby ihn anherrschte: „Rede endlich, McGee!“.

 

„Tony... Direktor Vance hat Tony suspendiert.“ Jetzt war es raus und Tim atmete erleichtert auf, bevor er erneut zusammenzuckte, als Abby empört aufschrie.

 

„WAS? Warum hat er Tony entlassen? Das kann er doch nicht machen! Was zum Teufel hat er nur gegen unser Team? Hört das denn nie auf! Am liebsten würde ich diesem eingebildeten Schnösel gleich in seinen distinguierten Arsch treten. Nun rede schon endlich, Tim!“, fauchte sie, ohne darüber nachzudenken, dass sie dem MIT-Absolventen dazu kaum eine Chance ließ. „Lass dir doch nicht jedes Wort aus der Nase ziehen!“ Während sie wütend vor sich hin fluchte, tigerte sie in ihrem Labor auf und ab und gestikulierte wild mit den Armen in der Luft herum.

 

McGee hatte sich erschrocken umgeblickt, als die Freundin ihre Tiraden gegen Direktor Vance losgelassen hatte. Das fehlte noch, dass der Direktor jetzt hier auftauchen würde; dann hätten sie an diesem Tag vermutlich zwei Suspendierungen zu verzeichnen. „ABBY! Beruhige dich, das nützt doch nichts, wenn du dich hier um Kopf und Kragen redest!“ Er stellte sich ihr mutig in den Weg und zog sie einfach in seine Arme, was sie überraschenderweise widerstandslos hinnahm. „Und genau genommen ist Tony ja nicht entlassen, sondern nur vorläufig suspendiert“, korrigierte er dann mit sanfter Stimme neben Abby´s Ohr.

 

„Als ob das einen Unterschied macht…Was ist passiert, Tim?“ flüsterte sie mit tränenerstickter Stimme und McGee erzählte ihr die ganze Tragödie. Ganz zum Schluss musste der MIT-Absolvent ihr dann noch die schlimmste Neuigkeit

gestehen: „Ähmm…da ist noch was… Rebekka  – sie ist wieder aufgetaucht!“

 

„Wie? Was bedeutet „wieder aufgetaucht“? Sag mir, dass es lediglich zu bedeuten hat, dass man ihre Leiche endlich aus dem Potomac geborgen hat“, forderte Abby energisch und blickte unter tränennassen Wimpern zu Tim auf, der daraufhin nur traurig den Kopf schütteln konnte.

 

Vehement  befreite Abby sich wieder aus seiner schützenden Umarmung. „Das, das kann nicht sein!“ Entsetzt blickte Abby Tim an. „Sag nicht, dass sie Tony jetzt wieder jagt – und Vance schmeißt ihn ausgerechnet jetzt  raus??? Gott, was ist das bloß für ein Mensch!? –  Tony ist schon zehn Jahre Agent und er ist einer der besten. Er hat noch nie so einen Fehler gemacht. – Gut, ja, natürlich hat er schon mal einen Fehler gemacht, aber doch keinen solchen. He, vielleicht hab´ ich es ja verbockt. – Jeder Mensch macht doch mal einen Fehler, auch Vance! Und er soll mir ja nicht erzählen, dass das nicht stimmt! Sogar Gibbs hat schon mal einen Fehler gemacht. Warum wird mein Tiger dann gleich suspendiert???  Das ist doch mehr als ungerecht – das grenzt meines Erachtens schon an Mobbing! – Und überhaupt, wieso hat Gibbs ihm nicht geholfen? Er würde Tony doch nicht…“ Im selben Moment hielt sie inne und fuhr auf dem Absatz herum. Unbemerkt, wie immer, war Jethro ins Labor getreten und stumm hinter der quirligen Gothbraut mit den Rattenschwänzen stehengeblieben. Umgehend baute Abby sich vor ihm zu ihrer vollen Größe auf.

 

„Warum, Gibbs? Warum hast du ihm nicht geholfen?“ Sie sah dem grauhaarigen Chefermittler mit so viel Schmerz in die Augen, dass dieser einen schmerzhaften Stich in der Brust fühlte. „Los, sag schon!“

 

„Abbs ... Vance war im Recht. – Tony hat einen Fehler gemacht – einen sehr schwerwiegenden Fehler – und Caulder ist aufgrund dieses Fehlers wieder auf freien Fuß gekommen.“ Er spie den Namen förmlich aus, denn obwohl ihn jegliches Verbrechen wütend machte – wenn einer aus ihren eigenen Reihen straffällig wurde, brachte ihn das immer regelrecht zur Weißglut. „Für seine Fehler muss man einstehen – auch Tony! – Komm, jetzt beruhige dich erst einmal, vielleicht ...“ Gibbs hatte Abby einen Cafpow entgegengehalten, als er von ihr rigoros unterbrochen wurde.

