Etwas fehlt ...

Teil 1

Etwas fehlt …

 

 

Die interne Weihnachtsfeier der NCIS-Zentrale in DC war seit einiger Zeit in vollem Gange und das ganze Hauptquartier schien auf den Beinen und anwesend zu sein. Überall wimmelten und wuselten Agents und Innendienstmitarbeiter herum – vom Keller bis hoch zur Galerie, wo sich das Büro des Direktors befand. Gut gelaunte Stimmen unterhielten sich miteinander und zwischendurch erfüllte fröhliches Gelächter die dezent geschmückten Räumlichkeiten. Allerorts herrschte gute Laune und Vorfreude auf das Weihnachtsfest – gekoppelt mit der stillen Hoffnung, dass nicht doch noch ein plötzlich auftretender Fall plötzlich die ganze Aufmerksamkeit der Ermittler beanspruchte.

 

Special Agent Anthony DiNozzo hatte dem fröhlichen Treiben eine Zeitlang zugeschaut, bevor er sich schließlich schlecht gelaunt und völlig entnervt in Abbys Labor zurückzog. Hier – da war er sich sicher – würde er zunächst einmal seine Ruhe haben. Abby turnte schon seit Stunden aufgeregt und hibbelig oben zwischen den Kollegen herum und zelebrierte Weihnachten auf ihre höchst eigene  Art und Weise. Sofern nicht doch noch etwas geschah, war ihre Anwesenheit hier unten definitiv nicht erforderlich und das bedeutete Ruhe – nichts als himmlische Ruhe!

 

Als er das Labor betrat atmete Tony einmal tief durch, so als wolle er die Stille, die in dem großen Raum herrschte, tief in sich aufsaugen. Seine Augen schweiften umher und ein kleines Lächeln umspielte kurz seine Lippen. Abby! Natürlich hatte sie es sich auch in diesem Jahr nicht nehmen lassen, ihr Refugium mit zahlreichen mehr oder weniger schrillen Dekoartikeln in eine bunte, etwas eigenartige, Weihnachtswelt zu verwandeln. Während der Agent in Richtung Fenster marschierte strich er mit einer Hand sachte über den weichen Filzstoff der roten Nikolausmütze, die Abby ihrem besten Mitarbeiter, dem Major Massenspektrometer, übergestreift hatte, während er mit der anderen ein paar lustig geringelte Zuckerstangen, die an den Hebeln der Mikroskope hingen, leise aneinander klingeln ließ. Eine übergroße Gummispinne, die auf der Ecke von einem von Abbys Bildschirmen thronte verlor – vermutlich durch den leichten Luftzug – einen ihrer acht kleinen Nikolausstiefelchen. Tony hielt an und streifte der Spinne zuerst sorgfältig ihr Beinkleid wieder über, bevor er ihr danach auch noch den bunt gestreiften Schal der – gespickt mit einigen blinkenden LED-Lämpchen – den Hals des Tieres schmückte, wieder zurecht rückte. „So“, sagte er dann leise befriedigt und setzte sich wieder in Bewegung.

 

Schließlich hatte er das unter der Decke des Raumes liegende Fenster erreicht, lehnte sich mit dem Rücken seitlich an die Wand und blickte wehmütig nach oben hinaus in Dunkel. Viel war aus seiner Position heraus nicht zu erkennen, doch das war dem Agent egal, denn er nahm sowieso nicht wirklich wahr, was seine Augen dort draußen sahen. Früher war alles anders gewesen. Früher, ja, da hatte er sich gerne an dem Trubel, der gerade einige Stockwerke über ihm herrschte, beteiligt. Er hatte Unmengen von Essen in sich hineingestopft, mit den Kollegen Punsch getrunken, mit ihnen gescherzt und vor allen Dingen hatte er mit den Kolleginnen geflirtet … UND sich mit Ziva gekabbelt, die nie, niemals freiwillig zugegeben hätte, dass ihr seine Flirtattacken in Richtung der anderen Mitarbeiterinnen der Behörde gehörig gegen den Strich gegangen waren.