 

„GIBBS! Was zum Teufel redest du denn da? Ich soll mich …BERUHIGEN? Meinst du das im Ernst?“ Abby wollte nicht glauben, was sie da eben gehört hatte. Gedanken an Gibbs, Mexiko, Hernandes und seine Kinder schossen ihr durch den Kopf. – Fehler? Wie konnte ausgerechnet Gibbs so daherreden? – Langsam schüttelte sie fassungslos den Kopf über so viel Ignoranz und im nächsten Moment riss sie dem grauhaarigen Chefermittler den Becher Cafpow aus der Hand und schleuderte ihn wutentbrannt zwischen sich und Gibbs auf den Boden, so dass die rote Flüssigkeit meterweit durch das Labor spritzte. Sie selbst, ihr Boss und auch McGee, der entsetzt die Augen aufgerissen hatte, wurden über und über mit der klebrigen Flüssigkeit benetzt. Danach drehte sie sich um und setzte sich in Richtung CD-Player in Bewegung. „Raus aus meinem Labor“, sagte sie dabei tonlos, ohne stehenzubleiben.

 

Jethros Herz krampfte sich unwillkürlich zusammen. Diese Verzweiflung, den Schmerz und die Wut in den Augen seines Lieblings sehen zu müssen, tat ihm körperlich weh – und ihre Forderung schmerzte fast noch mehr. „Abby – nun hör´ mir doch mal zu, ich...“

 

“RAUS!!! – AUS!!! – MEINEM!!! – LABOR!!!“, schrie sie daraufhin, jede Silbe einzeln betonend und unmittelbar darauf drückte sie die Playtaste an ihrem CD-Player und drehte die Lautstärke bis zum Anschlag voll auf. Noch immer drehte sie Gibbs und auch McGee den Rücken zu. „BEIDE!!!“

 

Ohne ein weiteres Wort wandte sich der Chefermittler um und ging mit schweren Schritten zum Auto. Tim folgte ihm, ratlos und verzweifelt. Nicht zum ersten Male fragte er sich, wo das wohl noch alles hinführen mochte…

 

39. Kapitel

Sturz ins Bodenlose

 

Nach dem Verlassen der Wohnung war Tony einige Zeit nur ziellos durch die Straßen gefahren, bis unvermittelt die Neonreklame einer rund um die Uhr geöffneten Bar übergroß am Straßenrand auftauchte. Er reagierte ohne groß nachzudenken, trat kurz und hart auf die Bremse und ohne den Blinker zu setzten, bog er mit quietschenden Reifen in den Parkplatz ein, was ihm einige böse Flüche und unmissverständliche Handzeichen von erschrockenen Autofahrern hinter ihm einbrachte. Er stellte den Wagen ab und ging mit festen Schritten auf die Bar zu. Vor dem Eingang blieb er kurz stehen und schien zu überlegen, doch der Teufel in ihm war stärker und er schüttelte den Kopf, so als wolle er die unliebsamen Zweifel loswerden, die ihn plötzlich befallen hatten. Entschlossen drückte er gegen die Tür, betrat die Bar und blickte sich um. Um diese Tageszeit befanden sich nur wenige Gäste in dem halbdunklen Raum, aber jeder von Ihnen hielt sich an einem Glas fest und bekämpfte stumm seine eigenen Dämonen. Nicht einer von ihnen schien sich für seine Anwesenheit zu interessieren, was ihm durchaus entgegenkam und so schlenderte er langsam in Richtung Theke. Noch könnte er umdrehen…noch… Doch wozu sollte er das tun – es interessierte sich ja doch niemand für das, was er tat, also war es im Grunde egal, wenn er sich hier volllaufen ließ. Und ansonsten gab es für ihn ja nichts mehr zu tun. Von jetzt auf gleich war er nutzlos geworden.

Zutiefst deprimiert setzte Tony sich auf einen freien Barhocker und machte den feisten Barkeeper, der anscheinend fest entschlossen war, ihn zu ignorieren, auf sich aufmerksam. „Hey Mann, einen doppelten Whisky“, bestellte er. Das erste Glas, das vor ihm auf den leicht speckigen Holztresen geknallt wurde, kippte er in einem Zug hinunter und nur wenige Minuten darauf hatte er auch das zweite Glas bereits geleert. Abwartend blickte er den vierschrötigen Mann hinter der Theke daraufhin an, während er das leere Glas mit einer eindeutigen Geste nach vorn schob.

„Soll´s noch einer sein?“ fragte der lustlos und Tony nickte wortlos.

**********

Eineinhalb Stunden später hatte er bereits sieben oder acht doppelte Whisky gekippt und starrte mit gläsernem Blick betrunken in sein leeres Glas. „Noch einen“, brummte er undeutlich vor sich hin und der Mann hinter der Theke fragte skeptisch: „Bist du sicher, dass du den noch verträgst?“

„Was ist das hier? ´Ne Bar oder ´ne Seelenklempnerei“, lallte Tony wütend und schwer verständlich und klatschte mit der flachen Hand auf die Theke, woraufhin ihm der Barkeeper schulterzuckend ein weiteres Glas einschenkte. Er machte sich schon seit einer Weile nicht mehr die Mühe, die leeren Gläser gegen saubere auszutauschen und dieses Mal ließ er die Whiskyflasche mit den Worten „Mach´ doch was du willst“, gleich auf der Theke stehen.

„I..ich brauch´ keinen verdammten Thera…Therapeuten“, schnauzte Tony mit schwerer Zunge. „Davon habisch mehr als g´nug, verstehstu? …Schnauze voll davon…“

Der Barkeeper schüttelte den Kopf und ging ans andere Ende der Theke. Zuvor jedoch bedachte er Tony mit einem scharfen Blick aus zusammengekniffenen Augen: „Mach mir hier bloß keinen Ärger, hörst du? Solange du nachher zahlst, kannst du dich von mir aus bis zur Besinnungslosigkeit volllaufen lassen. Alles klar?“

„G…ge…geschenkt“, stammelte der Halbitaliener und stierte auf das Glas mit der verheißungsvollen goldenen Flüssigkeit darin. Sie versprach ihm Vergessen und genau das wollte er gerade: Vergessen! Bevor er jedoch erneut daran ging, das Glas zu leeren, holte Tony mit zitternden Händen sein Handy aus der Tasche und tippte unsicher eine Kurzwahlnummer ein. Wenn überhaupt gab es jetzt nur noch einen, der ihm helfen konnte. Die Frage war nur, ob er ihm, nach allem was vorgefallen war, noch zuhören würde?

„Ja? Hier bei Dr. Mallard“, meldet sich nach kurzem Warten eine vertraute Stimme.

„Hey, Ducky, da bist du ja“, murmelte der Braunhaarige schwerfällig, stutzte und dann atmete lediglich ein paar Mal tief ein und aus, während er angestrengt versuchte, nachzudenken. Verflixt. Irgendwie hatte er vergessen, was er Ducky sagen wollte. Zu dumm!

„Hallo? Wer ist denn…Anthony? Bist du das?“

„Jepp, , i..ich bin´s, Tony“, nuschelte der Ex-Agent und nickte dabei kräftig mit dem Kopf, wobei er fast vornüber auf die Theke gefallen wäre. „Ich bin´s!“, wiederholte er und war froh, dass er wenigstens diese unumstößliche Tatsache noch klar vor Augen hatte.

„Anthony!“ Die Stimme am anderen Ende der Leitung klang jetzt in höchstem Maße alarmiert. „Du hörst dich gar nicht gut an. Wo bist du? Was ist los?“

„Ich …ich bin in ...´ner Bar. Hab´n paar Drinks gekippt...“ Wieder setzte Tony ab und musste nachdenken, was er hatte sagen wollen. Zwischendurch genehmigte er sich einen großen Schluck aus seinem Glas. „Hey, Duck…Ducky…Kann ich…kann ich…ich muss… mit dir spr... sprechen? In Ordnung?“, fragte er abgehackt. Klares Sprechen fiel ihm zunehmend schwerer. Verdammt, er musste sich konzentrieren! „Ducky? Bissu noch dran?“

„Sicher, mein Junge, sicher. Und natürlich können wir reden. Aber du fährst auf keinen Fall mehr mit dem Auto, hörst du? Falls du mit dem Wagen unterwegs sein solltest, lass ihn stehen! Hast du mich verstanden, Anthony? Oder soll ich dich abholen?“ Man konnte deutlich die Besorgnis aus Ducky´s Worten heraushören.