 

Und jetzt? Jetzt war alles anders! Nichts war mehr wie zuvor und so wie es aussah, würde es auch nie wieder so werden! Ziva war weg! Weit weg! Und trotz allem, was damals beim Abschied zwischen ihnen vorgefallen war, glaubte er inzwischen nicht mehr daran, dass sie zurückkehren würde. Nicht nach Amerika, nicht nach Washington DC, nicht zum NCIS und schon gar nicht zu ihm. Zu Anfang hatte er ja noch gehofft, dass sie ihre … Angelegenheiten schnell geregelt bekommen, Israel dann wieder den Rücken kehren und nach Amerika zurückkommen würde. Verdammt noch mal: Wozu hatte sie sonst extra die Mühen der Einbürgerung auf sich genommen? Sie war Amerikanerin und gehörte hierher! Wie sie alle! Jetzt allerdings wurde es immer offensichtlicher, dass Ziva anscheinend anders hierüber dachte. Wut kochte in ihm hoch wie so oft, wenn er darüber nachdachte – und das tat er häufig. Wieso hatte sie das getan? Wieso hatte sie ihn verlassen, noch bevor sie ihnen eine reelle Chance gegeben hatte? Und wieso hatte sie durch ihr Verhalten beim Abschied diese kindische Hoffnung in ihm geschürt, wenn sie nicht auch diese Chance für sie beide gesehen hatte? Hatte sie sich vielleicht an ihm rächen wollen?

 

Seine Rechte fuhr automatisiert in seine Hosentasche und seine Finger schlossen sich fest um die Kette, die Ziva ihm beim Abschied überlassen hatte und sofort beruhigte Tony sich wieder ein wenig. So war es immer! Seit diesem denkwürdigen Tag trug er die Kette immer bei sich – sie war zu seinem wertvollsten Kleinod geworden. Immer, wenn er sie berührte, wagte er wieder zu hoffen und er weigerte sich schlicht, die Hoffnung letztlich aufzugeben. Nein, Ziva hatte sich bestimmt nicht an ihm rächen wollen, das war nicht ihre Art. Aber an solchen Tagen wie heute, fiel es ihm wirklich schwer, die Hoffnung aufrecht zu erhalten. Schwerer noch als sonst. Weihnachten war ein Familienfest und Ziva gehörte eindeutig zur Familie – zu seiner Familie. Sie sollte jetzt hier sein und mit ihnen feiern. Was würde er nur darum geben …

 

„So alleine hier unten, DiNozzo?“, erklang da plötzlich eine Stimme hinter ihm.

Teil 2

Tony schrak zusammen und fuhr herum. Er hatte nicht mitbekommen, dass jemand das Labor betreten hatte und hinter ihn getreten war. So traf ihn der prüfende Blick aus eisblauen Augen völlig unvorbereitet.

 

„Gibbs!“, stieß er überrascht hervor. „Musst du dich immer so anschleichen?“

 

Sein Boss schwieg zunächst und musterte ihn stattdessen weiter gründlich, bevor er schließlich leise fragte: „Warum bist du hier, Tony?“

 

„Ich musste einfach mal einen Augenblick alleine sein. Zuviel Trubel da oben“, antwortete Tony ausweichend. „Vermutlich bin ich immer noch ein wenig müde – ich meine, der letzte Fall hat uns ja eine Menge Schlaf gekostet.“

 

„Bullshit!“

 

„Was?“

 

„Du hast mich schon verstanden. Warum sagst du nicht einfach, was wirklich mit dir los ist? Warum feierst du nicht oben mit den anderen? Hast du doch sonst immer getan.“

 

Tony drehte sich wieder zum Fenster und blickte nach oben, denn dies war die einzige Möglichkeit, Gibbs bohrenden Blicken zu entkommen. Doch er spürte, dass der Grauhaarige dieses Mal nicht locker lassen würde. Er wusste sehr gut, dass sein Boss ihn schon seit einiger Zeit sehr genau beobachtete, doch bislang hatte er ihn Gott sei Dank noch nie auf sein verändertes Verhalten angesprochen. Ohne weiter darüber nachzudenken antwortete er nachdenklich: „Keine Lust! Ich weiß auch nicht, etwas fehlt …“

 

„Du meinst, Jemand fehlt“, kam prompt die Antwort mit einer besonderen Betonung.