„Nee, Is nich.. nötich. Bin in ´ner halben Stunde da. Keine Sorge. Das krieg isch schonoch hin, bin doch kein kleines Kind mehr“, brummelte Tony ins Telefon, dann legte er auf, ohne darauf zu hören, dass Ducky nochmals darauf drängte, keinesfalls mehr Auto zu fahren. Umständlich fischte er einen Geldschein aus seiner Börse und schob ihn über die Theke. „Denkedasreicht“, radebrechte er mit Mühe und ließ sich daraufhin schwerfällig vom Barhocker rutschen. Er musste sich für einen Moment lang am Tresen festhalten, bis er wieder einigermaßen sicher auf seinen Füßen stand, dann verließ er zwar aufrecht gehend, aber leicht schwankend die Bar. Der Barkeeper rief ihm irgendetwas hinterher, doch Tony ließ sich in seinem Bestreben, die Tür ohne Unfall zu erreichen, nicht stören. Er hob lediglich verabschiedend eine Hand und war im nächsten Moment auch schon verschwunden. Achselzuckend griff sich der Mann hinter der Theke Tony´s Mobiltelefon und ließ es in einer Schublade an der Rückwand der Bar verschwinden.

Als Tony bei seinem Auto ankam, überlegte er kurz, das es womöglich doch besser wäre, ein Taxi zu rufen, doch durch den Alkohol war sein Verstand vollkommen benebelt und so hatte er den Gedanken ebenso schnell wieder verworfen wie er ihm gekommen war. Mit einem leisen Aufstöhnen ließ er sich schwer hinters Lenkrad plumpsen und suchte gleich darauf hektisch nach seinen Schlüsseln…


Im Hauptquartier

Zutiefst besorgt war Ziva ins Hauptquartier zurückgekehrt, nachdem sie Tony zu Hause nicht angetroffen hatte. Inzwischen sah man ihr auch nicht mehr an, dass sie sich daheim einen kurzen Augenblick lang der Verzweiflung hingegeben hatte. Angst hatte sie aber immer noch – wie eine kalte Klammer hatte sich dieses Gefühl fest um ihren Brustkorb gelegt und hinderte sie nun daran, richtig durchatmen zu können. Ja, sie hatte Angst, gestand sie sich ein. Soviel Angst, wie noch nie zuvor in ihrem Leben. Sie hatte Angst um ihre Beziehung, die auf der Kippe zu stehen schien, aber noch mehr Angst hatte sie um Tony und um seinetwegen willen, hatte sie ihre Verzweiflung und ihrem Kummer bekämpft und schließlich ihre Professionalität wieder gewonnen. Nur darum war sie auch zurück in Hauptquartier gekommen, obwohl sie sich am liebsten gleich auf die Suche nach ihrem Verlobten gemacht hätte. Doch wo hätte sie mit ihrer Suche beginnen sollen? Blindlings loszustürmen machte keinen Sinn. Nein, damit half sie Tony nicht weiter…sie brauchte die Hilfe ihrer Freunde…

„Tim, du musst sofort sein Handy orten!“, rief sie schon auf halbem Weg vom Fahrstuhl zu ihrem Schreibtisch.

Überflüssig zu erwähnen, dass McGee keine nähere Erklärung brauchte, wessen Mobiltelefon er orten sollte. Er nickte eifrig und gab umgehend die entsprechenden Befehle in seine Tastatur ein. Endlich, endlich konnte er etwas tun, um seinem Freund zu helfen.

Auch Gibbs sprang sofort auf und kam herüber zu McGee´s Platz. „Was ist mit Tony?“, fragte er Ziva, die soeben atemlos hinter Tim getreten war und nervös beobachtete, wie der MIT-Absolvent die Tasten bearbeitete.

„Er hat einige Sachen gepackt und ist verschwunden“, erklärte die Israelin bitter. „Es sieht nicht danach aus, als hätte er vor, zurückzukommen. Und jetzt ist er ganz allein unterwegs und Rebekka …“ Sie konnte das Zittern in ihrer Stimme nicht mehr verbergen und hielt inne. Es war auch so klar, worauf sie hinauswollte. Verzweifelt sah sie den Chefagent an. „Verdammt, Gibbs, was sollen wir denn nur tun? Wo sollen wir mit der Suche anfangen. Er könnte doch überall sein.“

Der Grauhaarige blieb ihr die Antwort schuldig. Wie immer war an seinem Gesicht nicht abzulesen, was in ihm vorging, doch auch er machte sich große Sorgen. Außerdem war er wütend. Schrecklich wütend. Auf Vance, der Tony unbedingt in dieser sowieso schon verfahrenen Situation hatte suspendieren müssen. Auf Caulder, dieses Arschloch von einem Kollegen, der Tony noch mehr in Schwierigkeiten gebracht hatte – und dass er das getan hatte, davon war er fest überzeugt. Auf Tony, der mal wieder viel zu impulsiv gehandelt hatte, aber auch auf sich selbst, dass er Tony bei der Unterredung mit Vance nicht wenigstens klar signalisiert hatte, dass er auf seiner Seite war.

Ein schöner Schlamassel war das mal wieder! Und wie immer steckte DiNozzo mittendrin und war nicht nur dabei! Konnte dieser Mann sich nicht einmal damit begnügen, nur Randfigur zu sein, dachte der Chefermittler etwas ungerecht im Stillen bei sich.

„Wie sieht´s aus, Elfenkönig?“, fauchte er McGee ungehalten an. „Geht das nicht schneller? Wir haben nicht ewig Zeit.“

„Gleich“, murmelte Tim vor sich hin, während seine Finger in einem Affenzahn über die Tastatur flogen. „Ich hab´s gleich…Sekunde noch…“

40. Kapitel

 

Bei Ducky

 

25 Minuten nach dem Verlassen der Bar hielt Tony mit quietschenden Bremsen vor Ducky´s Haus. Zwei Mal hatte der Braunhaarige unterwegs riesiges Glück gehabt, nicht in einen schweren Unfall verwickelt worden zu sein. Das hatte er allerdings nicht seinen Fahrkünsten zu verdanken, sondern nur der schnellen Reaktion der Autofahrer, die Tony entgegengekommen waren und die ihm erst in letzter Sekunde ausweichen konnten, nachdem er Schlangenlinien gefahren und bedenklich weit auf die Gegenfahrbahn geraten war. Wütendes Gehupe hatte seine Aktionen begleitet, doch das hatte den selbsternannten Kamikazepiloten nicht weiter gestört – er hatte seinen Weg einfach ungerührt fortgesetzt.

 

Bevor Tony noch unbeholfen aus seinem Wagen geklettert war, war der kleine Pathologe, der seit dem Telefonat äußerst ungeduldig am Fenster auf seinen Gast gewartet hatte, schon aus dem Haus geeilt und blieb nun mit einem so wütenden Gesichtsausdruck, wie man ihn selten zuvor bei ihm gesehen hatte, vor DiNozzo stehen: „Ja bist du denn vollkommen verrückt geworden? Du fährst volltrunken mit dem Auto durch die Stadt? Wenn dich die Polizei aufgehalten hätte, wärst du deinen Job jetzt los! Ist dir das eigentlich klar? Verdammt noch mal, denk´ doch wenigstens nach, bevor du etwas tust“, wetterte er in einer für den ansonsten doch eher ruhigen Schotten ungewöhnlichen Lautstärke los. Das leise Kichern Tony´s ließ ihn allerdings irritiert innehalten.

 

„Haha, Ducky, der Witz ist gut – der ist wirklich gut.“ Tony lief mit taumelnden Schritten an dem grauhaarigen Schotten vorbei, warf die Arme in die Luft und drehte sich schwankend zweimal um die eigene Achse, wobei er bei der zweiten Runde fast zu Boden gegangen wäre, wenn sein Freund ihm nicht im letzten Augenblick unter die Arme gegriffen hätte. Unsicher kam er wieder auf die Füße und grinste den langjährigen Kollegen traurig an. „Melde gehorsamst, das ist bereits erledigt, Ducky. Schau genau her: Vor dir steht der Ex-NCIS-Agent Anthony DiNozzo. Heute Morgen von Direktor Vance wegen Unfähigkeit aus seinem Job entsorgt.“ Er quetschte sich ungestüm wankend an Ducky vorbei und wäre beinahe durch seinen eigenen Schwung schon wieder gestürzt, konnte sich jedoch im letzten Moment an der ersten Säule zum Treppenaufgang von Dr. Mallards Haus festhalten. Er entschied, dass es besser wäre, eine Pause einzulegen und ließ sich der Einfachheit halber gleich auf Ducky´s Treppenstufen nieder. Traurig blickte er hoch. „Na, was sagst du? Überrascht?“ Frustriert strich er sich seine vom Schneeregen feucht gewordenen Haare nach hinten. Gleichzeitig registrierte er, dass es wohl auch keine so gute Idee gewesen war, sich ausgerechnet auf den nassen Stufen niederzulassen, aber ihm fehlte gerade die Energie, sich schon wieder zu erheben. Er war am Ende, restlos am Ende, erkannte er in diesem Moment und ließ den Kopf haltlos nach unten sinken.

 

Entsetzt blickte ihn der alte Pathologe an. „Was sagst du da? Vance hat dich entlassen – aber warum denn um alles in der Welt?“

 

„Neeee, nich entlassen. S…ssusssspendiert“, korrigierte Tony´s, wobei sich bei ihm die „S-Laute“ wie das wütende Zischeln einer Schlange anhörten. Mit viel Mühe hob er seinen Kopf wieder an und blickte seinem Freund in das gütige Gesicht. DAS wäre ein Vater gewesen, schoss es ihm unwillkürlich durch den Kopf. Schlug er sich doch hier mit ihm in der Kälte die Nacht um die Ohren. Sein eigener Vater hätte das nie getan und wie er nun glaubte zu wissen, Gibbs sicher auch nicht.