 

„Meinetwegen“, brummte Tony. „Wenn du es unbedingt so ausdrücken möchtest.“

 

„Ich finde, man muss es so ausdrücken.“

 

„Ja.“ Tony fuhr sich mit einer Hand durchs Haar. „Ja, das muss mal wohl.“ Noch leiser als zuvor fügte er hinzu. „Verdammt, Gibbs, sie fehlt mir so sehr.“

 

„Ich weiß“, antwortete Gibbs ebenso leise und legte seinem Freund eine Hand auf die Schulter. „Und ich bin froh, dass du es endlich mal aussprichst.“

 

„Du meinst …“ Mit verräterisch glitzernden Augen drehte Tony sich wieder um. „… du wusstest es? Die ganze Zeit über?“

 

„Hey, was soll ich sagen? Ich war immerhin 4 x verheiratet.“

 

„Ja!“ Tony grinste schief. „Aber du bist auch 3 x geschieden.“

 

„Vorsicht, DiNozzo“, warnte Gibbs, während ein angedeutetes Schmunzeln über sein Gesicht huschte. „Interessiert es dich eigentlich nicht, warum ich hier bin?“

 

„Vermutlich war dir der Trubel oben auch zu viel“, vermutete DiNozzo emotionslos.

 

„Nein“, widersprach der Teamleiter. „Ich bin hier, weil ich dich gesucht habe. Hier …“ Er holte einen Umschlag aus der Innentasche seines Jacketts und hielt ihn Tony hin, der ihn zögernd annahm, während er seinen Chef fragend anblickte.

 

„Was ist das?“

 

„Mach´s auf, dann weißt du´s“, war die pragmatische Antwort. „Das ist ein Teil deines Weihnachtsgeschenkes.“

 

Bedächtig öffnete Tony den Umschlag und beförderte eine zerrissene Karteikarte zu Tage. Er hielt beide Teile nebeneinander und erkannte, was darauf stand:

 

Rule Nr. 12: Never date a co-worker.

 

Erstaunt und verstimmt blickte er seinem Boss ins Gesicht: “Was soll das? Bisschen spät, findest du nicht?“

 

„Hm…“ Gibbs zuckte mit den Schultern. „Ehrlich gesagt, nein. Wie gesagt, das ist nur ein Teil deines Geschenkes.“

 

„Okay…“ Tony registrierte, wie sein Herzklopfen immer stärker wurde. Er reckte seinen Kopf in Richtung Tür, doch da war nichts. Niemand!

 

„Oh, DiNozzo, was hast du erwartet. Dass ich dir Ziva hier auf dem Silbertablett serviere? Vergiss es, immerhin reden wir hier über Ziva David.“ Gibbs sah, wie Tony in sich zusammenzusacken schien, erbarmte sich und zauberte einen 2. Umschlag hervor. „Da, nimm.“

 

Mit zitternden Fingern öffnete Tony den 2. Umschlag und entnahm ihm ein Flugticket nach Tel Aviv. „Gibbs! Ich … ich weiß gar nicht, was ich sagen soll“, stotterte er überwältigt von der Anteilnahme des Grauhaarigen. „Wieso … wie kommst du dazu …?“

 

„Ich will meinen Agent wiederhaben“, brummte Gibbs. „Mein Team! Alle wollen das! Und aus dem Grund haben wir zusammengelegt. Na ja, und ich dachte, bevor du womöglich Mist baust und nachher alles umsonst war, setze ich besser Regel Nr. 12 außer Kraft, bevor du dich auf den Weg  nach Israel machst, denn sonst…“

 

Weiter kam er nicht, da Tony ihn packte und in eine herzliche Umarmung zog. Er trommelte wiederholt auf Gibbs Rücken herum und stammelte dabei immer wieder: „Danke … mein Gott, ich danke euch …“

 

„Es reicht! Verdammt, Tony, es ist genug!“ Energisch drängte Gibbs seinen Agent zurück und funkelte ihn strafend an. „Ich bin nur der Überbringer, klar? – Und jetzt mach dich endlich auf die Socken, bevor der Flieger noch ohne dich startet.“

 

„Ich bin schon weg“, jubelte Tony und stürmte in Richtung Ausgang. In der Tür stehend drehte er sich noch mal um. „Ehrlich, ich hätte nie vermutet mal so glücklich darüber zu sein, den Weihnachtsabend in einem Flugzeug verbringen zu müssen.“

 

„Mach endlich, dass du weg kommst. – Ach, und ich warne dich, DiNozzo. Versau es nicht! Das ist ein Befehl, hörst du?“

 

„Ist angekommen, Boss! Ich versprech´s!“

 

 

                                                                                 E N D E

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