 

„Nun gut, dann bist du eben suspendiert worden? Aber wieso? Und was sagt Jethro dazu? Konnte er denn nichts für dich tun?“

 

„Jethro?!! HA!“ Tony lachte bitter auf. „Mein Freund…mein ach so väääterlicher Freund Leroy Jethro Gibbs! – Dem ich das Leben gerettet habe. – Der mir wichtiger ist, als mein eigener Vater! – Wichtiger war, sollte ich vielleicht besser sagen…Er war dabei als Vance mich gefeuert hat. Er ist direkt neben ihm gestanden – und hat keinen Finger gerührt!“ Mit brennenden Augen hatte Tony die Worte ausgestoßen, mit erhobener Stimme und extrem in die Länge gezogen. „Tja, mein lieber Ducky, es sieht ganz danach aus, als hätten wir uns in Gibbs getäuscht. Wenn es ernst wird, kneift er den Schwanz ein. – Aber was soll´s, jetzt weiß ich wenigstens woran ich bei ihm bin…“Die letzten Sätze hatte er wieder leiser gesprochen und sich paradoxerweise auch nicht einmal dabei verheddert. Aber man konnte seiner Stimme anhören, wie sehr ihm Gibbs Verhalten bei Vance zugesetzt hatte.

 

„WAS?“ Der Pathologe war entsetzt und konnte kaum glauben, was DiNozzo da von sich gab. Sicher, der Mann war offensichtlich völlig betrunken, aber es klang doch so, als wüsste er, was er sagte. „Aber...dafür muss es doch einen Grund geben…“ Ducky war fassungslos und suchte nach den richtigen Worten. Schließlich wollte er Tony nicht auch noch vor den Kopf stoßen. Er traf eine Entscheidung. „Komm, Tony, steh auf. Lass und reingehen. Ich koche uns einen Tee und dann erzählst du mir, was genau passiert ist!“ Hilfsbereit hielt er DiNozzo seine Hand hin und war erleichtert, als dieser sie schließlich, nach einem kurzen Zögern, ergriff.

 

 

Vor dem Hauptquartier

 

Zitternd vor Kälte hockte Rebekka im Dunkeln in ihrem Wagen, den sie direkt gegenüber der Ausfahrt des Parkhauses vom NCIS-Hauptquartier geparkt hatte und rieb sich wütend die klammen Hände, in der Hoffnung, diesen dadurch wieder etwas Wärme zuführen zu können. Seit ungefähr einer Stunde war sie jetzt hier vor Ort. Zuerst hatte sie sich noch draußen zwischen den Bäumen herumgedrückt, doch als der Schneeregen zugenommen hatte, war sie zurück in ihr Auto geflüchtet. Nach ihrer anstrengenden Schicht in Jim´s Bar hatte sie beschlossen, dass es an der Zeit war, noch einmal einen Blick auf das Objekt ihrer Begierde zu werfen. Sie brauchte das einfach hin und wieder. Niemand vermochte sich vorzustellen, wie sie gelitten hatte, als sie neulich Abend die Gräber ausgehoben hatte. Der Boden war teilweise gefroren gewesen und sie hatte geackert wie ein Berserker, bis die Löcher schließlich groß und tief genug gewesen waren, um die Särge aufzunehmen. Ihre Wut auf DiNozzo war dabei wieder einmal in Unermessliche gestiegen. Unglaublich, was dieser Mensch ihr abverlangte... Noch immer spürte sie nach diesem Kraftakt sämtliche Knochen im Leib und auch die Schulter, die sie sich beim Sturz mit dem Wagen in den Potomac so übel verletzt hatte, schmerzte seitdem wieder unaufhörlich. Dabei hatte sie wirklich geglaubt, die Verletzung wäre inzwischen vollkommen ausgeheilt. Ein Trugschluss, wie sie nun wusste.

 

Die junge Frau formte ihre Hände zu einem Hohlraum, den sie sich dann vor den Mund hielt, um ihren warmen Atem in die so entstandene Höhle pusten zu können. Sie traute sich nicht, die Heizung laufen zu lassen, aus Angst, die Autobatterie zu sehr zu belasten. Aber dass sie hier so lange sitzen und frieren musste, hatte sie auch nicht erwartet. Sie schaltete das Licht im Wageninneren an und warf einen Blick auf ihre Armbanduhr. 20.55 h! Warum zum Teufel machten die da drinnen nicht endlich Feierabend? Dann könnte sie einen Blick auf Tony werfen - ihm vielleicht sogar einen kleinen Schrecken einjagen – und alles wäre gut. Sie könnte nach Hause fahren und sich endlich wieder dem Studium der technischen Gerätschaften widmen, die sie für die Durchführung ihres Planes ja unbedingt benötigte. Ein zufriedenes Lächeln huschte über ihr hübsches Gesicht, als sie daran denken musste, wie weit sie jetzt schon gekommen war.

 

Jetzt musste sie sich nur noch mit den verfluchten Geräten ein bisschen besser anfreunden – dann würde sie endlich zuschlagen können. Ja, nur noch ein wenig Geduld und dann gab es kein Zurück mehr.

 

 

Allerdings verstärkte sich das unangenehme Bauchgefühl immer mehr, dass sie erstmals registriert hatte, als Ziva – kurz nachdem sie ihren Posten bezogen hatte – alleine ihren Mini in die Tiefgarage steuerte. Rebekka hatte zu diesem Zeitpunkt noch hinter einem Baum gestanden, der gleich in der Nähe der Einfahrt war und so hatte sie einen Blick auf das Gesicht ihrer Landsmännin werfen können. Glücklich hatte Ziva nicht gewirkt – im Gegenteil, ihre Mimik hatte viel eher Sorge ausgedrückt. Zunächst hatte sie dem noch nicht viel Bedeutung beigemessen, doch das änderte sich jetzt gerade schlagartig, denn der Schlagbaum des Parkhauses fuhr nach oben und ein Wagen steuerte in einem waghalsigen Tempo nach draußen, fädelte sich in geradezu abenteuerlicher Weise in den fließenden Verkehr ein und war gleich darauf verschwunden.

 

Wie vom Donner gerührt saß Rebekka in ihrem Wagen und starrte vor sich hin. Was zum Teufel hatte das nun wieder zu bedeuten? Das Fahrzeug war zwar schnell gewesen, doch sie war sich absolut sicher, dass sie im hellen Licht der Straßenlaterne, die direkt an der Ein- und Ausfahrt stand, erkannt hatte, dass sich in dem Wagen – offenbar ein Dienstfahrzeug der Behörde – lediglich drei Personen befunden hatten, und dabei handelte es sich um die David-Schlampe, deren Chef, der den Wagen steuerte, und auf dem Rücksitz hatte sie den schüchternen Blonden ausgemacht, der hektisch damit beschäftigt gewesen war, in der Kurve den nötigen Halt zu finden. DiNozzo fehlte – er war definitiv nicht dabei gewesen! Wo zum Teufel steckte der Kerl?

 

Mit einem wütenden Knurren hieb Rebekka auf ihr Lenkrad ein – jetzt hatte sie ganz umsonst gefroren. Verdammt! Sie hasste es, Zeit zu vergeuden!

 

 

In der 24-Stunden-Bar

 

Nachdem McGee endlich Tony´s Handy geortet hatte, hatten er, Ziva und Gibbs sich umgehend auf den Weg in die Bar am Rande der Stadt gemacht. Es galt keine Zeit zu verlieren, denn Tim hatte festgestellt, dass sich das Objekt nicht bewegte und so hegten sie die berechtigte Hoffnung, Tony noch vor Ort anzutreffen. Gibbs fuhr selbst, was bei Tim, der sich mit der Rückbank arrangieren musste, immer sehr gemischte Gefühle auslöste. Auch jetzt hatte er redlich Mühe gehabt, ohne blaue Flecken davonzukommen, doch dieses Mal war es ihm egal, denn auch er wollte im Augenblick nur eins: Tony unversehrt finden!

 

Mit quietschenden Reifen hielt Gibbs den Wagen auf dem Parkplatz vor der Bar an und der Motor war noch nicht ganz aus, da hatten alle drei Insassen bereits den Wagen verlassen. Das kurze Aufleuchten der Scheinwerfer und das leise Klicken zeigten an, dass das Fahrzeug verschlossen wurde, doch zu diesem Zeitpunkt waren die drei bereits auf dem Weg zum Eingang. Gesprochen wurde weder während der Fahrt, noch jetzt. Jeder hatte still für sich, seine Hoffnungen und Wünsche Tony betreffend ausgesprochen und jetzt hofften sie letztendlich alle drei das Gleiche – nämlich, dass sie in wenigen Minuten einem zwar betrunkenen, aber gesunden DiNozzo gegenüberstünden.

 

Einige befremdete Blicke folgten den Agents, als sie mit Riesenschritten – Gibbs vorweg – die kurze Distanz von der Tür bis zur Theke zurücklegten. Dort wurden sie bereits von dem feisten Barkeeper erwartet, allerdings drückte dessen Gesichtsausdruck nicht gerade Freude über die neuen Gäste aus.

 

„Was soll das? Hier ist alles in Ordnung. Niemand hat die Bullen gerufen.“

 

„Nur die Ruhe.“ Ziva blitzte den Kerl wütend an und war sich gleichzeitig sicher, dass in dieser Bar mit Sicherheit nicht alles in Ordnung war. Dazu brauchte sie sich nur umzublicken und die anwesenden Gäste zu mustern. Über das Lokal verstreut saßen bestimmt insgesamt an die 100 Jahre Knast – man musste kein Gedankenleser sein, um das herauszubekommen. Dazu reichte ein Blick in die betroffenen Gesichter, aus denen die schlechten Gewissen teilweise nur so herausstrahlten. Doch das war jetzt nebensächlich. Sie kramte ein Bild von Tony aus ihrer Geldbörse und gab es an Gibbs weiter, der es umgehend so herum auf den Tresen legte, dass der Mann hinter der Theke direkt in Tony´s Profil blicken konnte.

 

„Was ist mit dem?“, erkundigte er sich misstrauisch und Gibbs hatte Mühe, sich zu beherrschen.

 

„War er hier?“

 

„Und wenn?“

 

Jetzt verlor Gibbs doch die Nerven. Er schnellte vor und packte den Barkeeper am Kragen. Akute Luftnot war die Folge als Gibbs sein Opfer auch noch näher zu sich heran zog. Gibbs stahlblaue Augen schienen den nach Luft japsenden Mann zu durchbohren als er – sehr, sehr leise – seine Frage wiederholte.

 

„War – er – hier?“

 

„Ja, verdammt! Ja! Und jetzt lass mich gefälligst los.“

 

Ruckartig ließ Gibbs den schmierigen Typen aus seinen Fängen – nicht ohne ihn dabei ein wenig nach hinten zu schubsen. Der Mann ruderte mit den Armen um nicht zu Fall zu kommen und riss dabei zwei Flaschen aus den Regalen, die sich an der Rückwand befanden. „Na bitte, geht doch“, sagte der Grauhaarige trocken. „Und?“

 

„Und jetzt ist er weg! Oder seht ihr ihn vielleicht noch?“, keifte der Barkeeper, der Gibbs an Größe und Masse deutlich überlegen war und sich offensichtlich sehr darüber ärgerte, dass dieser eher zierliche Zeitgenosse ihn so hatte überrumpeln können.

 

„McGee“, wandte sich Gibbs an seinen Junior-Agent. „Die Handschellen – wir nehmen ihn mit. Ich habe keine Zeit für Spielchen.“

 

„He, was soll das?“, fuhr der Mann auf. „Ich sag´ euch ja, was ihr Wissen wollt.“

 

„So? Und das wäre?“, fragte Gibbs lauernd. Allerdings hatte er inzwischen seine Hoffnungen, Tony hier noch zu finden, bereits begraben.

 

„Der Typ war hier. Kam rein und hat seinen Frust ertränkt – das allerdings gründlich. Dann ist er wieder verschwunden. Das ist alles. Er war schon total besoffen, als er plötzlich auf die Idee kam, jemanden anzurufen. Danach hat er Geld auf den Tresen gelegt und ist hier raus gewankt.“

 

„Er hat jemanden angerufen“, hakte der Chefermittler sofort nach. „Wen? Los, kommen Sie, wir brauchen einen Namen.“

 

„Ich habe aber keinen Namen für Sie. In einer Bar, wie ich sie führe, ist es besser, nicht allzu viel mitzubekommen, wenn Sie verstehen, was ich meine. Ich habe mir schon vor langer Zeit angewöhnt, meine Ohren auf Durchzug zu stellen, klar?“

 

„Wann ist er weg?“, fragte nun McGee. „Wir haben noch vor kurzem sein Handy hier geortet.“

 

„Kunststück!“ Der Mann drehte sich um, öffnete eine Schublade und griff hinein. Als er sich wieder umdrehte, blickte er in den Lauf von Ziva´s Waffe. „Hoppla, immer langsam“, sagte er erschrocken und legte behutsam Tony´s Handy auf den Tresen. „Er hat es hier vergessen. Ich habe ihm noch hinterher gerufen, aber es hat ihn nicht interessiert.“

 

Ziva ließ die Waffe wieder sinken und blickte ihren Chef enttäuscht an. „Wir sind zu spät, Gibbs. Was um alles in der Welt sollen wir denn nun machen?“

 

To be continued - im nächsten Thread!!!

 

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